Entflohene Worte
von Oliver Stegmann
„Schusswaffe“ – ja oder nein? Aktuelle Interviews mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry stoßen eine Diskussion über die Praxis der Autorisierung an.
„Mein Kind, welch Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne?“ – So sprach Zeus zu Athene in Homers „Odyssee“. Etwas Ähnliches musste sich möglicherweise auch Frauke Petry vor Kurzem anhören. Denn die Vorsitzende der „Alternative für Deutschland“ (AfD) hatte gesagt, dass an der Grenze notfalls der Einsatz der Schusswaffe zulässig sein müsse, um illegale Grenzübertritte von Flüchtlingen zu verhindern. Gefallen war das Wort in Interviews mit dem Mannheimer Morgen und der Rhein-Zeitung. Diese sah sich vor der Veröffentlichung des Interviews vor das Problem gestellt, dass Petry im Rahmen einer Autorisierung kurzerhand ihre ursprünglich zum „Schießbefehl“ gegebene Antwort umformulierte. Aus ihrem auf Band aufgezeichneten Statement, der Gebrauch der Schusswaffe sei Ultima Ratio, auch wenn sie sich das nicht wünsche und zuvor alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft worden sein müssten, machte sie die Antwort: Alle Grenzbeamten trügen eine große Verantwortung und wüssten Bescheid über die Rechtslage und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Durfte die Rhein-Zeitung die erste Antwort Petrys dennoch drucken, oder hätte sie von deren Abdruck absehen müssen?
Wenn Journalisten Interviews führen, „sind sie an sich nicht verpflichtet, ihrem Gesprächspartner das Interview vor der Veröffentlichung zur Autorisierung vorzulegen. Das ist die Grundregel. Allerdings gibt es Ausnahmen, etwa dann, wenn eine Autorisierung vereinbart wurde. Oft müssen sich Journalisten darauf einlassen, andernfalls bekommen sie kein Interview. Herleiten lässt sich dieser Autorisierungsanspruch aus dem Persönlichkeitsrecht. Es umfasst auch die Befugnis eines Menschen, selbst zu entscheiden, ob er überhaupt ein Interview geben möchte und mit welchen Äußerungen er in der Presse zu Wort kommt. Eine Missachtung des Autorisierungsvorbehalts wird in Vereinbarungen zuweilen sogar mit einer Vertragsstrafe belegt. Dann kommen bei Verstößen Zahlungen auf den Journalisten oder seinen Verlag zu. Ändert der Gesprächspartner im Rahmen der Autorisierung Antworten oder gar Fragen, dann ist der Journalist an diese redigierte Fassung gebunden. Nur die autorisierte Fassung darf veröffentlicht werden.
Wird dennoch die ursprüngliche Antwort gedruckt, dann verletzt das die vertragliche Vereinbarung und kann zu Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen durch den Gesprächspartner führen. Der Redaktion bleibt in solch einem Fall als Alternative nur übrig, auf den Abdruck des gesamten Interviews zu verzichten. Für weitere Recherchen darf das durch das Interview gewonnene Material jedoch genutzt werden.
Wurde keine Autorisierung vereinbart, muss der Journalist das Interview dem Gesprächspartner nicht vorlegen. Er sollte dies aber tun, wenn der Inhalt der Antworten redaktionell verändert wird. Weicht die geänderte von der ursprünglichen Fassung der Äußerung in relevanter Weise ab, dann verletzt dies das Persönlichkeitsrecht des Gesprächspartners, denn niemand braucht sich Äußerungen in den Mund legen zu lassen, die er nicht gemacht hat.
Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Korrektheit von Zitaten sind streng. Schon geringe sinnverändernde Kürzungen oder Anpassungen sind unzulässig. Wenn die Rhein-Zeitung beispielsweise die Antwort Petrys auf „Schießbefehl Ultima Ratio“ verkürzt und den Rest der Antwort weggelassen hätte, hätte dies das Persönlichkeitsrecht Petrys verletzt. Stilistische Veränderungen, etwa das Streichen eines „Ähm“, sind hingegen zulässig. Eine einmal gegebene Antwort kann der Gesprächspartner nicht widerrufen, es sei denn, er hat sich dieses Recht ausdrücklich vorbehalten.
Der Streit um die beiden Interviews hat im Übrigen hohe Wellen geschlagen. Aus der AfD wurden Vorwürfe gegen die beiden Zeitungen erhoben, sie hätten sich unter anderem nicht an Absprachen gehalten. Die Redaktionen verwahrten sich hiergegen. Der Presserat wird sich mit dem Fall befassen – allerdings nicht nach rechtlichen, sondern nach presse-ethischen Maßstäben.
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