Radikal regional
von Julia Klöckner
Es gibt nicht die eine Lösung, die das Überleben der Lokalzeitungen sichert. Was es vielmehr braucht, ist eine Vernetzung verschiedener Aktivitäten. Lokaljournalisten müssen wieder selbst Themen setzen, sie dürfen nicht nur Chronisten sein. Sie müssen crossmedial arbeiten. Und: Sie brauchen Raum, um originelle Ideen auch verwirklichen zu können. Von Julia Klöckner
Vielleicht lohnt es sich an dieser Stelle, den Hoffnungs-Begriff „Lokaljournalismus“ einmal in seine zwei Bestandteile zu zerlegen. Da ist zunächst das Lokale. Das Netz 1.0 hat diesen Bereich nicht oder nur sehr ungenügend abgedeckt. Das weltweit wohl einmalige „Netz“ der deutschen Lokal- und Regionalzeitungen tat und tut dies sehr wohl. Neben Informationen liefern die klassischen (Print)-Medien in diesem Nahbereich der Leser den „sozialen Kitt“, ohne den eine Gesellschaft in ihre kleinsten Bestandteile zerfällt. Das Lokale ist und bleibt also auf lange Sicht die ureigenste Domäne der Verlagshäuser. Wenn sie diese nicht vernachlässigen.
Daran wird auch das Web 2.0 mit seinen Möglichkeiten zur Interaktion nicht zwingend etwas ändern. Zwar haben die verschiedensten Social Media-Plattformen den lokalen Raum bis in seine kleinsten Verästelungen durchdrungen. Jeder Kiez, jeder Verein, jedes Thema hat seine eigene „Gruppe“ im Netz. Wer aber glaubt, und da sind wir beim zweiten Wortteil, hier würde Journalismus geboten, der glaubt wahrscheinlich auch, Facebook wäre eine gemeinnützige Organisation.
Die Chefredakteurin des US-Guardian Katharine Viner hielt vor zwei Jahren eine beachtliche Rede an der Universität Melbourne und beantwortete die Frage, warum Journalisten heute nötiger denn je seien, mit der Aufgabe des Berufsstandes als „Wahrheitsager, Sinnstifter, Erklärer“. Mit der Wahrheit ist das natürlich so eine Sache, weil es neben der absoluten stets auch die sehr subjektive gibt. Und Journalisten sind ja auch nur Menschen. Nichtsdestotrotz: Vertrauen, das auf der Glaubwürdigkeit einer Marke basiert, ist das Kapital des klassischen Lokaljournalismus. Wer diese Glaubwürdigkeit nicht verspielt, der wird auch in Zukunft eine (wirtschaftliche) Basis für Journalismus haben, egal ob in Print, oder online. Thomas Haag, Redaktionsleiter der Allgemeinen Zeitung in Bad Kreuznach, hat es treffend auf den Punkt gebracht: „Die Wahrheit hat ihren Preis. Das Geschwätz ist umsonst. Aber weiß das auch jeder, wird das geschätzt? Wenn es nach der Medienvielfalt ginge, dann stünden die Zeichen gut.“
Die Zukunft ist crossmedial
„Deutschland einig Zeitungsland“: Kaum eine Nation hat eine derartige Pressevielfalt vorzuweisen wie Deutschland. In den 16 Bundesländern gibt es mehr als 300 Tageszeitungen. Das sehen wir Politiker nicht nur an dem Pressespiegel, die wir täglich lesen. Zeitungen von Passau bis zur Küste, von Sachsen bis ins Saarland. Die Medienvielfalt ist groß, also alles gut in der Medienlandschaft?
Vielfalt kann es auf Dauer nur geben, wenn die vielfältigen Produkte auch Geld verdienen. Entweder steigen die Preise der Ausgaben um ein Vielfaches, was Leser kosten würde, oder die Anzeigenpreise vervielfachen sich, was Anzeigenkunden kosten würde. Oder die verkauften Auflagen klettern in die Höhe, das Gegenteil ist aber gerade der Fall. Das Leseverhalten unserer Bundesbürger hat sich verändert, die Tageszeitung gehört nicht mehr selbstverständlich auf den Frühstückstisch. Hinzu kommt die Gewohnheit, zu jeder Tageszeit, auch noch vor dem Einschlafen, kostenlos Nachrichten aus dem Netz zu beziehen – oder das lokale Anzeigenblatt mit Berichten aus der Region einmal in der Woche kostenlos im Briefkasten zu haben. Und regionale Radiosender bieten den Anzeigenkunden lokal passgenaue Werbeflächen 24 Stunden lang zwischen Robbie Williams, Helene Fischer und den Amigos.
