Fiene checkt

Facebook. Warum der Riese schwächelt

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Daniel Fiene stellt Facebook auf den Prüfstand. (Foto: AdobeStock/AA+W)
Daniel Fiene stellt Facebook auf den Prüfstand. (Foto: AdobeStock/AA+W)

„Ich nutze Facebook kaum noch privat”, sagen so manche Kollegen. „Die Jugend ist schon weitergezogen”, sagen andere. Langjährige Socials trauern den Erfolgen der Anfangsjahre hinterher. Tatsächlich: Wer heute einen Link zu einem Artikel auf Facebook postet, erreicht im Schnitt einen geringeren Anteil der Facebook-Follower als noch vor Jahren.

Viele Medien verzeichnen einen Traffic-Rückgang, es kommen weniger Besucher auf die eigene Verlagsseite. Die Reichweite wird weniger durch Werbung monetarisiert oder für den Verkauf von Digitalabos genutzt. Oft gibt die Branche dem mächtigen Algorithmus von Facebook die Schuld. Mal strafe das Netzwerk Nachrichtenanbieter ab, mal eine bestimmte Postingform.

Wer heute einen Link zu einem Artikel auf Facebook postet, erreicht im Schnitt einen geringeren Anteil der Facebook-Follower, als noch vor Jahren.. (Symbolfoto: AdobeStock/gustavofrazao)
Wer heute einen Link zu einem Artikel auf Facebook postet, erreicht im Schnitt einen geringeren Anteil der Facebook-Follower als noch vor Jahren. (Symbolfoto: AdobeStock/gustavofrazao)

Es bleibt bei vielen Kollegen der Eindruck, dass die Goldenen Zeiten für Facebook vorbei sind. Warum sich also auch noch Mühe geben, gegen einen Algorithmus zu spielen, der als undurchschaubar gilt. Entsprechend trostlose sehen inzwischen viele Facebook-Seiten von Medienhäusern aus.

Eine Aufgabe für Sie

Nehmen Sie sich einmal 15 Minuten Zeit, rufen Sie die Facebook-Seiten von unterschiedlichen Medienmarken auf. Scrollen Sie sich durch die Postings der letzten Woche. Egal ob eine Lokalzeitung im Westen oder im Osten des Landes, ein überregionaler Radiosender, eine bundesweite Tageszeitung oder eine reichweitenstarke Nachrichtenwebseite. Das Bild ist bei einem großen Teil ähnlich: Die Postings sind zu lieblosen Linkschleudern verkommen. Der Text wird einfach aus dem Artikel kopiert. Die eigene Nachrichtenlage wird abgedeckt. Aktives Community-Management findet kaum statt. Einige übernehmen ihren Instagram-Content. Andere posten vollautomatisch und haben sich irgendwie aufgegeben.

Auf einer Skala zwischen Wut-Emoji und Einhorn scheint das Social-Media-Verhältnis zwischen Redaktionen und Facebook höchstens die Marke „Grumpy Cat“ zu erreichen. Das ist aber nicht schlimm. Das ist die Chance für Ihre Lokalredaktion.

Oft werden die anfangs erwähnten Beobachtungen in der Branche als Ereigniskette wahrgenommen. Wenn man etwas genauer hinschaut, gibt es meist Antworten: Die Ursache einer Wirkung liegt auch an den Usern. Sie nutzen Facebook heute anders als vor einem, zwei oder gar fünf Jahren.

Ein oft gehörter Fall: Wenn ein Linkposting nicht gut funktioniert hat, argumentieren Social-Media-Redakteure oft, der Inhalt erreiche als Bild-Posting mehr Menschen. Weil der Algorithmus Bilder bevorzuge. Meine Beobachtung ist aber eine andere. Vielleicht liegt es auch an der verlinkten Webseite. In den letzten Jahren hat sich der Anteil der User, die Facebook nur mobil nutzen, dramatisch erhöht. Wenn die verlinkte mobile Webseite nur langsam lädt oder der Inhalt keinen wirklichen Mehrwert bietet, surfen die User ungeduldig weiter.

