Warum wir Multimedia-Reportagen machen
von Tobias Köpplinger
Ob über das Aufseß-Theater oder den Fall Mollath: Der Nordbayerische Kurier (Bayreuth) veröffentlicht immer wieder aufwendige Web-Reportagen. Redakteur Tobias Köpplinger erklärt warum.
Es dauerte damals knapp eine Woche, dann hagelte es Kritik. Die New York Times hatte im Dezember 2012 „Snow Fall“ veröffentlicht. Die Geschichte über Skifahrer, die in eine Lawine gerieten. Mehrere Tausend Wörter lang, mit Videos und animierten Grafiken. Nie zuvor war eine Geschichte digital so erzählt worden. Und nie zuvor lagen Lob und Kritik so weit auseinander: Die einen sprachen von der Zukunft des Lesens online. Die anderen davon, dass das kein Mensch lesen werde. Und das stimmt.
Aber diese Kritik ist nicht neu. Jakob Nielsen hat schon 1997 festgestellt: Menschen lesen im Internet nicht. Zumindest nicht so, wie wir Journalisten das gerne hätten: Wort für Wort. Stattdessen springen sie, scannen sie, scrollen sie. Ihre Aufmerksamkeit ist flüchtig, wenn eine E-Mail klingelt, sind sie weg. Autoren versuchen zu reagieren: mit Listenformaten, Zeitversprechen, mit besserer Strukturierung. Und genau hierzu passt die Multimedia-Reportage. Der Nutzer honoriert die Interaktionsmöglichkeiten. Er muss nicht den gesamten Text lesen, um einen Eindruck von der Geschichte zu bekommen. Er kann Videos schauen oder interaktive Karten erkunden. Er kann springen und scannen. Er kann sich seine eigene Geschichte zusammenstellen.
Besondere Themen erfordern besondere Formate
Die meisten digitalen Reportagen sind zum Scrollen gebaut. Das kommt Lesern entgegen. Scrollen ist der neue Klick, Multimedia-Reportagen funktionieren dann auch auf mobilen Endgeräten. Der Nutzer wischt sich durch das Angebot, fliegt über den Text, stoppt bei multimedialen Inhalten. Bei Webreportagen ist die Verweildauer oft doppelt bis dreimal so hoch wie auf der normalen Website.
Das funktioniert, wenn wir Text, Bilder, Videos und andere Elemente sorgfältig komponieren. Wir dürfen die Formate nicht nur nebeneinanderstellen, sie müssen ineinanderfließen. Wenn ein Zeitzeuge, der eine Kriegsnacht im Bombenkeller erlebt hat, noch klar sprechen kann, sollten wir ihn hören und sehen dürfen. So authentisch können wir das nur selten aufschreiben. Zeigen statt erzählen – das können wir Journalisten jetzt zum ersten Mal. Und der Produktionsaufwand hält sich längst in Grenzen. „Snow Fall“ programmierte ein 16-Mann-Team mit geschätztem sechs- bis siebenstelligen Budget und einem halben Jahr Zeit. Das geht heute schneller, das können auch regionale Verlage mit den richtigen Werkzeugen. Mit Tools wie Atavist, der Aesop Story Engine oder Pageflow gelingen Multimedia-Reportagen in überschaubarer Zeit mit wenig Aufwand.
Besondere Themen erfordern besondere Erzählformate. Das ist im Netz nicht anders als in der Zeitung. Journalisten werden auch in Zukunft nicht jede Polizeimeldung als Multimedia-Reportage erzählen. Aber wenn die Themen groß, regional, berührend und visuell ansprechend sind, sollten Redaktionen darüber nachdenken, ob es eine bessere Möglichkeit gibt als Text, um die Geschichte zu erzählen. Ich habe „Snow Fall“ gelesen. Komplett. Auf dem iPad. Das funktionierte sogar.
Hier geht's zur Aufseß-Reportage
Hier geht's zur Mollath-Reportage
Hier geht's zur Erwiderung von Frank Nipkau
Veröffentlicht am
Kommentare
Einen Kommentar schreiben