Mehr als tausend Worte
von Holger Schellkopf
Wir arbeiten noch immer mit alten Methoden auf neuen Plattformen, meint Holger Schellkopf, stellvertretender Chefredakteur der Mittelbayerischen Zeitung. Das Verbreiten von Nachrichten sei nicht mehr die Kernkompetenz von Zeitungen.
Da grüßt es also wieder, unser Murmeltier, das neue Wappentier des Journalismus – oder besser der Diskussionen über den Journalismus und dessen Zukunft. Wie sonst wäre zu erklären, dass seit Jahren immer wieder die gleichen Forderungen erhoben werden? Seit Jahren immer wieder die selben Rezepte ausgestellt werden, obwohl längst klar ist, dass die hier verordnete Medizin einen großen Teil ihrer Wirkung verloren hat. Dass in den Redaktionen neue Mixturen angerührt, neue Methoden angewendet werden müssen.
Meinungsstarke Lokalteile und gute Geschichten müssen eine zentrale Rolle spielen? Ungefähr so neu wie die Erkenntnis, dass Rauchen nicht übertrieben gesundheitsfördernd ist. Kein Zweifel, es wird dadurch nicht falsch – wirklich weiter bringt uns das aber auch nicht mehr.
Eine Geschichte ist am Ende nur wirklich gut, wenn sie auch zu den Menschen findet. Sie ist nur wirklich gut, wenn sie auf die bestmögliche Art und Weise erzählt und verbreitet wird. Und da wird es langsam spannend, denn genau hier fehlt es uns noch immer an allen Ecken und Enden an der notwendigen Qualität, an Mut, an Konsequenz und – man muss es leider so sagen – häufig auch an Können.
Arroganz des Wortes
Der Spiegel-Reporter Cord Schnibben hat vor kurzem in einem (übrigens beachtlich wortreichen) Beitrag sehr klar dargelegt, wie sehr sich Reporter heute selbst durch ein Phänomen ausbremsen, das Schnibben die „Arroganz des Wortes“ nennt. Was sich hinter der hübschen Formulierung versteckt, ist im Grunde nicht mehr als die Erkenntnis, dass wir noch immer viel zu häufig mit alten Methoden auf neuen Plattformen arbeiten; als gebe es keine anderen Möglichkeiten, ist digitaler Journalismus viel zu oft noch immer nicht mehr als ganz viel Text und ein wenig Bild. Hier noch eine kleine Galerie, da noch eine Verlinkung – der tolle Text macht dann den Qualitätsjournalismus aus, der alle begeistert.
Schöne Vorstellung, hat aber leider mit der Realität nur wenig zu tun. Natürlich ist Text-Qualität wichtig – aber ebenso selbstverständlich muss es sein, Text nur dort zu verwenden, wo es keine bessere Möglichkeit gibt. Wer auf Dauer erfolgreich – auch im Sinne von wirtschaftlich ertragreich – digitalen Journalismus betreiben will, der muss auch dessen Möglichkeiten nutzen. Der muss endlich auch akzeptieren, dass Datenjournalismus, Bewegtbild, selbst Audio oder eine Klick-Grafik an vielen Stellen eben mehr sagen können als tausend Worte. Wer sein Publikum gewinnen und behalten will, muss sich dieser Möglichkeiten bedienen. Mehr noch, er muss sich immer wieder auf die Suche nach neuen Formaten machen, mit denen er die Menschen faszinieren kann
Zugegeben: Das alles hat auch wieder ein wenig von Murmeltier, aber offenbar gibt es zumindest in Teilen hier noch immer nicht den eigentlich längst notwendigen Konsens. Zu diesem Konsens gehört im übrigen auch, dass Medienhäuser (wer daran mehr Gefallen hat, darf natürlich auch weiter Zeitungen sagen) nur überleben können, wenn sie im Digitalen erfolgreich sind.
Was die Zeitung kann
Das hat gar nichts mit Geringschätzung des Print-Produktes zu tun. Ganz im Gegenteil: Die gedruckte Zeitung wird auf Sicht weiterhin eine ganz entscheidende Rolle spielen, sie wird sich aber auch weiter verändern müssen; stärker auf das konzentrieren, was sie wirklich gut kann. Das ist vor allem Entschleunigung, das sind die dazu passenden journalistischen Formate, das ist auch optische Opulenz – es ist aber ganz sicher nicht der Transport von Nachrichten. Schon deshalb reicht ein sehr gutes Print-Produkt längst nicht mehr, es kann nur Teil einer möglichst gut gemachten Produktfamilie sein.
