Dissertation

„Lokales ist Teil unserer DNA“

von

Daniel Chmielewski ist in der Geschäftsleitung des Medienhauses Lensing tätig, zu dem die Ruhr Nachrichten gehören. Zuvor arbeitete der studierte Diplom-Journalist als Nachrichten- und Projektredakteur im selben Verlag.

Die Auflagen der Lokalzeitungen sinken im Durchschnitt stärker als die der überregionalen Tageszeitungen. Ist das darauf zurückzuführen, dass das Interesse an lokaler Information nachlässt? Der Journalist Daniel Chmielewski ist der Frage nachgegangen und hat untersucht, wie stark das lokale Interesse der Leser von ihrer Ortsbindung abhängt. Für seine Dissertation, die unlängst unter dem Titel „Lokale Leser. Lokale Nutzer“ erschienen ist, befragte er in einer empirischen Studie 3.000 Leser und Nutzer der Ruhr Nachrichten. Die drehscheibe sprach mit ihm über die Ergebnisse seiner Studie und darüber, was sie für die Zukunft der lokalen Medien bedeuten könnten.

Buchcover der Dissertation
Lokale Leser. Lokale Nutzer, Köln 2011, 216 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-86962-033-6

Herr Chmielewski, Sie haben untersucht, wie lokales Interesse und Ortsbindung zusammenhängen. Was hat Sie an dem Thema interessiert?

Ich wollte besser verstehen, warum gerade Lokalzeitungen so stark vom Auflagenverfall betroffen sind. Und warum lokale Nachrichtensites es im Netz oft schwer haben, gemessen an der Attraktivität anderer Angebote. Es gibt ja heute viele Erklärungen dafür. Man kann – was oft und bisweilen zu Recht getan wird - die Anbieter kritisieren, also Medienunternehmen und Redaktionen. Aber nur die Anbieter ins Visier zu nehmen, reicht als Erklärung nicht aus. Man muss auch einen Blick auf die lokalen Leser und Nutzer werfen.

Was haben Sie genau untersucht?

Ich wollte wissen: Hängen lokales Interesse und die Ortsbindung zusammen? Was beeinflusst beide Momente? Ich habe mit Unterstützung durch das Medienhaus Lensing (Dortmund) eine Studie unter Lesern und Nutzern gemacht. Mitgemacht haben 3.000 Leser und User der Ruhr Nachrichten aus Dortmund, Schwerte und Nordkirchen. Es ging mir darum, dieses Thema sowohl in einer Großstadt als auch in einem mittelgroßen Ort und in einem ländlichen Gebiet zu untersuchen. Deutschland ist ja sehr unterschiedlich strukturiert, genauso wie die Lokalzeitungsbranche. Insofern schien es mir sinnvoll, Muster in ganz verschiedenen Orten zu suchen.

Was haben Sie herausgefunden?

Zunächst ist ein Gefühl empirisch bestätigt. Nämlich das Gefühl, dass lokales Interesse ganz stark mit der Bindung an einen Ort zusammenhängt. Ich war aber überrascht, wie bedingungslos diese Beziehung ist. Unabhängig davon, wie alt ein Leser oder Nutzer ist, unabhängig davon, wo er herkommt, unabhängig davon, wie er sozialisiert ist: Er interessiert sich nur für lokale Nachrichten, wenn er auch in seinem Ort verwurzelt ist. Ortsbindung ist also eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass lokale Verlage tatsächlich lokale Nutzer und Leser gewinnen können. Zweitens wird von Lokaltiteln vor allem Lokales erwartet. Insofern ist jeder Ruf berechtigt, der dahin geht, mehr lokale Inhalte aus der Lebenswelt der Kunden anzubieten und lokale Inhalte ganz nach vorne zu holen – sei es im Print oder Online.

Was können Lokalzeitungen daraus lernen und was haben Sie selbst in Ihrer Redaktion verändert?

Zunächst mal sollten Redakteure auf ihr Gefühl vertrauen. Gefühle sind geronnene Erfahrungen, also gar kein übler empirischer Indikator und schon gar keine schlechte Entscheidungshilfe. Lokalverlage mit ihren Redaktionen sind noch immer die wichtigste Informationsquelle für die Menschen vor Ort. Aber entscheidend ist, dass diese Informationen die Lebenswelt der Menschen treffen. Das heißt: entscheidend sind nicht etwa Ortsgrenzen und Ortsschilder. Sondern das Gefühl, zu einem bestimmten Gebiet zu gehören. Wenn sich also ein Lokalredakteur fragt, was für seine Leser interessant sein könnte, sollte er unabhängig vom Thema erst mal weniger auf Verwaltungsgrenzen oder kommunale Gliederungen achten. Sondern er sollte nachempfinden, wo sich Menschen tatsächlich heimisch fühlen. Wenn man an die Verlagsebene denkt, gibt es großes Potenzial bei der Marktforschung. Bislang ist Marktforschung häufig an demographischen Faktoren, wie Alter, Einkommen und Geschlecht orientiert. Aber ich glaube, dass eine raumorientierte Marktforschung noch wesentlich gewinnbringender sein kann. Man muss also herausfinden, wo sich die lokalen Lebenswelten der Leser befinden. Dann kann man für diese Lebenswelten auch leichter passgenaue Angebote schaffen.