Keine leichten Zeiten für den täglichen Printjournalismus. Bei den Verlagen läuten spätestens seit der Entscheidung des Springer-Verlags im vergangenen Jahr, sich von seinen Regionalzeitungen zu trennen, die Alarmglocken. Dass einer der mächtigsten Verlage dieser Republik nicht mehr daran glaubt, dass Zeitungen durch Erlöse im Netz die Verluste im Printjournalismus ausgleichen können, ein Erdbeben?
Fünf Millionen Tageszeitungen im Jahr weniger verkauft als vor zehn Jahren, über 50 Zeitungen weniger als vor 20 Jahren, 1,3 Milliarden Euro Werbeerlöse weniger als im Jahre 2006. Das sind allein die Zahlen aus dem Jahre 2013, für 2014 liegen sie noch nicht vor. Besonders in den Großstädten Berlin, Hamburg und München laufen den Zeitungen die Leser weg: bis zu 50 Prozent Auflagenverlust. Die digitale Welt des Netzes hat keinen Platz mehr für die Printmedien – so scheint es. Also: Was erwartet den Lokaljournalismus im „Zeitalter des offenen Internet“?
Gehen wir noch einmal genauer auf Ursachenforschung: Die Deutschen verbringen, erstens, deutlich weniger Zeit mit dem Lesen von Zeitungen, sie sind deutlich länger im Netz, vor allem über Smartphones; im Internet finden sie Nachrichtenseiten und Apps, die sie aktueller, differenzierter und vor allem billiger informieren.
Treffend schildert Cordt Schnibben im Spiegel Ende Februar die digitale Revolution: „Als Steve Jobs vor fünf Jahren das iPad in die Höhe hielt, wurde mir klar, dass sich unser Beruf radikal verändern wird, damals sah ich wie viele noch mehr die positiven als die negativen Veränderungen. Inzwischen ist klar, das Tablets und Smartphones das Zeitungsbudget für alle Printmedien und die Zahl der Leser reduziert, die für Journalismus bezahlen und das Vertriebs- und Werbeerlöse schnell sinken.“
Die Zeitungsverleger haben, zweitens, zu lange darauf vertraut, die kostenlosen Websites ihrer Zeitungen würden aus Online-Lesern Zeitungskäufer machen. Diese Hoffnung ist so nicht in Abozahlen und Kioskabverkäufen aufgegangen.
Drittens bieten inzwischen – unabhängig von den Verlagen – Netzmedien, Foren, Blogs eine Fülle von Informationen, Gedanken und Beiträgen, die dem Leser individueller als Zeitungen helfen, sich zu orientieren. Zumindest macht es diesen Eindruck. Dazu kommen, gerade im Lokalbereich, die Anzeigenblätter als Printkonkurrenz, die ungefiltert oftmals alles abdrucken, was von Vereinen, Verbänden, Parteien kommt.
Online-Nutzer mögen die Mischung aus nötigen und unnötigen Nachrichten. Letztlich erklärt das viertens den Erfolg fast aller Nachrichtenseiten im Netz: Sie sind lesergesteuert, weil die Klicks verraten, was die Leser lesen wollen. Zeitungen sind redakteurgesteuert, sie richten sich mehr danach, was die Leser lesen sollen.
Findet also die Nachricht ihren Leser oder wie bisher der Leser eine Nachricht? Eine beunruhigende Vorstellung, dass die kommende Generationen nur noch die Meldungen vorfinden soll aus Bereichen, die sie immer liest, und nicht mehr der Zufall einen jungen Menschen über den Feuilleton „stolpern“ und Neues entdecken lässt. Wer gern Boxen anschaut, sich über schnelle PS informiert und dazu ein bisschen Klatsch, der wird dann in Zukunft auch nur das serviert bekommen? Bitte nicht!
