Von Bierkisten und neuer Normalität
von Stefan Wirner
Eins steht für Benjamin Piel fest: „Der Schritt ins Homeoffice war leichter als der Schritt wieder hinaus.“ Als man beim Mindener Tageblatt Anfang März die Pläne für den coronabedingten Umzug in die eigenen vier Wände entworfen habe, sei der Redaktion zugute gekommen, dass man „mobil bereits sehr gut aufgestellt“ gewesen sei. „Jeder hatte einen Laptop, jeder kam von zu Hause aus überall ran“, sagt der Chefredakteur. „Wäre das nicht so gewesen, wäre es schwieriger geworden.“
Alles in allem seien die Wochen im Lockdown gut verlaufen. „Alle waren extrem motiviert, dabei aber auch gelassen, das war deutlich spürbar und hat sehr geholfen“, sagt Piel, der auf das große Verständnis für den Umzug und die spezielle Situation hinweist. Schließlich hätten viele Kolleginnen und Kollegen selbst Eltern, die zur Risikogruppe gehörten.
Auch journalistisch habe es sich gut entwickelt. „Mit einem Mal hat man gesehen: Wir brauchen den Terminjournalismus nicht“, sagt Piel. Dabei sei es gar nicht sicher gewesen, ob alles so gut klappen würde, denn keiner habe Erfahrungen damit gehabt, über Wochen hinweg ein mehr oder weniger monothematisches Blatt zu machen. Corona habe ja alles dominiert.
Berichterstattung während der Krise
Dabei stand für das Mindener Tageblatt natürlich die Information rund um die Pandemie und ihre lokalen Auswirkungen im Zentrum. Der Verlag ging auch ungewöhnliche Schritte über das journalistische Handwerk hinaus, was für überregionales Aufsehen sorgte. „Die Zeitung bringt jetzt Bier“, überschrieb Die Zeit eine Geschichte, in der eine Aktion des Verlags vorgestellt wurde. Worum ging es? Als viele lokale Geschäfte schließen mussten oder Schwierigkeiten hatten, ihre Kunden zu beliefern, bot der Verlag gegen Bezahlung seine Dienste an, und zwar in Form seines Logistiknetzes. Das Angebot wurde gerne angenommen. So luden die Ausfahrer des Verlags nicht mehr nur Zeitungen in ihre Lieferwagen, sondern auch Schuhkartons und eben – Bierkisten.
„Die Schlagzeile in der Zeit hat das Ganze natürlich etwas verzerrt“, meint Piel. Die Idee, die Verlagslogistik auch für den Warenverkehr anzubieten, sei schon älter, das habe nicht nur mit Corona zu tun gehabt. „Auch im Nachgang gibt es Interessenten“, betont Piel. Die Plattform „Kauf lokal“, die der Verlag aufgebaut hat, erweitert das Portfolio in eine ähnliche Richtung. Hier werden die Angebote lokaler Unternehmen aufgelistet, der Verlag hilft ihnen überdies beim Aufbau von Online-Shops.
Ansonsten musste sich das Mindener Tageblatt wie viele andere Zeitungen auch mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen befassen. „Allerdings begannen die Demonstrationen in Minden viel später als anderswo, sie haben Anfang Juni erst ihre Hochphase erreicht“, sagt Piel. Es gebe schon mal Zuschriften aus diesem Milieu, in denen die Zeitung kritisiert werde. „Aber alles in allem haben sich die Leser sehr positiv auf uns bezogen.“
Nach dem Lockdown
Inzwischen hat der Verlag wegen sinkender Infektionszahlen einen schrittweisen Umzug zurück in die Redaktion eingeleitet. „Seit Anfang Juni sind bis auf eine Gruppe von Kollegen alle wieder in ihren Büros“, sagt Piel. Nur einige Kolleginnen und Kollegen aus dem Layout, der Fotoabteilung und der Sportredaktion blieben noch zu Hause, um die Sicherheit der Produktion zu gewährleisten, falls es doch noch zu Quarantänemaßnahmen komme. „Aber alle, die von zu Hause aus arbeiten, tun dies freiwillig.“
Und wann arbeitet man wieder so wie früher? „Nie“, wie Christoph Linne, Chefredakteur der Nordsee-Zeitung, auf diese Frage seiner Redaktion geantwortet hat? „Nein, das sehe ich differenzierter“, sagt Piel. „Klar, es bleibt ja nie alles, wie es war“, meint er, „aber der Satz kann auch Befürchtungen bestärken. Wir haben festgestellt: Je länger das Ganze gedauert hat, umso schwieriger wurde es.“ Vielen sei nach sechs, sieben Wochen die Decke auf den Kopf gefallen. „Mit der Zeit wuchs das Bedürfnis nach der redaktionellen Routine. Der persönliche Austausch ist eben unverzichtbar.“ Oder wie Henri Nannen es mal ausgedrückt habe: „Journalismus ist Quatschen auf dem Flur.“ Er sei kein „Kriseneuphoriker“, betont Piel. „Uns ist das alles gut gelungen, aber das Gespräch Auge in Auge ist kaum zu ersetzen.“
Was nun ansteht
Die Corona-Zeit hat die Redaktion des Mindener Tageblatts genutzt, um die eigene Website zu relaunchen. „Wichtig war uns, mehr Klarheit zu bieten, mehr Übersicht, mehr Strukturiertheit – vor allem auch eine modernere Optik und eine bessere Handhabbarkeit in der mobilen Nutzung“, erklärt Piel das Konzept. „Wir glauben, dass wir, um digital erfolgreich zu sein, einerseits gute Themen brauchen, die viele Menschen ansprechen, andererseits müssen wir diese Themen aber besonders auf dem Handy attraktiv präsentieren.“
Thematisch befasse man sich bereits mit der Kommunalwahl, die im September in NRW ansteht. „Das ist für uns momentan die größte Herausforderung“, sagt Piel. „Kann es Diskussionsforen geben, Wahlveranstaltungen? Vieles ist noch im Unklaren.“
Und ein anderes wichtiges Projekt steht an: „Die Vereinsberichterstattung, wie wir sie bislang hatten, ergibt keinen Sinn mehr. Sie macht viel Arbeit, bringt aber kaum Leser“, sagt Piel. Man präferiere ein Modell, wie es die Main-Post aus Würzburg praktiziert und mit dem die Kollegen dort gute Erfahrungen gemacht hätten. „Wir behalten zwar die Printberichterstattung über Vereine bei, aber wir bündeln sie im Blatt. Die Texte, die uns die Vereine schicken, werden nur noch grob redigiert, worauf wir auch hinweisen.“ Er sei sich sicher, dass die Leserschaft mitziehe, wenn man es „gut und attraktiv kommuniziere“. Die frühere Vereinsberichterstattung sei eine „große Belastung“ gewesen. „Wir haben jahrelang mit viel Aufwand aus sehr schlechten Texten schlechte Texte gemacht – das wollen wir nicht mehr“, sagt Piel. „Wenn man weiterkommen will, darf man nicht stehen bleiben.“
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