Die gute Nachricht: Die Werkzeuge dafür stehen uns zur Verfügung. Die schlechte Nachricht: Wir müssen sie auch richtig nutzen; zur richtigen Zeit, in der richtigen Form und an der richtigen Stelle. Die beste Geschichte taugt nichts, wenn sie ihr Publikum nicht findet. Wer darauf setzt, dass die Leser nach alter Väter Sitte auch wissen, was sich gehört und künftig gefälligst von selbst unsere hochwertigen digitalen Angebote aufsuchen und brav dafür zahlen, darf sich direkt im Anschluss dann auch gleich wundern, warum das nicht funktioniert.
Mit der Realität hat es nämlich nur wenig zu tun. Während wir immer noch darüber debattieren, ob wir denn wirklich mit Sack und Pack in den Internet-Zug steigen sollen, hat vor allem unser potentielles Nachwuchspublikum längst die Anschluss-Verbindung genommen; es ist größtenteils sogar schon angekommen in den Destination social und mobile. Weniger bildhaft ausgedrückt gibt es zwei ganz wesentliche Erfolgskriterien: Geschichten müssen auf Mobilgeräten richtig gut funktionieren, Medien und Journalisten müssen die sozialen Kanäle viel stärker in das Zentrum ihrer Bemühungen stellen.
Was mobil funktioniert
Was mobil wirklich gut funktioniert, ist längst nicht ausgemacht. Einzige Konstante ist hier die Veränderung. Zielgruppen, Geräte, Nutzungssituation sind Einflussfaktoren, die unterschiedliche Lösungen erfordern. Deshalb ist es ja auch so wichtig, neue Formate, neue Formen der Darreichung zu entwickeln. Dabei gibt es durchaus spannende Ansätze. Die Kompakt-App der Welt gehört ebenso dazu wie S-Vibe der Stuttgarter Zeitung. Beide verabschieden sich von der klassischen Ressort-Aufteilung, stellen die Relevanz der Geschichten in den Mittelpunkt. Bei S-Vibe haben die Nutzer sogar entscheidenden Einfluss darauf, welche Themen prominent gespielt werden. Gemeinsam haben die beiden hier beispielhaft herausgehobenen Apps natürlich auch eine starke Verknüpfung mit den sozialen Netzwerken. Achtung, Murmeltiergruß: Wer im News-Geschäft wahrnehmbar bleiben will, der muss die Möglichkeiten von Social Media für sich nutzen. Das gilt für jeden Art von digitalem Angebot.
Facebook-Stream, Twitter-Feed, WhatsApp-Gruppe sind allesamt (über)mächtige Gegner der Homepage, oder um es anders zu sagen: Social ist die neue Startseite.
Es ist obendrein nicht damit getan, dass sich die Marken stark in den Netzwerken positionieren – stattdessen müssen sich auch die Macher selbst zu Marken machen, sich ihr Publikum erobern. Die sinnvolle Nutzung sozialer Medien ist eine ständig zu erneuernde Kernkompetenz für moderne Journalisten. Das gilt sowohl für die passive als auch für die aktive Nutzung der Socials. Passiv mit Blick auf die Erstellung eines eigenen Nachrichtentickers, auf die Möglichkeit Themen zu identifizieren, die Chance, das Wissen anderer Nutzer anzuzapfen. Auf der anderen Seite spielen die sozialen Netzwerke eine zentrale (ziemlich sicher sogar die entscheidende) Rolle, wenn es darum geht relevant zu bleiben, neue Marken aufzubauen. Eigene Geschichten verbreiten, einen sauber kuratierten Nachrichten-Feed aufzubauen, die direkte Kommunikation mit dem Leser führen zu können – all dies funktioniert nicht mehr ohne Social Media, all dies funktioniert vor allem auf Mobilgeräten.
Nur wenn es gelingt, haltbare Beziehungen zu den Lesern aufzubauen, gibt es auch gute Chancen, aus diesen Lesern (zahlende) Kunden und/oder Promoter dieser Geschichten und Marken zu machen. Die ewig gleichen Fragen zu diskutieren, wird uns dabei nicht weiterbringen. Lasst uns das Murmeltier endlich in Rente schicken. Es gibt Wichtigeres zu tun.
Hier gehts zum Text von Julia Klöckner
Hier geht's zum Text von Prof. Bodo Hombach
Hier geht's zum Text von Dr. Marc Jan Neumann
Hier geht's zum Interview mit Boris Palmer
Hier geht's zum ersten Text von Stefan Aschauer-Hundt
Hier geht's zur Antwort von Horst Seidenfaden
Hier lesen Sie die Thesen von Harald Klipp
Hier geht's zum Text von Holger Schellkopf
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