Die Frage ist: Gibt es einen Weg aus dieser „Abwärtsspirale“? Fasst man die zahlreichen Debatten und Diskussionen in den verschiedenen Medien zusammen, behaupten Experten, Zeitungsprofis und Internetgurus unisono: Die Zukunft des Journalismus liegt im Lokalen – ob Print oder Online. Doch der wirtschaftlich schmerzende Rückgang der gedruckten Auflagen bei den Tageszeitungen, egal ob in einer Weltstadt oder in einer Verbandsgemeinde in Rheinland-Pfalz bei gleichzeitigem Schrumpfen der Anzeigenteile – lässt sich das wirklich mit Zuversicht, besserer Qualität und Ausbildung oder mehr Lesernähe bekämpfen? Tatsache ist: Das Überleben der lokalen Tageszeitungen sichert nicht ein alleinseligmachendes Konzept, sondern nur eine Vernetzung zahlreicher Aktivitäten.
Der Inhalt steuert den Erfolg
Journalismus oder speziell Lokaljournalismus, ist kein Geschäft, wie die Produktion von Plastikbechern. Journalismus ist etwas ganz Spezielles, und seine Wächter- und Kontrollfunktion gegenüber Verwaltung, Staat und gewählter Regierung ist ein Lebensnerv der Demokratie.
Ich finde, und das bestätigen mir viele Journalisten, mit denen ich in allen Teilen unseres Bundeslandes zusammentreffe, dass die Lokalredaktionen wieder in der Lage sein müssen, selbst Themen zu setzen. Lokaljournalisten dürfen nicht länger mehr Chronisten sein, die einfach nur festhalten, was alles passiert. Das können lokale Blogs, Twitter, Facebook, das können Vereine auf ihren Internetseiten, Verbände mit Presseabteilungen und die Verwaltungen mit ihren Newslettern genauso gut oder besser. Deshalb sollten die Redakteure vor Ort versuchen, die Routineberichterstattung auf das notwendige zu beschränken und wieder mehr eigen recherchierte Meinungsbeiträge ins Blatt heben.
Den Verlagen muss klar sein, dass der Lokaljournalismus ihr „Zugpferd“ ist. Dazu gehört kompetentes, kreatives Personal, das die individuellen Interessen und Probleme von Bürgern, Politik und Wirtschaft im jeweiligen Verbreitungsgebiet kennt. Klar ist: Online-Journalismus hat mit Zeitungs-Journalismus nur bedingt zu tun. Im Online-Journalismus geht es um schnelle Schlagzeilen und viele Klicks. Die Zeitung will die Nachricht hinter der Nachricht zu seinen Lesern transportieren. Die Blattmacher sollten also nie versuchen, mit den digitalen Medien in einen Aktualitätswettbewerb einzutreten. Wer nur zwischen Tür und Angel Informationen konsumiert, der liest in der Regel keine Tageszeitung.
Die Redakteure selbst sind das Problem?
Verfolgt man die Diskussion über die Zukunft der Zeitungen wird auch oft über eingefahrene Strukturen, Beamtenjournalismus und sogar von „Vergreisung“ der Redaktionen gesprochen. Ich kenne andere Redaktionen, mein Eindruck mag aber täuschen. Hier wird der Vorwurf transportiert, die Mehrheit der Menschen, die heute für Zeitungen arbeiten, sind gar nicht mehr Willens und in der Lage, die Interessen ihrer Leser, die sich gewandelt haben, aufzugreifen und in Themen umzusetzen. Mal abgesehen davon, dass in den meisten deutschen Unternehmen die Mehrheit der Mitarbeiter demografiebedingt nicht mehr Anfang 20 ist, denke ich, dass es eher darauf ankommt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren und ihnen Zeitfenster zu schaffen, in denen sie eigene originellen Ideen entwickeln und einen vertrauenswürdigen Draht zu validen Informationsgebern aufbauen können. In den Lokalredaktionen steckt mehr Potenzial und Kreativität, als viele vermuten. Dem steht aber ein Personalabbau gegenüber, der kaum Kreativität zulässt. Wer im Übrigen die Überalterung der Redaktionen beklagt, sollte wissen, dass man keine jungen Leute für den Beruf des Journalisten motivieren kann, wenn weder eine vernünftige Bezahlung noch ein sicherer Arbeitsplatz im Verlag geboten werden. Und es sind ja gerade die älteren „Schlachtrosse“, von denen man das „Geschäft“ nachhaltig lernt, zumindest sind sie es, die einen beeindrucken und an den Erfahrungen teilhaben lassen. So habe ich es zumindest selbst in meiner Volontärszeit in einem Zeitschriftenverlag erleben dürfen.
