„Lokalredakteure scheuen soziale Themen“
von drehscheibe-Redaktion
Meiden Lokaljournalisten es tendenziell, über soziale Themen zu berichten? Werden Vorschläge in diese Richtung in den Redaktionskonferenzen zu schnell abgelehnt? Warum bleibt eine kontinuierliche Berichterstattung über diese Themen oft aus? Diese und ähnliche Fragen hat die Journalistin und Sozialwissenschaftlerin Rebekka Sommer in ihrer Forschungsarbeit zum Thema „Fachjournalismus Soziale Arbeit“ untersucht. In einer qualitativen Studie im Fachbereich „Soziale Arbeit“ an der Evangelischen Hochschule in Freiburg hat sie Journalisten und Journalistinnen gefragt, wie sie „Soziales“ definieren, ob und inwiefern sie Sozialarbeiter als Experten wahrnehmen. Die drehscheibe sprach mit ihr über ihre Forschungsergebnisse.
Frau Sommer, wie kamen Sie auf die Idee, soziale Themen im Lokalen zu untersuchen? Fühlen sich Sozialarbeiter mit ihrer Arbeit nicht ausreichend repräsentiert?
Es gibt durchaus Studien, die genau das zeigen. Soziale Themen kochen in Lokalzeitungen immer mal wieder hoch – erinnern wir uns an den Fall Kevin. Aber eine kontinuierliche Berichterstattung bleibt zumeist aus. Viele Themen kommen eindeutig zu kurz.
Was für Themen sind das?
Da denke ich etwa an die Kindeswohlgefährdung, was in Frauenhäusern passiert oder auch an das Thema Überschuldung.
Warum widmen sich Journalisten dem so wenig?
Es liegt sicherlich nicht daran, dass sie sich nicht dafür interessieren. Vielmehr ist es so, dass wegen der Fülle an Themen, die täglich auf sie einprasseln, fast ausschließlich solche mit aktuellem Bezug ins Blatt finden. Soziale Themen sind jedoch selten aktuell, haben meist keinen expliziten Aufhänger. Es wäre sicher sinnvoll, sich hier weniger nach der zeitlichen, denn nach der thematischen Relevanz zu richten. Ein Grund ist sicher auch, dass kaum eine Zeitung noch ein Ressort für Soziales hat.
Jede Lokalredaktion sollte also mindestens einen Redakteur haben, der ausschließlich für soziale Themen zuständig ist?
Ich weiß nicht, ob das machbar ist. Aber hilfreich wäre es auf jeden Fall. Ich habe unter anderem einen Journalisten interviewt, der früher als Pressesprecher für einen sozialen Verband arbeitete. Er forderte sehr klar eine stärkere Expertise der Medien ein. Es könne nicht sein, dass derjenige, der über den Kaninchenzüchterverein schreibt, auch über die Beratungslandschaft im Bundesland berichtet. Ich sprach außerdem mit einem Lokaljournalisten, der tatsächlich 30 Jahr lang für soziale Themen zuständig war. Er bestätigte ebenfalls, wie wichtig es ist, sich umfassend auf dem Gebiet auszukennen und auch über aktuelle Studien Bescheid zu wissen. In meinen Interviews habe ich gemerkt, dass schon die Frage, wie sie Soziales definieren, bei den Journalisten viel Unsicherheit hervorgerufen hat.
Was haben sie denn gesagt? Wie definierten sie Soziales?
Die Journalisten antworteten anfangs etwas diffus. Immer, wenn Menschen aufeinandertreffen, war so eine Antwort. Im Gespräch stellte sich dann schnell heraus, dass sie alle abstraktere Begriffe im Hinterkopf haben, etwa soziale Gerechtigkeit, Emanzipation, Selbsthilfe oder auch sozialer Kit. Und darunter verhandeln sie dann alle Themen, die in die Kategorie Soziales fallen.
In dem Zusammenhang erzählten mir aber auch mehrere Befragte, in Redaktionskonferenzen würden viele soziale Themen oft abgelehnt, weil sie zu düster seien. Die Befragten meinten, ihre Kollegen würden etwa über Alzheimer oder Demenz nicht berichten wollen, weil sie sich selbst nicht damit beschäftigen wollen. Die Leser schieben sie dann als Ausrede vor, die würden das nicht hören wollen. Ähnlich sei es bei Selbsthilfegruppen.
