Presserat

Nationalität genannt

von

aus drehscheibe 14/2023

Der Fall 

Eine überregionale Zeitung veröffentlicht online einen Artikel unter der Überschrift „Anklage erhoben nach Fund von Frauenleiche in Coburg“. Gegen einen 29-Jährigen sei Klage erhoben worden wegen des Verdachts des Totschlags. Die Redaktion nennt die polnische Nationalität des Verdächtigen. Ein Leser beschwert sich beim Presserat. Er ist der Auffassung, dass die Nationalität des Verdächtigen für den Fall irrelevant sei und deswegen nicht genannt werden durfte.

Die Redaktion 

Der Verlag teilt dem Presserat mit, dass der Beitrag aus dem News­kanal einer großen Nachrichtenagentur stamme, die er um Stellungnahme gebeten habe. Die Agentur sieht keine Verletzung der Richt­linie 12.1 des Pressekodex. Bei der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat handele sich um eine besonders schwere Straftat, aufgrund derer ein begründetes öffentliches Interesse an dem Hinweis auf die Nationalität bestehe. Im konkreten Fall komme hinzu, dass ein solches öffentliches Interesse auch deshalb vorlag, weil das Opfer Monate zuvor über einen längeren Zeitraum vermisst war und erst im Rahmen einer aufwendigen Suche gefunden wurde. In der betroffenen Region habe dies damals für erhebliches Aufsehen gesorgt und sei auch Gegenstand verschiedener Berichterstattungen gewesen. Die Nationalität sei zudem relevant in dem Fall, da auch das Opfer polnischer Abstammung gewesen sei und es Hinweise gab, dass Opfer und mutmaßlicher Täter sich kannten. Zudem habe auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung die Nationalität genannt, und schließlich sei sie auch in der Berichterstattung nicht prominent herausgestellt worden.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss erkennt in der Veröffentlichung keine Verletzung der Ziffer 12 des Pressekodex. Eine knappe Mehrheit der Mitglieder ist der Auffassung, dass die Angabe der polnischen Herkunft des Verdächtigen nicht zu beanstanden ist, da ihm eine schwere Straftat zur Last gelegt wird und die Angabe der Staatsangehörigkeit lediglich beiläufig erfolgt und keinen diskriminierenden Charakter hat.

Der Kodex

Ziffer 12 – Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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