Die Nachricht muss zum Leser
Glaubt man Diskussionsforen, Fachleuten und Medienexperten, die in der Hauptsache eng mit der Digitalwirtschaft verbunden sind, ist die gedruckte Tageszeitung ein Produkt von gestern. Ihr Argument: Schon heute wird die gesamte Zeitung, ihre Struktur und ihre einzelnen Elemente, digital erstellt, und ihre Vergegenständlichung auf Papier ist bereits jetzt ein teurer Medienbruch, der einschließlich der aufwändigen Transportlogistik schon bald nicht mehr notwendig sein wird. Oder wie berichtete der Spiegel über eine Aussage von Alan Rusbridger, dem Chefredakteur des linksliberalen Guardian aus England? „Der Vertrieb von Zeitungen“, so das Zitat, „sei doch eigentlich eine Sache aus dem 19. Jahrhundert“. Bäume abholzen, Papier bedrucken, mitten in der Nacht die Stapel mit der neuesten Ausgabe durchs Land karren – diese Vorgehensweise der Nachrichtenverbreitung „ist betriebswirtschaftlich überholt.“
Klar ist, dass die gedruckte Zeitung in Zukunft nur noch eine von mehreren Wegen der Nachrichtenübermittlung sein wird und auch heute schon zum großen Teil ist. Verlage müssen in Zukunft noch viel mehr als heute crossmedial arbeiten. Die großen Tageszeitungen in meinem Bundesland Rheinland-Pfalz haben dies schon lange verstanden und sind hier aktiv. Ich nenne hier nur das Beispiel der Koblenzer Rhein-Zeitung: Bei entsprechenden Themen und Ereignissen werden die Nachrichten sofort Online in das eigene Portal gestellt, es gibt einen Ticker, der die Ereignisse direkt live liefert, ein Livestream mit dem Handy wird produziert, Fotostrecken erstellt und Videobeiträge abrufbar gemacht. Vergleichbar agieren auch andere große Tageszeitungen in Rheinland-Pfalz, wie beispielsweise die in Mainz erscheinende Allgemeine Zeitung, die Rheinpfalz aus Ludwigshafen oder der Trierische Volksfreund aus Trier.
Man ist per Twitter und Facebook aktiv, auch eine App für Smartphones und Tablets ist vorhanden. Jeder Redakteur in den vielen Lokalredaktionen des Verlages muss in der Lage sein, die Nachrichten, Berichte, Interviews und Hintergrundtexte analog und digital zu verbreiten. Gleichzeitig bleibt die gedruckte Zeitung für die weitere Berichterstattung am nächsten Tag erhalten. Denn wichtig ist auch, was viele Mediengurus offensichtlich nicht sehen wollen: Die Nerds und Hipster, die junge urbane Bevölkerung informiert sich sicherlich in der Hauptsache über kostenfreie Angebote im Internet, über Twitter oder Facebook. Doch die Mehrheit der Bevölkerung präsentiert sich in anderen Altersgruppen, konsumiert noch die klassischen Medien – das lineare Fernsehen und die gedruckte Zeitung. Dies wird sich meiner Ansicht nach trotz zahlreicher Unkenrufe nicht über Nacht ändern. Kein Grund zum Zurücklehnen.
Meine These: Lokaljournalismus hat dann eine gute Chance, wenn er radikal regional ist. Und wenn die drei „N“ beachtet und für den Leser immer wieder erfahrbar werden: Neues, Nähe, Nutzen. Das macht ein gutes Zeitungs-Hand- und Kopfwerk aus. Wie gesagt: Die Wahrheit hat ihren Preis. Das Geschwätz ist umsonst.
Julia Klöckner wurde am 16. Dezember 1972 in Bad Kreuznach geboren. Sie ist Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag Rheinland-Pfalz und seit Dezember 2012 stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei.
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