Zugleich kristallisierte sich heraus, dass es eine gewisse Scheu gegenüber sozialen Themen gibt, weil den Redakteuren nicht klar ist, welches Publikum sie eigentlich ansprechen – anders als etwa in den Ressorts Wirtschaft oder Politik. Sind das Menschen, die dieses Problem selbst haben? Das wäre dann im Zweifel eine relativ kleine Gruppe. Eine Redakteurin berichtete mir, sie wollte über Schulverweigerer schreiben. Die Kollegen schmetterten das Thema ab mit der Begründung, das betreffe ja nur sehr wenig Leser.
Folglich sollten Journalisten weniger die selbst Betroffenen als ihre Zielgruppe sehen?
Sie sollten auf jeden Fall versuchen, einen Nutzwert für möglichst viele Leser herauszustellen. Journalisten wollen immer eine Sozialreportage machen. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, beim Thema Kindeswohl zum Beispiel eine Familienhebamme zu porträtieren. Sie könnte nämlich auch Ratschläge geben, was man selbst tun sollte, wenn man das Gefühl hat, in der Nachbarschaft könnte ein Kind gefährdet sein.
Warum passiert das bisher kaum?
Ein Grund ist auf jeden Fall, dass Sozialarbeiter von Journalisten zu wenig als Experten betrachtet werden. Über sie gibt es viele Klischees. Das seien so „linke Socken“, die nur labern. Ich glaube, dass Sozialarbeiter ein Stück weit so sein müssen. Sie haben täglich mit sozialen Krisenherden zu tun. Deshalb müssen sie ergebnisoffen und alltagsorientiert arbeiten. Auch Anzug und Krawatte sind eher unpassend. Deswegen sind sie aber keineswegs nur semiprofessionell. Dass Sozialarbeiter wenig in Medien zu Wort kommen, liegt aber sicher auch daran, dass sie sich mitunter selbst sperren.
Inwiefern?
Viele Sozialarbeiter treten nicht gerne in die Öffentlichkeit und schrecken zurück, sobald Medienvertreter auf sie zukommen. Mitunter haben sie Angst, Persönlichkeitsrechte zu verletzten. Sie wollen die Menschen, mit denen sie arbeiten, schützen. Hinzu kommt, dass sich viele mitunter sehr abstrakt und wenig konkret ausdrücken. Jeder kennt Aussagen wie „das kann man so nicht sagen“ oder „das lässt sich nicht verallgemeinern“. Stellung beziehen nur Wenige – was jedoch wichtig ist, um als Experte auftreten zu können. Insgesamt glaube ich, lassen sich Sozialarbeiter nicht genügend auf die Öffentlichkeit ein.
Aus den Interviews habe ich aber auch erfahren, dass, wenn erst einmal der Kontakt aufgebaut ist, die Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitern und Journalisten sehr gut funktioniert. Das brauche jedoch etwas Zeit.
Geduld haben – wäre das auch der Tipp, den Sie Lokaljournalisten mit auf den Weg geben würden?
Auf jeden Fall. Sie müssen Vertrauen schaffen. Das ist natürlich leicht gesagt. Aber ein langer Atem hilft auf jeden Fall. Journalisten sollten geduldig erklären, was genau ihre Anliegen ist und dass sie dabei keine Persönlichkeitsrechte verletzen werden. Mehr als sonst üblich sollte auch eine Autorisierung angeboten werden.
Interview: Jana Illhardt
Rebekka Sommer hat für ihre Arbeit mit mehreren Lokaljournalisten gesprochen und weiter Studien und Forschungsarbeiten ausgewerte. Die Ergebnisse ihrer Masterarbeit möchte sie in Workshops mit Sozialarbeitern und Journalisten konkretisieren und vertiefen. Wer sich daran beteiligen möchte, kontaktiert sie bitte unter:
Teaser- und Artikelfoto: Gerhard Seybert/Fotolia.de
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