„Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Lokalpresse und Kommunalpolitik“
von Stefan Wirner
Alexandra Haderlein hat in ihrer Bachelor-Arbeit im Studiengang Ressortjournalismus der Hochschule Ansbach die Wechselwirkung zwischen Lokalpresse und Kommunalpolitik untersucht. Studienobjekte waren der Lokalteil der Nürnberger Nachrichten, der das größere Nürnberger Lokalgeschehen im Blick hat, und der Nürnberger Stadtanzeiger, eine sublokale Beilage des Blatts. Anhand der beiden Publikationen überprüfte sie, inwieweit lokale Berichterstattung kommunalpolitische Entscheidungen befördert. Die drehscheibe sprach mit ihr über ihre Arbeit.
Lesen Sie auch Teil 2: Das Interview mit Zweitgutachter Michael Husarek, dem stellvertretenden Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten.
Frau Haderlein, wie sind Sie vorgegangen?
Ich habe mir von den Redakteuren des Nürnberger Stadtanzeigers, der sich ja mit dem kleinteiligeren Stadtteilthemen im Norden und Süden Nürnbergs befasst, sechs Fälle aus dem kommunalpolitischen Geschehen der Vergangenheit nennen lassen, bei denen die Redakteure der Meinung waren, dass sie mit ihrer Berichterstattung etwas bewirkt haben. Diese Fälle habe ich dahingehend überprüft, ob es tatsächlich eine Wechselwirkung der Berichterstattung mit der Kommunalpolitik gab.
Wie haben Sie das überprüft?
Ich suchte mir aus dem Archiv der Nürnberger Nachrichten, des Stadtanzeigers und der Nürnberger Zeitung sämtliche Zeitungsartikel zu den sechs Beispielfällen zusammen. Außerdem befragte ich alle weiteren in Nürnberg ansässigen Zeitungen, Nachrichtenagenturen und lokale Radio- und Fernsehsender, um möglichst genau zu rekapitulieren, wer wann und was berichtet hat bzw. wer daraufhin wie reagiert hat. Dazu führte ich rund 33 persönliche Interviews. Außerdem überprüfte ich noch Briefe, Stadtratsbeschlüsse und andere Quellen.
Wie würden Sie das Ergebnis Ihrer Arbeit zusammenfassen?
Es stellte sich heraus, dass der Nürnberger Stadtanzeiger sehr wohl die Funktion erfüllt, die man von einem solchen Medium erwartet: den Informationsauftrag, das Erzeugen von Öffentlichkeit. Er macht sich zum Sprachrohr der Bürger und regt dadurch Debatten an. Indem er für Transparenz sorgt, macht der Stadtanzeiger sich zum Kritik- und Kontrollorgan. Der Bevölkerung macht er klar, dass sie selbst von den Problemen direkt vor der Haustür betroffen ist, er kann sie mobilisieren und so politisches Handeln überhaupt erst auslösen. Es gibt also eine Wechselwirkung zwischen Lokalpresse und Kommunalpolitik.
Um welche Art von lokalen Themen hat es sich bei ihrer Untersuchung gehandelt?
Um völlig verschiedene. Wir haben in Nürnberg zum Beispiel eine interkulturelle Begegnungsstätte, die weit über den Stadtteil hinaus bekannt ist. Diese sollte geschlossen werden, weil angeblich das Geld fehlte. Darüber gab es eine Debatte im Stadtrat – die vom Stadtanzeiger mit befeuert wurde. In einem anderen Fall hat man versucht, die Nürnberger Hallenbäder nicht mehr mit Öl zu beheizen, sondern mit Palmöl. Das sorgte weit über die Stadtgrenzen hinaus für Furore. Es waren also größtenteils sublokale Themen, die aber in manchen Fällen auch über den Stadtteil hinaus auf Interesse stießen.
Welche journalistischen Formen spielten in der Berichterstattung eine Rolle?
Hauptsächlich handelte es sich um Berichte, weniger zum Beispiel um Interviews oder Reportagen. Die Artikel waren sachlich fundiert und gut recherchiert, und die Bürger kamen zu Wort. In den größeren Fällen gab es zum Bericht gleich den Kommentar dazu.
Haben Sie Unterschiede in der Wirkung des Nürnberger Stadtanzeigers und der Nürnberger Nachrichten feststellen können?
Es war meist so, dass der Stadtanzeiger ein Thema aus den Stadtteilen aufgegriffen hat, und wenn man festgestellt hat, dass eine gewisse Brisanz darin steckt, wurde es von der größeren Lokalzeitung, also von den Nürnberger Nachrichten, aufgegriffen.
Sie haben im Fazit Ihrer Arbeit gesagt, dass die lokale Berichterstattung auch Gefahren ausgesetzt sei. Welcher Art sind diese?
Jeder Journalist nimmt das Geschehen auf seine Weise und selektiv wahr, was in der Natur der Sache liegt, weil Journalisten auch nur Menschen sind. Das kann zu einem Objektivitätsproblem führen. Dazu kommt, dass die Wiedergabe der Bürgermeinung, die natürlich sehr identitätsstiftend ist, im negativen Fall auch sehr einseitig ausfallen kann. Da ist Vorsicht geboten. Die veröffentlichte Meinung muss auch nicht immer der öffentlichen Meinung entsprechen. Das muss genau überprüft werden.
Hat die Zeitung bisweilen also auch die Pflicht, anders zu berichten, als es die Bevölkerung gerade gerne hätte?
Sicher. Die Berichterstattung muss – trotz der Funktion als Sprachrohr – objektiv und der Wahrheit verpflichtet sein.
Hat dieser Einfluss der lokalen Berichterstattung auf das kommunalpolitische Geschehen auch Grenzen?
Grenzen gibt es durchaus, das habe ich auch in meiner Arbeit deutlich gemacht. Es gab zum Beispiel einen Fall, da waren die Redakteure zwar der Meinung, dass sie ein Thema mit angestoßen hatten. Sie mussten aber eingestehen, dass viele andere Faktoren auch eine Rolle gespielt hatten. Es spielen einfach viele Faktoren hinein. Ein einziges Medium hat natürlich begrenzte Einflussmöglichkeiten. Es kommt auch auf die Relevanz des Themas an, darauf, ob sich die Bürger überhaupt mobilisieren lassen. Das entscheidet sich von Fall zu Fall.
Man spricht ja allenthalben von der Zeitungskrise. Würden Sie sagen, dass gerade die Wechselwirkung zwischen Kommunalpolitik und Lokalpresse Möglichkeiten bietet, diese Krise zu überstehen?
Auf jeden Fall. In den vielen Gesprächen, die ich geführt habe, kam zum Ausdruck, dass die Menschen, je globaler die Probleme werden, sich umso mehr für die Probleme vor ihrer Haustüre interessieren. Das Lokale ist ein Faktor, mit dem man die Leute für die Zeitung gewinnen kann. Solange die Berichterstattung objektiv bleibt und nicht in Meinungsmache verfällt wie im Stile der einfach gemachten Anzeigenblätter, kann die Lokalpresse hier eine hier eine wichtige Funktion erfüllen und sich neue Chancen auftun.
Lesen Sie auch das Interview mit Michael Husarek, dem stellvertretenden Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, der Zweitgutachter der Bachelor-Arbeit war.
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