Das merkt sich der Algorithmus. Er wählt künftiger weniger Linkpostings dieser Facebook-Seite für die entsprechenden User an. Viele privatwirtschaftliche Nachrichtenmedien erreichen auch heute noch beachtliche Traffic-Erfolge. Sie haben ihre Webseiten in der Regel entsprechend optimiert. Öffentlich-rechtliche Angebote verzichten gerne auf Linkpostings. Vielleicht liegt es auch daran, dass ihre Webseiten unter anderen strategischen Gesichtspunkten optimiert wurden.

Häufige Missverständnisse über Facebook:

  • „Facebook erreicht weniger Menschen” oder „die Jugend ist doch gar nicht mehr bei Facebook”. Schauen wir auf die Zahlen. Eine gute Quelle ist die ARD-ZDF-Onlinestudie, die repräsentativ das Online-Verhalten der deutschsprachigen Bevölkerung analysiert. Schlagzeilen wie „Instagram überholt Facebook” begleiteten die Veröffentlichung der aktuellen Zahlen. Der genaue Blick zeigt aber: Wöchentlich nutzen mindestens 26 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung Facebook. Aber nur 20 Prozent Instagram. Lediglich bei der täglichen Nutzung ist der Instagram-Anteil höher. Denn: Die eigenen Freunde posten inzwischen lieber bei Instagram. Jede Stunde gibt es neue Inhalte. Zu Corona-Zeiten gab es weitere Gründe, die Facebook-App seltener zu nutzen: Der beliebte Veranstaltungskalender wurde von einem Tag auf den anderen nutzlos. Wir sehen: Die Nutzung von Facebook verändert sich. Es gibt aber trotzdem kein soziales Netzwerk, dass mehr Menschen erreicht. Bei den 14 bis 29 Jährigen liegt der Anteil noch höher: 44 Prozent nutzen wöchentlich Facebook. Instagram erreicht zwar 65 Prozent. Das sind mit Abstand die beiden wichtigsten Netzwerke, um Menschen unter 30 zu erreichen. TikTok und Snapchat können (noch) nicht mithalten.
  • „Der Algorithmus ist geheimnisvoll”. Vor wenigen Jahren hat Facebook eine Kampagne gestartet, um den Algorithmus transparenter zu machen. Eine Reihe von Erklärvideos und Workshops sind auch Medien angeboten worden. Solch eine Sammlung gab es vorher nicht. Aber seit den frühen Anfangsjahren hat Facebook Änderungen am Algorithmus im eigenen Blog kommuniziert und erklärt. Wer einmal das Archiv durcharbeitet, bekommt ein sehr genaues Bild über die Funktionsweise des Algorithmus.
  • „Facebook hat doch etwas gegen Medien”, so werden sich in der Branche viele Strategiewechsel von Facebook erklärt. Ich sehe in der Ursache dieser Wirkung aber eine andere: Facebook schaut sich ständig an, wie sich die Nutzung der Plattform verändert. Das oberste Ziel von Facebook: Die Plattform für die User attraktiv zu halten, damit die Verweildauer wächst. Das führt zu einer verbesserten Vermarktbarkeit. Die Bilanz freut es. Facebook sieht auch, dass Menschen Facebook als Nachrichtenquelle nutzen. Nicht ohne Grund ist während der Corona-Pandemie die Einführung von Facebook News in Großbritannien und Deutschland geplant und umgesetzt worden. Übrigens: US-Publisher berichten, dass sie durch die Teilnahme an Facebook News 26 Prozent mehr Traffic erhalten.

Facebook hat trotzdem ein Problem: Es weiß nicht, wofür die eigene Plattform inzwischen steht. Instagram platziert sich als Unterhaltungsplattform. WhatsApp ist die Kommunikationsplattform. Aber was ist Facebook? Das alte Mantra der Facebook-Mitarbeiter, das Netzwerk sei ein Ort, um Familie und Freunde zu verbinden, geht nicht mehr auf. Neben dem Newsfeed gibt es inzwischen große Gaming- und Video-Bereiche. Dann einen Dating-Bereich. Es gibt einen Marktplatz, aber auch eine Jobbörse. Und das Thema Gruppen hat Facebook ebenfalls stark befeuert. Die Firma von Mark Zuckerberg hat derzeit viele Wetten laufen. Welcher Bereich wird gewinnen? Facebook scheint selbst noch auf der Suche zu sein.

