„Wir sollten uns Kindern nähern wie Anthropologen einem Indianerstamm“
von Stefan Wirner
Günther Beltzig ist Spielplatz-Designer. Den Hanauer Anzeiger hat er bei einer Serie von Spielplatztests beraten. Wir wollten von ihm wissen, wie man sich in Kinder hineindenkt und ihre Perspektive einnimmt. Wir sprachen kürzlich mit ihm am Rande der BDZV-Konferenz „Kinder-Jugend-Zeitung“ in Berlin.
Herr Beltzig, worauf sollten Kindermedienmacher besonders achten?
Die Zeitungen berichten oft nicht über Dinge, die die Kinder wirklich interessieren. Kinder informieren sich zum Beispiel über Schlager oder Sport viel leichter über das Fernsehen oder das Internet. Die Regionalzeitungen sollte sich mehr über die Probleme und Themen in der Region kümmern. Sie tun es wunderbar beim Thema Sport, vielleicht auch rund um das Thema Schule, aber Orte, wo die Kinder sind, wo sie sich wohlfühlen oder wo sie Angst haben, Orte, die sie hassen, kommen in den Zeitungen nicht vor. Darauf sollten Regionalzeitungen auf ihren Kinderseiten mehr eingehen. Sie könnten Entdeckungsreisen mit Kindern machen und deren Welt erkunden. Wir lesen in Zeitungen viel über Unfälle, Mord und Totschlag. Aber dass man einfach mal einen Ort beschreibt, den Kinder schön finden, einen Kinderspielplatz, der besonders gut funktioniert, oder ein interessantes, ungewöhnliches Haus – das kommt nicht vor. Die Kinder sollten mit ihren Themen mehr zu Wort kommen.
Wissen wir zu wenig von Kindern?
Wir halten uns von Natur aus für Kinderspezialisten, weil wir ja selbst Kinder waren. Wir kennen Kinder oder haben selbst welche, aber wir vergessen, dass wir das Wissen über Kinder, zum Beispiel aus unserer eigenen Kindheit, mit unseren Erfahrungen interpretieren. Dadurch wird es verwischt. Das typische Beispiel ist der große Teddy-Bär, den ich als Kind hatte und den ich so geliebt habe. Wenn ich ihn dann später irgendwann auf dem Speicher finde, dann ist er so klein geworden. Denn ich bin gewachsen, und er ist in meiner Fantasie mitgewachsen.
Wie kann man diese Fehlinterpretation vermeiden?
Wir sollten versuchen, uns Kindern so zu nähern, wie sich Anthropologen einem vergessenem Indianerstamm nähern: neugierig, mit wachem Auge. Und vor allem vorurteilsfrei. Wir sollten uns fragen: Warum verhalten sie sich so, wie sie sich verhalten? Leider ist das bei vielen Zeitungen anders: Sie gehen von dem aus, was Erwachsene denken, es sei für Kinder wichtig und interessant. Ich sage immer: Pädagogik ist Blödsinn für Kinderspielplätze. Das ist eine von Erwachsenen ausgedachte Lehre, die beschreibt, wie sich Erwachsene verhalten sollen, damit Kinder so werden, wie die Erwachsenen sie wollen – und nicht, wie Kinder wirklich sind. Wir sollten eher schauen: Wie sind die Kinder? Viele Kinderseiten haben da leider zu oft diesen pädagogischen Zeigefinger der Erwachsenen.
Wie versetzen Sie sich in die Perspektive von Kindern?
Ich beobachte viel und immer wieder. Man muss sich Zeit nehmen dafür.
Was bringt das Beobachten?
Ich kann mit den Erkenntnissen, die ich daraus gewinne, ein Produkt erstellen, das der Zielgruppe viel mehr gerecht wird. Als Designer will ich ja diese Zielgruppe erreichen. Es nützt mir nichts, wenn ich meine gestalterischen Vorstellungen verwirkliche und dann sage: Seid mal stolz, dass ihr so etwas Schönes habt. Ich will, dass das Produkt gekauft wird, also muss ich sehen, dass es benutzt wird. Freilich machen wir Fehler. Wir machen täglich welche. Aber wenn wir dazu stehen und uns fragen, wie man es besser machen kann, wenn wir den Fehler möglichst eher sehen als die Konkurrenz, dann bleiben wir kreativ und machen es auch besser. Dann können wir ich auch kindgerechte Seiten machen, die Kindern gefallen. Natürlich brauchen wir dafür eine Anlaufzeit. Aber die Kinder werden am Ende damit glücklich.
Tel.: 08443 / 91 57 61
Mail: info@beltzig-playdesign.de
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