Zukunft des Lokalen

Unverzichtbar für eine funktionierende Demokratie

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Auch Politik muss sich an der Debatte über die Zukunft des Lokaljournalismus beteiligen. Denn Journalismus und publizistische Vielfalt tragen zur Funktionstüchtigkeit einer Gemeinde, einer Stadt, eines Staates bei. Dort, wo es keine Tageszeitungen mehr gibt, sinken die Wahlbeteiligung und die Bereitschaft, sich öffentlich und zivilgesellschaftlich zu engagieren. Keiner schaut mehr so genau hin, was Regierung, Verwaltung und Wirtschaft tun. Von Dr. Marc Jan Eumann.

Es ist noch nicht lange her, da konnten wir auf die herausragende Vielfalt an Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen hinweisen. Innerhalb weniger Jahre hat sich dies geändert: Redaktionen wurden geschlossen oder zusammengelegt, Zeitungen verschwanden oder gingen in anderen Titeln auf. Heute müssen wir feststellen, dass beinahe die Hälfte, nämlich 45 Prozent der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen, keine Auswahl mehr hat, wenn sie sich via Zeitung über das Geschehen vor Ort informieren will. Diese Entwicklung gilt – wenn auch abgeschwächt – für lokale und regionale Hörfunk- und Fernsehangebote. Natürlich kann die Politik, die sich zur Vielfaltssicherung verpflichtet hat, dies nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen. Journalismus und publizistische Vielfalt tragen zur Funktionstüchtigkeit einer Gemeinde, einer Stadt, eines Staates bei, sie sind verfassungsrechtlich konstitutiv für eine funktionierende Demokratie.

Es gibt Studien, vornehmlich aus den USA, die beweisen: Dort, wo es keine Tageszeitungen mehr gibt, sinken Wahlbeteiligung und Bereitschaft, sich öffentlich und zivilgesellschaftlich zu engagieren. Keiner schaut mehr so genau hin, was Regierung, Verwaltung und Wirtschaft tun. Sicher, die Meinungsvielfalt im Internet ist grandios, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die digitale Öffentlichkeit keinen professionellen Journalismus ersetzt. Sie ergänzt ihn, sie fordert ihn heraus. Journalismus ist dabei kein Selbstzweck, sondern essentiell für eine lebendige, veränderungsfähige Gesellschaft. Der mediale Strukturwandel trifft deshalb nicht nur Verleger und Journalisten, sondern die demokratische Gesellschaft insgesamt. Es gibt also nicht nur eine unternehmerische Verantwortung der Verlage, sondern auch eine der Politik und Gesellschaft, um den unabhängigen und professionellen Journalismus – auch auf lokaler Ebene – zu sichern.

Drei Säulen des Lokalen

Ich gehe dabei von drei Überzeugungen aus: Erstens, dass es genau die exklusive Vernetzung in der Region ist, die den Medienhäusern wesentlich dabei helfen kann, den digitalen Wandel erfolgreich zu überstehen. Zweitens, dass die Digitalisierung selbst dem Lokaljournalismus Exklusivität bescheren wird. Drittens, dass die Politik die rasanten Veränderungen in der Medienlandschaft nicht nur beobachten darf, sondern bei der Suche nach Entwicklungspotential auch jenseits der Regulierung konstruktiv mitdiskutieren kann, vielleicht sogar muss.

Es gibt ein Beispiel, das diese Haltung besonders gut untermauert: Datenjournalismus, zumal auf lokaler Ebene, blieb bislang äußerst diffus. Projekte aus den USA und Großbritannien wurden bei uns als beeindruckende Ausnahmen wahrgenommen, nicht als eigenständiges Genre. Neben vielen anderen Vorstößen in Deutschland hat aber vor allem das mehrfach ausgezeichnete „Interaktiv-Team“ der Berliner Morgenpost in den vergangenen Jahren gezeigt, wie sich eine Zeitung mit Hilfe des Datenjournalismus ihren Lesern wieder nähern kann: Hier arbeiten Programmierer und Journalisten Hand in Hand, übersetzen umfassende Datensätze in relevante Fakten für Jedermann: Es geht um Mieten, Flugrouten, Wahlergebnisse, Feinstaubbelastung – um Daten auf kommunaler Ebene. Dort, wo Alltag unmittelbar erlebt wird.

Diese Daten sinnvoll aufzubereiten, verlangt einerseits nach professionellen Journalisten, die vor Ort die Daten sammeln und einordnen. Sie verlangt andererseits nach technischer Expertise. Persönliche Recherche und Automatisierungsprozesse vereinen sich zu einer neuen Herangehensweise an den Journalismus. Die Zeitung generiert Informationen, die ohne aktive regionale Vernetzung und ohne die neuen digitalen Darstellungs- und Erzählformen nicht konsumierbar wären. Damit kehrt die Zeitung zu ihrem Kerngeschäft zurück: Sie liefert exklusive Nachrichten für den Einzelnen. Sie kann mit evidenzbasiertem Journalismus Themen besetzen, die Leser unmittelbar betreffen. Nähe und Exklusivität das sind Grundvoraussetzungen dafür, das Interesse der Leser und auch deren Zahlungsbereitschaft wieder zu erhöhen. Es sind schließlich vor allem die lokalen Nachrichten, nach denen die meisten Leser, nämlich mehr als 80 Prozent, in ihren Zeitungen suchen. Lokales steht ganz oben. An dieser Rangliste hat sich seit 25 Jahren nichts geändert. Diese Nachfrage gilt es zu bedienen.