Screenshot der Ruhr Nachrichten
Screenshot der Internetseite der Ruhr Nachrichten

Was heißt das konkret am Beispiel der Ruhr Nachrichten?

Ich würde schon im umfassenden Sinne sagen: Wir lieben Lokales. Das beginnt beim Personal, geht über die Produktionsstrukturen und endet bei der Themenauswahl. Die meisten unserer Redakteure sind wirklich vor Ort heimisch. Unser Manteldesk „Westpool“ ist eng verzahnt mit den lokalen Newsdesks. Die wiederum mit den lokalen Reportern. Bei uns auf der Homepage findet man gleich oben das neueste von Nebenan - noch vor dem Überregionalen. Wir glauben einfach, dass Lokales Teil unserer DNA ist. So wie wir Teil des Lokalen sind.

Wie zielführend ist es überhaupt, sich auf lokale Inhalte zu konzentrieren? Führen nicht Globalisierung und Mobilisierung langfristig dazu, dass die Ortsbindung und somit das Interesse an lokalen Informationen abnehmen?

Darüber streiten die Gelehrten. Für diese Vermutung spricht zum Beispiel, dass Lokalzeitungen in ländlichen Gebieten sich stabiler entwickeln als in Großstädten, wo Menschen häufig mobiler sind. Wer kürzer an einem Ort wohnt, hat weniger Zeit, Bindung zu ihm aufzubauen. Die Gegenthese aber scheint mir mindestens genauso wahr zu sein: Auch heute leben wir nicht einer virtuellen Welt. Wir haben immer noch einen Arbeitsplatz – Betonung auf „Platz“. Wir haben immer noch einen Lieblingsort – Betonung auf „Ort“. Wir sind nun mal als Menschen ortsgebunden. Ortsbindung, sich „heimisch fühlen“, ist etwas wunderbar Menschliches. Und weil das so ist, wird es meiner Meinung auch immer ein Grundinteresse an lokalen Informationen geben. Wie das mit Trends so ist, können sie sich schnell ändern. Es gibt heute schon genügend Beschreibungen über Gegentrends zu „Globalisierung und Beschleunigung“. Nennen wir mal: „Cocooning und Entschleunigung“. Schauen Sie, wie gut Land-Magazine heute funktionieren. Sie illustrieren Heimat, ein Stück heile Nahwelt. Die Rückbesinnung auf die Nähe und auf das Geschehen vor Ort ist auch so etwas wie die Sehnsucht nach Geborgenheit in einer sich immer schneller drehenden Welt. Es ist paradox: Alle reden vom Web 2.0. Aber eigentlich sind seine Nutzer noch immer so „Mensch 1.0“ wie immer.

Dementsprechend haben lokale Medien definitiv eine Zukunft?

Absolut. Sie haben eine Vergangenheit. Sie haben eine Gegenwart. Und sie werden eine Zukunft haben, wenn sie die Lebenswelt der Menschen vor Ort treffen. Sie bauen auf dem Interesse an lokalen Informationen auf. Das wiederum speist sich sehr stark aus Ortsbindung. Und Ortsbindung ist nun mal menschlich.

Der Trend geht hin zur Heimatzeitung. Inwieweit ist „Heimat“ die richtige Strategie, um neue Leser zu gewinnen?

Ich halte sie für die absolut richtige Strategie, obwohl der Begriff „Heimatzeitung“ so barock klingt. Wenn man „Heimat“ beschreiben will, würde ich keinen Wissenschaftler zitieren, sondern Herbert Grönemeyer. Der hat gesungen: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“. Wer aber Heimat covern will, muss wissen, wie sich Heimat anfühlt. Es dürfte nicht ganz einfach sein, mit lauter Friesen in der Redaktion einen guten Lokalteil für Garmisch-Partenkirchen zu machen. Und damit sei nichts gegen Friesen gesagt… Auf der anderen Seite müssen Redaktionen ihre Informationen mediengerecht wiedergeben. Eine toll geschriebene Reportage im Print muss Online noch lange nicht funktionieren. Lokales klappt auf jedem Kanal – aber jeder Kanal funktioniert nach seiner Logik. Hier glaube ich, kann die Branche durchaus noch viel lernen.

Interview: Louisa Bügler

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