Presserat

Obdachloser beim Waschen

von

aus drehscheibe 08/2024

Der Fall 

Eine Regionalzeitung veröffentlicht eine Glosse mit einem Foto, das einen Mann beim Wäschewaschen an einem öffentlichen Wasserspender zeigt. Die Überschrift lautet: „Auf zum Waschtag!“. In der Bildunterschrift heißt es: „Waschtag in der Innenstadt: Die Wasserspender werden also doch genutzt.“ Ein Leser kritisiert gegenüber dem Presserat das Foto: Gezeigt werde ein stadtbekannter Obdachloser, der seine Kleidung auswasche. Zusammen mit der Bildunterschrift, die sich darüber lustig mache, werde dieser Mann in eine entwürdigende Situation gebracht. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass der Mann vor der Veröffentlichung nicht um Erlaubnis gefragt wurde.

Die Redaktion 

Die Redaktion erwidert, die Glosse handele von einem Thema, das immer wieder Gegenstand der Berichterstattung sei. Die neu installierten Wasserspender seien sehr teuer gewesen, und es sei unklar, ob sie ausreichend genutzt würden. Das Foto beziehe sich auf den Bereich der lokalen Zeitgeschichte, mit dem die Redaktion glossierend die Sinnhaftigkeit der Wasserspender thematisiere. Es gehe ausdrücklich nicht um die abgebildete Person. Angesichts des öffentlichen Interesses an diesem Thema sei hier auch keine Anonymisierung geboten. Der Mann sei außerdem seitlich abgebildet und auf dem winzigen Foto ohnehin nicht zu erkennen. Im Mittelpunkt des Motivs stehe eindeutig die Waschszene. Dass es sich um einen „stadtbekannten Obdachlosen“ handeln solle, könne der langjährige Leiter der Lokalredaktion in keiner Weise bestätigen. Auch der Text der Glosse sei sensibel formuliert, der Begriff „Obdachloser“ werde nicht erwähnt.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss beschließt einstimmig eine Missbilligung, weil die Zeitung den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex verletzt hat. Der Ausschuss ist sich einig, dass grundsätzlich zwar ein öffentliches Interesse an der Nutzung der Wasserspender besteht. Jedoch hätte der Obdachlose nicht identifizierend dargestellt werden dürfen. Vor allem in der Online-Berichterstattung ist der Mann klar erkennbar. Die Redaktion hätte den Betroffenen vor der Veröffentlichung um Erlaubnis bitten müssen. Einige Mitglieder des Ausschusses kritisieren, dass die Zeitung dessen offensichtliche Obdachlosigkeit mit der Formulierung „Auf zum Waschtag!“ außerdem ins Lächerliche zieht.

Der Kodex

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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