Zurück zur Wächterfunktion

Die Zeitung kehrt damit zurück zu ihrer Wächterfunktion. Sie extrahiert aus dem bisher unentwirrbaren Datenwust beim Staat und den kommunalen Behörden Transparenz. Mit der Nachfrage durch Journalisten nach relevanten Daten für Jedermann ist die Politik nicht mehr nur aufgefordert, sich zu öffnen, sie wird dazu gezwungen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen verfolgt das Ziel der Datentransparenz zwar schon länger unter dem Stichwort open.nrw und hat dabei alle Bürger im Blick. Aber es ist klar, dass diese Entwicklung durch Datenjournalisten neue Verve bekommt, weshalb wir aktiv den Austausch mit ihnen suchen.

Das Beispiel aus Berlin bestätigt meine Überzeugungen aber noch in weiterer Hinsicht: Julius Tröger, Mitglied im „Interaktiv-Team“, hat in seiner Weiterbildung zum Datenjournalisten erheblich von alternativen Finanzierungsmodellen profitiert. Mit Hilfe eines Stipendiums hospitierte er im US-amerikanischen Online-Magazin Pro Publica. Eine Stiftung, die vom Vermögen eines milliardenschweren Ehepaars zehrt, das schlicht journalistische Arbeit schätzt. Das ist eine Art der Wohltätigkeit, die wir in Deutschland nicht kennen. Es liegt mir auch fern, Journalismus zur Sache der Philantropie zu erklären. Aber das erfolgreiche Zusammenspiel unterschiedlicher Kapitalisierungen ist mindestens eine Vorlage für eine Diskussion über den Wert von Journalismus, die auch von der Politik vorangetrieben werden muss.

Experimente mit Erlösmodellen

In Deutschland wird vieles bereits erprobt, damit aufwendig recherchierte Geschichten überhaupt erzählt werden können: Sei es das Social Payment der taz, die auf Freiwilligkeit setzt. Darauf, dass Leser Inhalte zu schätzen wissen und Autoren dafür belohnen wollen. Oder sei es das Crowdfunding, das etwa den Start des Online-Magazins Krautreporter ermöglichte. Nicht zuletzt flossen auch Stiftungsgelder in dieses Projekt. Oder sei es das Modell der Initiative Correct!v, die sich ebenfalls über Crowdfunding finanziert, aber gemeinnützig arbeitet. Jeder Geldgeber erhält eine Spendenbescheinigung. Initialförderung bekam auch diese Plattform von einer Stiftung.

Natürlich bleibt es Sache der Verlage und Journalisten, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es ist allerdings geradezu absurd, dass Beiträge der Politik im Allgemeinen und der Medienpolitik im Besonderen allein mit dem reflexartigen Verweis auf die gebotene Staatsferne und Freiheit der Medien diskreditiert werden. Beides wird überhaupt nicht in Frage gestellt, noch nicht einmal tangiert. Warum also nicht einige Schritte gemeinsam gehen? Wie es im Übrigen bereits zwei sehr andersartig organisierte Medien praktizieren: Verlage und der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Beispiel sind Gründungsgesellschafter der Nachrichtenagentur dpa und arbeiten da mit großem Erfolg zusammen, der eine privat, der andere beitragsfinanziert.

Stiftung „Vielfalt und Partizipation“

Deshalb bin ich froh, dass Nordrhein-Westfalen angesichts vieler Anregungen aus der Branche so mutig war, eine Debatte über die Zukunft auch des Lokaljournalismus anzustoßen: Das Ergebnis ist die Stiftung „Vielfalt und Partizipation“, die nun in der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist. Sie finanziert sich zu einem großen Teil durch den Haushaltsbeitrag, ist staatsfern wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk, unabhängig und gemeinnützig. Sie soll den Wandel im lokalen und regionalen Journalismus analysieren und dazu beitragen, innovative journalistische Angebote und neue Finanzierungsmodelle voranzutreiben und Pioniere zu vernetzen. Keine Rettung, keine Presseförderung – eine Ergänzung soll die Stiftung sein. Wichtig: Sie steht auch Dritten offen, die durch ihre Teilnahme über Erfolg und Misserfolg dieses Projektes mitentscheiden können.

Nochmal: Die Produkte von Verlagen, Medienhäusern und Journalisten stehen im Kontext gesellschaftlich relevanter Massenkommunikation. Sie sind immer beides: Wirtschafts- und Kulturgut.  Deshalb bin ich auch weiterhin überzeugt, dass sich die Politik angesichts der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung der Medien bei der Suche nach dem Erhalt der Vielfalt im Journalismus – auch im Lokalen – nicht nur beteiligen kann, sondern muss.

Dr. Marc Jan Eumann ist 1966 in Hamburg geboren. Er ist verheiratet und hat drei Töchter. In Bonn und Köln studierte er Geschichte und Völkerrecht. 1991 schloss er mit dem Magister Artium ab. Seit Juli 2010 ist er Staatssekretär bei der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien in Nordrhein-Westfalen.

Autor

Dr. Marc Jan Eumann
Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen
Postanschrift: D-40190 Düsseldorf
Stadttor 1, 40219 Düsseldorf
Telefon: 0211 837 - 16 11

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