Leseranwalt

Schmähworte im Meinungsbeitrag

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Aus drehscheibe 01/2024

Im Neuen Tag berichteten wir am 20. Oktober über den Erbendorfer Kirwa-Umzug. In dem Artikel hieß es: „Ein Wagen hatte sich dieses Mal die ,Klimakleber‘ und die Grünen auf einmal vorgenommen: mit Schneepflug als ,Klimakleberräumdienst‘. Auf der Rückseite der Spruch ,Rettet unseren Mittelstand, jagt die Grünen aus dem Land‘. Dazu baumelte ein Galgenstrick von der Rückseite des Traktoranhängers.“ In dem Zeitungsartikel kamen dann die verschiedenen Seiten zu Wort.

Zu dem Beitrag schrieb ein Amberger einen Leserbrief. In seiner Zuschrift formulierte er unter anderem: „Unser populistisch-narzisstischer Wendehals Söder und sein populistischer ,Blinddarm‘ Aiwanger (gereizt und aggressiv im Wahlkampf, aber völlig überflüssig) haben ganze Arbeit geleistet (...)“

Daraufhin schrieb mir ein anderer Leser: „Ich bin für freie Meinungsäußerung, habe aber gelernt, dass ein Leserbrief im Neuen Tag nur dann veröffentlicht wird, wenn keine Beleidigungen ausgesprochen werden.“ Wenn aber vom populistischen „Blinddarm“ Aiwanger die Rede sei, „dann ist das in meinem Verständnis eine Beleidigung“, so der Leser.

Ich zitiere hier gerne eine Aussage der Initiative Tageszeitung (ITZ): „Eine demokratisch pluralistische Gesellschaft braucht die Meinungsvielfalt und die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Meinungen, deshalb muss sie auch langwierigen, lästigen oder lähmenden Meinungsstreit in Kauf nehmen.“ Weiter heißt es bei der ITZ: „Der Schutz des Grundrechts bezieht sich vor allem auf die im Werturteil zum Ausdruck kommende eigene Stellungnahme des Redenden, durch die er auf andere wirken will. Dabei ist gleichgültig, ob die Meinung ,richtig‘ oder ,falsch‘, ob sie emotional oder rational begründet ist, ob es sich um ,wertvolle‘ Meinungen handelt oder nicht.“

Erlaubt ist, in Leserbriefen Standpunkte und Sichtweisen auch in pointierter Form wiederzugeben. Das gilt selbst für die Aus­einandersetzung mit Religionen. Beleidigungen oder ehrabschneidende Äußerungen jedoch dürfen nicht sein. Auch aus dem Grund, weil die Redaktion verantwortlich ist für die von ihr veröffentlichten Zusendungen. Im Fall des Amberger Leserbriefschreibers sehe ich in der „Blinddarm“-Äußerung im Übrigen keine Beleidigung.

Denn: Werden strafrechtliche Grenzen nicht überschritten, sind Meinungsäußerungen und Kritik in einem Leserbrief in der Regel unbedenklich. „Meistens ist es unproblematisch, wenn Leser lediglich ihre negative Meinung zum Verhalten in der Öffentlichkeit stehender Personen oder Unternehmen kundtun“, bekräftigen die Presserechts-Experten der Initiative Tageszeitung.

Im Einzelfall, das haben höchstrichterliche Entscheidungen gezeigt, müssen auch Schärfen und Übersteigerungen in Kauf genommen werden. Selbst abwertende und kränkende Formulierungen sieht die Rechtsprechung als erlaubt an – solange sie, wie die ITZ erläutert, zum Gegenstand der Auseinandersetzung „Sachnähe“ haben. „Dann handelt es sich um überspitzte, griffige, einprägsame Formulierungen, die nicht wörtlich genommen werden wollen, aber leichter erkennen lassen, in welche Richtung die Vorwürfe gehen.“

Der vollständige Beitrag erschien am 10. November 2023 auf Onetz.de. Er wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt.

Jürgen Kandziora

Autor

Jürgen Kandziora ist Leseranwalt des Neuen Tags aus Weiden in der Oberpfalz.

Mail: juergen.kandziora@oberpfalzmedien.de
Telefon: 0961 – 854 44

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