Presserat

Über Massenschlägerei berichtet

von

aus drehscheibe 05/2021

Der Fall 

Eine Zeitung berichtet über eine Schlägerei mit 60 Beteiligten aus zwei Roma-Familien. Die Vorgänge rund um ein Mietshaus (der Autor nennt die Adresse) werden näher beleuchtet. Es sei zu einem großen Polizeieinsatz gekommen. Im Text kommt ein Sozialarbeiter zu Wort, der Teile einer Familie betreut hat. Er wird zitiert, es habe sich wohl um eine Familienfehde gehandelt. Vorstellbar sei auch, dass es um Bettelreviere gegangen sei. Der Sozialarbeiter spricht über das Grundproblem der Roma-Familien, die patriarchalisch organisiert seien und nach ihren eigenen Regeln lebten. Eine Organisation für soziale Arbeit beschwert sich. Sie sieht einen Verstoß gegen die Richtlinie 8.8, wonach Angaben über den Wohnsitz zu vermeiden sind. Außerdem sieht sie bestimmte Ausführungen in dem Artikel als diskriminierend nach Ziffer 12 des Pressekodex an, etwa über die „schwer oder gar nicht integrierbaren“ Zugewanderten, die ihre Heimat nur verließen, um hier Kindergeld zu beantragen. Viele von ihnen würden kriminell. In dem Bericht würden antiziganistische Bilder aufgegriffen und unreflektiert wiederholt.

Die Redaktion 

Der Chefredakteur der Zeitung teilt mit, die Redaktion habe über eine massive, öffentlich ausgetragene Schlägerei im Zentrum einer Großstadt berichtet. Sie habe es als journalistischen Standard begriffen, es nicht bei der alltäglichen nachrichtlichen Berichterstattung zu belassen. Sie sei dem Vorgang und seinen Ursachen noch einmal nachgegangen. Die Redaktion habe einen differenzierten und keinesfalls stigmatisierenden Text veröffentlicht.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss stellt keinen Verstoß gegen presseethische Grundsätze fest. Die Berichterstattung über die Massenschlägerei ist von öffentlichem Interesse. Öffentliche Schlägereien in einer derartigen Größenordnung mit dem damit verbundenen Polizei- und Rettungseinsatz sind selten. Die Redaktion durfte daher auch über die Hintergründe der Tat, gemeinsame Merkmale der Akteure und die Ursache der Schlägerei – den Konflikt zweier Familien aus einem Kulturkreis – berichten, um einen Anhaltspunkt zum Verständnis des Vorgangs zu geben. Die Nennung der Adresse im Bericht ist nicht zu beanstanden. Sie ist ebenfalls durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt.

Kodex

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Richtlinie 8.8. – Aufenthaltsort

Der private Wohnsitz sowie andere private Aufenthaltsorte, wie z. B. Krankenhäuser, Pflege- oder Rehabilitationseinrichtungen, genießen besonderen Schutz.

Ziffer 12 – Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

 

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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