Debatte

Interpretieren müssen den Kodex die Journalisten

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Die Diskussion über Sinn und Zweck der Ziffer 12.1. des Pressekodex ist in vollem Gange. Joachim Braun, derzeit noch Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers, meint, der Kodex sei nur ein Rahmen, denken müssten Journalisten schon selbst. Das Verbot einer Diskriminierung von Minderheiten könne, richtig angewandt, durchaus Leitschnur für die journalistische Arbeit sein.

Zwei Konsequenzen aus der Kölner Silvesternacht: Auf Druck eines lauten Teils der Öffentlichkeit will die Politik das Strafrecht verschärfen, und wir Journalisten denken darüber nach, unsere ethischen Standards herunterzuschrauben. Präzise gesagt geht es darum, die Ziffer 12.1 des Pressekodex, die Minderheiten vor Diskriminierung schützen soll, zu streichen. So läuft im Monat 1 nach Köln die öffentliche Hysterie, die – wie immer – die Politik und nun auch – das ist neu – die Journalisten erfasst hat. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, was bis in einem halben Jahr passiert sein wird: Wir Journalisten zerfleischen uns weiterhin über „12.1“, aber von einer Verschärfung des Strafrechts ist keine Rede mehr.

Und das zu Recht, unser Problem sind ja nicht zu lasche Regeln, sondern deren Vollzug. Das gilt auch für den Pressekodex. Er bietet für unsere Arbeit einen ethischen Rahmen, er hat aber nicht den Zweck, uns vom Denken abzuhalten. Entscheiden müssen wir Journalisten schon noch selber, wie wir den Kodex interpretieren – und zwar in jedem Einzelfall und im Bewusstsein der Konsequenzen. Anders formuliert: Das in der Ziffer 12.1 verankerte Verbot einer Diskriminierung von Minderheiten kann, richtig angewandt, durchaus Leitschnur für unsere Arbeit sein.

Manche Medien haben den Sachbezug unterschlagen

Außerdem: Was würde uns eine Aufhebung bringen? Ist es wirklich ein Erkenntnisgewinn, bei einem Ladendieb die Herkunft anzugeben oder bei einem Vorfahrtsunfall? Medien, die im Fall Köln die Herkunft der mutmaßlichen Täter nicht bekanntgaben, haben den vorhandenen Sachbezug schlicht unterschlagen – und können sich dabei eben nicht auf 12.1 berufen.

Aber dann sind da natürlich noch „die“ Leser. Sie wollen alles wissen, jedes Detail (vor allem, wenn es um ausländische Straftäter geht). Sie schreien laut Zensur, wenn wir dem zuwider handeln, begründen so Abo-Kündigungen und stellen uns in Leserbriefen die Frage, ob wir ernsthaft glauben würden, noch „als verlässliche Informationsquelle angesehen“ werden zu können? (Jürgen Bauer im Nordbayerischen Kurier vom 23./24.1.16). Das ist nicht schön.

Und selbstredend ist es auch wenig befriedigend, dem Leser darauf antworten zu müssen, „Ja, Sie können uns vertrauen“, und ihm zu erklären, dass wir „nicht nach Gutdünken“ entscheiden, ob wir die ethische Herkunft bei Polizeimeldungen nennen, sondern uns jedes Mal genau überlegen, ob ein Sachbezug zwischen Ereignis und Beteiligten existiert. Dazu werden wir uns natürlich auch der Diskussion mit den Lesern stellen, und – ganz wichtig – wir wollen niemanden erziehen und sind auch nicht Merkels „Wir-schaffen-das“-Helfer.

Journalismus ist ein steter Kampf – um Informationen und um Vertrauen. Seit wir nicht mehr die Gatekeeper für Nachrichten sind, ist es härter, viel härter geworden. Meinungen und Gerüchte werden im Netz zu Fakten. Diese wiederum begründen Vorurteile gegen Minderheiten. Wer, wenn nicht wir als professionelle Journalisten, soll sich dieser zunehmenden Verwirrung und Verblendung widersetzen? Unser vom Grundgesetz garantierter Status gibt uns nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Was wir also viel mehr brauchen als eine Diskussion über den Pressekodex, ist journalistische Qualität und eine Selbstverpflichtung auf vorurteilsfreie, ehrliche und all umfassende Berichterstattung. Damit hätten wir viel erreicht.

Joachim Braun

Autor

Joachim Braun
Nordbayerischer Kurier*
Tel.: 0921-50 01 70
Mail: joachim.braun@nordbayerischer-kurier.de
Web: Nordbayerischer-kurier.de

* In den vergangenen Jahren drei Missbilligungen durch den Presserat, jeweils Ziffer 8, Schutz der Persönlichkeit

Lesen Sie auch das Interview zum Thema mit Edda Eick vom Deutschen Presserat: Zum Interview

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