Diese Situation können Redaktionen aber nutzen, besonders Lokalredaktionen.

Warum Facebook für Lokalredaktionen interessant ist:

  • Über Jahre haben Medien beachtliche Followerschaften aufgebaut, die es oft auf anderen Plattformen in dieser Größe noch nicht gibt. Statt Facebook aufzugeben, wäre es klüger, einen Teil der Energie für neue Plattformen wieder für Facebook zu nutzen. Wer halb so viel Mühe in Facebook steckt, wie in ein wachsendes neues Netzwerk, wird bei Facebook mehr Erfolgschancen haben.
  • Facebook ermöglicht es Medien besonders gut, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Legt Ihr Haus Wert auf eine große Reichweite auf dem eigenen Portal? Die richtige Postingstrategie macht es möglich. Möchten Sie besonders viele Digitalabos verkaufen? Viele Medien erzielen über Facebook Abschlüsse. Die Nutzer und Facebook akzeptieren das Verlassen der Plattform – wenn der verlinkte Inhalt einen Wert bietet. Bei Instagram ist das anders: Dort muss alles auf der Plattform stattfinden.
  • Lokale Inhalte sind bei Facebook-Nutzern sehr beliebt. Haben Sie auch einen Blick auf die beliebten lokalen Facebook-Gruppen in Ihrer Region? „Du bist Wuppertaler, wenn …” oder die unendlich vielen Nett-Werke. Auch Facebook registriert das Interesse der Nutzer an lokalen Inhalten. In den USA hat Facebook die Funktion „Today in“ in mehr als 6000 Städten ausgerollt. Das ist eine Box im Newsfeed, die lokale Postings, Links zu Lokalnachrichten und örtlichen Gruppen ausspielt. Befindet sich ein User in einer dieser Städte, erscheint die Box im Newsfeed. Die Inhalte stammen von Facebook-Seiten und Gruppen, denen der Nutzer nicht folgen muss. Ein neues Publikum für die Medien. In Kanada gibt es sogar einen Testlauf mit Nachbarschafts-Gruppen. Hier versucht sich Facebook mit einem hyperlokalen Ansatz. Sollten diese Funktionen nach Europa kommen, ergeben sich somit weitere Möglichkeiten für Ihre Redaktion, hoch relevante Zielgruppen über Facebook zu erreichen.

Fazit: Nein. Facebook wird nicht unwichtiger. Facebook weiß nur nicht so genau, was es in Zukunft sein will. Auch wenn das Image angestaubt ist, erreicht dieses Netzwerk noch die meisten Menschen.

Mein Tipp: Konzentrieren Sie sich wieder stärker auf Ihre Facebook-Seite. Ein gutes Facebook-Posting arbeitet nicht nur nachrichtlich sauber, sondern spricht auch eine Emotion an und fördert Interaktion. Geben Sie Ihrer Seite einen Fokus: Warum sollten Menschen Ihrer Seite folgen? Menschen folgen keinen Marken mehr, sondern suchen einen Benefit für sich. Wählen Sie die Themen entsprechen aus. Und: Löschen Sie nicht nur problematische Kommentare, sondern betreiben Sie aktives Community-Management. Das schätzen Ihre Follower, Sie bekommen wieder mehr Spaß an Facebook und die Erfolge werden sichtbar. Der Algorithmus gönnt, wenn man sich Gedanken über seine Zielgruppe macht.

Links zum Thema:

  • ARD-ZDF-Onlinestudie: Social-Media-Nutzung in Deutschland. Zum Beitrag.
  • „Was mit Medien“-Podcast: Guido Bülow von Facebook erklärt, was die Einführung von Facebook News in Deutschland bedeutet. Zum Beitrag.
  • Video: Facebook erklärt den Newsfeed. Zum Beitrag.
  • Facebooks Guide zum Newsfeed. Zum Beitrag.
  • Facebooks Blog mit Ankündigungen. Zum Beitrag.

Daniel Fiene

ist Medienjournalist und Begründer des Podcasts „Was mit Medien“.

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