Zukunft des Lokalen

Wir sind zu bieder

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In vielen Redaktionen fehlt der Mut, neue Formen auszuprobieren, und die Bedeutung des Wandels ist noch nicht richtig erfasst. Eine Antwort auf Stefan Aschauer-Hundt. Von Horst Seidenfaden

Verwunderlich ist, dass die Debatte mit diesen Thesen im Jahr 2014 geführt wird. Damit sind wir ein paar Jahre zu spät dran. Und in Zeiten, in denen immer noch Kongresse über das Thema „Kinderseiten in den Zeitungen“ veranstaltet werden, wächst die Erkenntnis, dass die Branche immer noch nicht begriffen hat, dass sich die Entwicklung der Medienlandschaft insgesamt und das Medienkonsumverhalten vor allem von Jüngeren schneller ändert als die Denke in den Redaktionen.

Wer ist hier der Ableger?

Klar: Im Mittelpunkt steht die Story – beziehungsweise der Inhalt insgesamt. Aber allein der Begriff „Zeitung mit ihren digitalen Ablegern“, wie Stefan Aschauer-Hundt schreibt, lässt doch vermuten, dass die Wechselwirkungen der medialen Plattformen nicht komplett verinnerlicht wurden. Sollten wir nicht akzeptieren, dass Zeitung zunehmend zum Ableger digitaler Aktivitäten wird? Hier wird immer noch Einbahnstraße gedacht, nach dem Motto: „Wir sammeln mal alles für die Zeitung und tun das irgendwie ins Internet, das akzeptieren irgendwann auch jüngere Leser.“

Das ist ja das Paradoxe: Wir kümmern uns nach wie vor intensivst um Zeitung mit dem Argument, sie sei die Cashcow für alles andere – und rechtfertigen so das Beharren auf traditionellem Journalismus. Ist das Ergebnis dieses Journalismus aber eines, das man hinter einer wie auch immer gearteten Paywall verkaufen kann? Hand aufs Herz: Wer würde freiwillig für die redaktionellen Inhalte, die Deutschlands Regionalzeitungen täglich anbieten, online Geld ausgeben? Die User jedenfalls tun es nicht, sonst wäre der Misserfolg aller Paywall-Experimente nicht zu erklären.

Mut zu neuen Formen

Wir bieten also nicht die Nachrichten- und Info-Formate an, die man braucht, um – bei einer sich weiter in Richtung mobile Endgeräte verschiebenden Internet-Nutzung – Kunden zu interessieren und im besten Fall kostenpflichtig zu binden. Der Hundertzeiler vom Kreistag ist nichts, was man in der Straßenbahn auf dem Smartphone (bei einhändiger Bedienung) lesen möchte. Auch ein Dreißigzeiler ist es nicht. Was also tun? Und: Sind wir überhaupt schnell genug mit unseren Infos? Sind wir mutig genug, neue Formen auszuprobieren und den Misserfolg als Erkenntnisgewinn zu verbuchen?

Die Zeitungsinhalte von heute werden morgen nicht völlig verzichtbar sein. Aber als Marke bei jungen Leuten wird man nicht allein daran gemessen, ob man meinungsstarke Lokalteile hat, wie sie Stefan Aschauer-Hundt vorschlägt. News-Konsum wird sich zu Infotainment verändern – ob wir wollen oder nicht. Und dazu reicht das, was wir so schön als unser Handwerk bezeichnen, nicht aus. Die Defizite in den Redaktionen werden also größer: Wir sind zu langsam, zu bieder, zu wenig vielseitig und wir haben nicht genug Mut, um Neues zu versuchen.

Relevanz und Qualität

Auch ich habe kein Patentrezept für die Bewältigung der Krise, in der wir bereits stecken. Aber die Unruhe wächst und mit ihr hoffentlich die Bereitschaft, endlich mal darüber nachzudenken, ob der Lokaljournalismus heutiger Prägung, wie er landauf, landab noch gelebt wird, nicht mit Blick auf eine wichtige Erkenntnis auf den Kopf gestellt gehört: Es gibt keinen sogenannten Qualitätsjournalismus der Art, in der er jahrzehntelang auf grüblerischen Kongressen diskutiert wurde. Die Zukunft gehört relevantem Journalismus. Das heißt: Ergebnisse journalistischer Arbeit müssen für die Kunden relevant sein – und sie müssen relevant präsentiert werden. Relevant fürs Smartphone, für Facebook, für den lokalen Blog, die Website der Zeitung, als Breaking News, als gut kommentiertes, unterhaltsames und informatives Themenangebot in der Zeitung und im Netz.

Neue Darstellungsformen finden

Aber wir müssen auch akzeptieren und zulassen, dass das Netz, die Konsumgewohnheiten der User, die Zeitung sich verändern: Die Themenauswahl wird sich wandeln, die Textlängen werden schrumpfen müssen, wir werden mehr Orientierung im Alltag bieten müssen – nicht über das Abstimmungsergebnis des Kreistags und die Reden dort berichten, sondern über die Auswirkungen des Beschlusses, und wir müssen gleichzeitig die Betroffenen befragen. Und wir werden andere, unterhaltsam-informative Darstellungsformen finden müssen. Nein, die Zeitung soll kein Varieté werden. Sie soll nur moderner werden. Und relevanter.

Autor

Horst Seidenfaden
Chefredaktion
Hessische/Niedersächsische Allgemeine
Telefon 0561– 203 14 12
E-Mail: hos@hna.de

 

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