Machen wir das Kreuz gerade!
von Stefan Aschauer-Hundt
Angst vor der Zeitungsapokalypse ist fehl am Platz. Ein Plädoyer für den aufrechten Gang im Lokalen. Von Stefan Aschauer-Hundt
„Das ständige Schlechtmachen von Print ausgerechnet durch andere Zeitungen und Zeitschriften sollten wir endlich beenden. Ich bin selbst begeisterter Zeitungs- und Zeitschriftenleser, überwiegend übrigens in gedruckter Form. Weil ich sehe, welchen gesellschaftlichen Nutzen sie stiften. Und weil ich sehe, dass es ohne Frage ein gutes kommerzielles Fundament für sie gibt.“ Das antwortete Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann, im Interview mit der Zeit im Februar 2014 auf die Frage: „Wie erklären Sie sich eigentlich, dass sich unsere Branche selbst so schädigt, indem sie ständig erklärt, wie unmodern Gedrucktes ist?“
„Wie sollen wir unsere Leute noch informieren?“
In einem Boot sitzen: Journalisten, die von ihren Verlagen ausgesondert werden, Politiker, die nicht mehr wahrgenommen werden, Verwaltungen, die nicht mehr an die Bürger rankommen, Themen, um die sich keiner mehr kümmert, Leute, die uninformiert nicht mehr mitten im Leben stehen.
Neulich nach dem Ende der Westfälischen Rundschau: Von den dort vorhandenen Abos konnten rund 45 Prozent für die Heimatzeitung umgeschrieben werden, der Rest ist einfach weg. 55 Prozent der Kunden verschwinden in die Nichtleserschaft.
Neulich beim Bürgermeister der Gemeinde Herscheid: „Wir fragen uns, wie wir an unsere Bürger kommen sollen. Das ist ein großes Problem und wird ein noch größeres.“ Die völlig selbstverständliche Streuung über die Zeitung mit der Motivation, dass jeder es erfährt, funktioniert nicht mehr. Eine „Bekanntmachung“ in der Zeitung ist keine „Bekanntmachung“ mehr, weil sie nur noch einen eingeschränkten Empfängerkreis erreicht.
Neulich bei der Kommunalwahl in der Stadt: Die Wahlbeteiligung sinkt auf knapp 39 Prozent. Die Politik ist ratlos, weil sie nicht mehr wahrgenommen wird. Sechs von zehn Menschen ist es offenbar egal, was an ihrem Heimatort geschieht.
Neulich an der Theke in der Geschäftsstelle, ein Gespräch genau über diese Dinge. Ach, Zeitung sei doch eigentlich verzichtbar. „Was ich mitbekommen muss, das erfahre ich schon irgendwie.“ Zweifel: Anzeigenblatt, Facebook, normales Internet – erfährt man es da wirklich? Werfen wir einen Blick ins Anzeigenblatt: schöne, seichte Geschichten aus dem weiten Umkreis. Die lokale und sublokale Ebene? Fehlanzeige.
Was machen die anderen?
Klick auf Facebook, in die relevanten FB-Gruppen vor Ort: Es gibt ein paar historische Bilder, Weltschmerz, Klagen, dass früher alles schöner war. Es gibt ein bisschen Blaulicht/Rotlicht und notorische Fragen, wohin so viel Feuerwehr fährt. Danach zerreißen sich wildfremde Menschen mit Nicknamen das Maul, dass es im Betrieb XY jetzt zum fünften Mal brennt und es ein Saftladen sei. Irgendwelche Postings ohne Hintergedanken werden von AfD-Netzwächtern aufgegriffen und durch gezielte Gifterei so zugespitzt, dass sich ein Shitstorm über „normale“ Menschen ausbreitet.
Blick in einen lokalen Blog: Einige wenige lokale Themen werden aufgriffen und durch eine wutbürgerartige Brille betrachtet. Eine Vielfalt der Meinung findet – schon aufgrund der Tatsache, dass der Blog eine Einzelkämpfer- und Selbstausbeutungsnummer ist – nicht statt.
Blick aufs Radioprogramm: Das vermeintliche Lokalradio bedient 15 Städte und Gemeinden, was dazu führt, dass im Schnitt – wenn’s gut geht – eine tägliche ortslokale Meldung gesendet wird. Die Selektion (das meiste in die Nachrichtentonne) ist ganz offensichtlich.
Blick auf Twitter: Spielt zumindest bei uns überhaupt keine Rolle. In allen abgefragten Bekanntenkreisen, über die Generationen hinweg, ist Twitter bedeutungslos. Wir kennen niemanden, der twittert. Wir finden keine lokalen Tweets. Offenbar handelt es sich dabei um Sendungen interessierter Kreise, die sich gezielt an Medienschaffende richten, nicht aber ans normale Volk.
So bleibt die Frage: Wer erreicht die Menschen? Nachdem Anzeigenblatt, Facebook, Blog und Radio als umfassendes Medium ausscheiden beziehungsweise versagen, bleibt nur der Zeitungsverlag als einziger „Sender“, der Gründlichkeit statt Geposte, Geblogge, Gefasel liefern kann. Das führt also zur Frage: „Wer, wenn nicht wir?“ Und es führt zu der Frage: „Wie positionieren wir uns als Journalisten?“ Das ständige Gerede über den Tod der Zeitung ist weder gerechtfertigt noch motivierend. Zumal es irgendwann zur self-fulfilling prophecy wird.
Tatsache ist doch offenbar, dass das einzige relevante lokale Medium die Zeitung mit ihren digitalen Ablegern ist. Tatsache ist doch auch, dass die Reichweite des Zeitungsverlages über alle Kanäle noch nie so groß war wie heute. Also: „Wer, wenn nicht wir?“ Dieses „Wir“ muss man wollen, auch ertragen.
Ihre Meinung, bitte!
In Verlagen, in denen Controller und Betriebswirtschaftler das Sagen haben, muss es ertragen werden, dass sich Journalisten in Bereiche begeben, die früher Verleger bespielt haben. Wenn es aber keine Verleger mehr gibt, müssen Journalisten das Gesicht ihrer Zeitung sein dürfen. Journalisten müssen es wollen, diese verlegerische Rolle wie ein Ortsrepräsentant auszufüllen. Sie müssen es ertragen, für die Zeitung im Ganzen angesehen zu werden. Sie sind letzte Frau oder letzter Mann vor Ort!
Meinung muss wieder gewollt sein. Weichgespülte, meinungsarme Lokalteile, an denen sich niemand reiben kann, sind Gift für die Zeitung. Verlage und Journalisten müssen Kommentar und Widerspruch suchen und zulassen, damit die Zeitung Thema in der Stadt sein kann und darf. Nicht die genialische Ausspielung über alle Kanäle darf primär im Blick des Journalisten liegen – erst die Story, dann die Fragen von Technik und Verbreitung.
Eine Frage der Technik
Aber es gilt auch: Technik und Verbreitung müssen gewollt sein. Auch von Journalisten. Viel zu viele sind von der Lebenswirklichkeit der „Generation Kopf runter“ – das Mobile als angewachsenes Medium – noch zu weit fort. Wollen wir „der“ Nachrichtenbroker schlechthin sein (es ist ja kein anderer erkennbar, s. o.), müssen wir aus Vermarktungs- und Versorgungsgründen auch in technischen Kategorien denken.
Kurzum: Wir sind Mrs. und Mr. Zeitung, Nachrichtenbroker, Erklärer, Einordner, manchmal Zensor, immer Leitplanke. Klar müssen wir kämpfen, aber wir haben keinen Grund, gramgebeugt und dem Tode nahe daherzukommen. Zwei Drittel der Erwachsenen lesen Zeitung, wir haben mehr Leser und Nutzer als die TV-Stationen Zuschauer. Wir müssen klarmachen, dass Sparen an Grenzen gerät, wenn das Produkt nicht mehr seinen Preis wert ist. Das ist keine sozialpolitische oder arbeitsrechtliche Debatte, sondern zuvorderst eine betriebswirtschaftliche. Wir müssen den Verlagen klarmachen, dass Investitionen in Menschen, Ausbildung, Handwerkszeug nötig sind, um zu bestehen. Und den Kollegen müssen wir verdeutlichen, dass sie Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote im eigenen und im Interesse des Produktes wahrnehmen sollten.
Wir müssen der Öffentlichkeit klarmachen, dass es viele Möglichkeiten gibt, die Zeit zu verdaddeln. Möglichkeiten, lokal informiert zu sein, gibt es nur wenige. Eigentlich nur eine: die über professionelle Journalisten. Nicht über Facebooker, Daddler, Hobbyreporter und Blogger. Machen wir das Kreuz gerade!
Stefan Aschauer-Hundt ist Redakteur beim Süderländer Tageblatt und Mitglied im Projektteam Lokaljournalisten, das die drehscheibe mit herausgibt.
Dieser Text erschien zuerst in der Printausgabe der drehscheibe (10/2014). Hier geht's zur Ausgabe.
Lesen Sie hier die Antwort auf diesen Debattenbeitrag, geschrieben von Horst Seidenfaden, Chefredakteur der Hessischen/ Niedersächsischen Allgemeinen.
Hier gehts zum Text von Julia Klöckner
Hier geht's zum Text von Prof. Bodo Hombach
Hier geht's zum Text von Dr. Marc Jan Neumann
Hier geht's zum Interview mit Boris Palmer
Hier geht's zum ersten Text von Stefan Aschauer-Hundt
Hier geht's zur Antwort von Horst Seidenfaden
Hier lesen Sie die Thesen von Harald Klipp
Hier geht's zum Text von Holger Schellkopf
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