Themenwoche Wahlen 2025

Wie das Lokale die Wähler belebt

von Nina Sabo

Das Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ setzt auf community-zentrierte Wahlberichterstattung. (Grafik: Correctiv)
Das Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ setzt auf community-zentrierte Wahlberichterstattung. (Grafik: Correctiv)

Wie kann Wahlberichterstattung näher an den Menschen sein? Bei dem Projekt „Deine Stimme, deine Themen“  hat das Netzwerk Correctiv mit sechs lokalen Online-Medien kooperiert. Die Aktion zeigt, wie Lokaljournalismus Bürgerinnen und Bürger aktiv in den politischen Diskurs einbinden kann. Im Interview spricht Tobias Hauswurz von Correctiv über die Bedeutung des Lokaljournalismus, die Leerstellen klassischer Wahlberichterstattung und die Chancen von bürgernahen Formaten.

Herr Hauswurz, nach dem Bruch der Ampelkoalition stehen wir nun kurz vor den Neuwahlen. Warum ist die Wahlberichterstattung dieser Tage vor allem im Lokalen so bedeutsam?
Das Lokale ist der Ort, an dem Menschen Demokratie und Politik unmittelbar vor ihrer Haustür erleben. Hier spiegelt sich der Alltag wider: Die Stromrechnung im Briefkasten, steigende Preise beim Einkaufen, Verspätungen der Bahn, Schlaglöcher auf den Straßen oder der Zustand der Infrastruktur, der oft auf fehlende Investitionen der letzten Jahre hinweist. Gleichzeitig ist das Lokale der Ort, an dem Bürgerinnen und Bürger ihre politischen Vertreter treffen können – die Abgeordneten, die sie direkt wählen und mit denen sie idealerweise in den Dialog treten können. Das Lokale ist also die unmittelbare Schnittstelle zwischen Politik und Alltagserfahrungen.

Wie erleben Sie persönlich die Wahlberichterstattung bisher? Was fällt Ihnen positiv auf? Wo sehen Sie wiederum noch Luft nach oben?
Häufig erlebe ich vor allem eine Art „Race Horse“-Berichterstattung. Also eine Berichterstattung, in der es hauptsächlich um Umfragen geht: Wer liegt vorne? Wie viele Prozent bekommt die AfD? Schafft es die FDP ins Parlament? Bei wie viel Prozent liegt das BSW? Was die lokale Berichterstattung angeht, fällt mir auf, dass sie – zumindest aus meiner Sicht – noch recht oberflächlich ist. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir noch relativ früh im Wahlprozess sind. Aktuell sehe ich in meiner Lokalzeitung in Gelsenkirchen vor allem Artikel zu praktischen Fragen: Wo kann man wählen? Wie funktioniert der Wahlvorgang? Das finde ich wichtig und richtig, aber es fehlt bisher an Berichten über die eigentlichen Themen oder die Positionen der Kandidatinnen und Kandidaten. Es gibt auch kaum Angebote, bei denen Bürgerinnen und Bürger mit ihnen direkt ins Gespräch kommen können. Lokaljournalismus könnte genau hier ansetzen: Menschen mit den Kandidatinnen und Kandidaten vor Ort in Kontakt bringen.

Mit dem Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ hat Correctiv gemeinsam mit sechs Lokalmedien den Versuch gestartet, die Wahlberichterstattung nah an den Bedürfnissen der Wählerinnen und Wähler zu orientieren. Wie lief das Projekt genau ab?
Die teilnehmenden Lokalmedien, also das Bürgerportal Bergisch Gladbach, Rums (Münster), das Stader Tageblatt, Kolumna (Lindau), Viernull (Düsseldorf) und Wokreisel aus den Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg, haben ihren Leserinnen und Lesern zwei zentrale Fragen gestellt: Worüber sollen die Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkampf sprechen? Und: Welche Frage würdest du den Kandidatinnen und Kandidaten dazu stellen? Um möglichst viele Menschen zu erreichen, haben die Lokalmedien diese Fragen nicht nur online gestellt, sondern auch in der Fußgängerzone oder bei Veranstaltungen. Ziel war es, die Themen zu identifizieren, die den Bürgerinnen und Bürgern wirklich wichtig sind, und die brennendsten Fragen zu sammeln.
Diese Umfrage lief etwa zweieinhalb Wochen, bis kurz vor Weihnachten. Anschließend werteten die Lokalmedien die Antworten aus und stellten eine lokale Wahlagenda für ihre Berichterstattung zusammen. Diese Agenda, die dann alle gleichzeitig Mitte Januar veröffentlicht haben, enthält die wichtigsten Themenblöcke und dazugehörigen Fragen der Leserinnen und Leser. Bis zur Bundestagswahl dient sie als Grundlage für die Wahlberichterstattung: Die Medien recherchieren gezielt zu den genannten Themen und konfrontieren die Kandidatinnen und Kandidaten mit den Fragen – sei es in Interviews, bei Veranstaltungen oder in Formaten wie der Wahlarena des Bürgerportals Bergisch Gladbach.

Welcher Grundgedanke steckt hinter dem Projekt?
Das Projekt basiert auf der „Citizens Agenda“, einem Ansatz, der von Jay Rosen, Professor an der New York University, in den USA entwickelt wurde. Im Gegensatz zur klassischen Wahlberichterstattung, die sich an den Themen der Kandidatinnen und Kandidaten orientiert, dreht dieser Ansatz die Perspektive um: Die Bürgerinnen und Bürger geben vor, welche Themen und Fragen im Fokus stehen. Journalistinnen und Journalisten arbeiten so buchstäblich im Auftrag ihres Publikums. Dadurch bietet die Berichterstattung den Menschen die Möglichkeit, ihre Anliegen aktiv in den politischen Diskurs einzubringen. Dieses Konzept stärkt nicht nur die Stimme der Bürgerinnen und Bürger, sondern zeigt auch, dass ihre Fragen und Meinungen eine konkrete Wirkung haben können. Unsere Umfragen sind – im Gegensatz zu den Ergebnissen von Umfrageinstituten – nicht repräsentativ. Das war aber auch gar nicht der Anspruch. Bei unserem Ansatz geht es stattdessen um den direkten Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern. Also darum, mit Leserinnen und Lesern Gespräche auf Augenhöhe zu führen, Menschen aktiv in den Journalismus einzubinden und ihre Anliegen, Fragen und Stimmen in den Mittelpunkt zu stellen.

Warum waren gerade diese Lokalmedien mitbeteiligt?
Beteiligt haben sich vor allem kleinere, unabhängige Lokalmedien, mit denen wir bei Correctiv.Lokal und dem CORRECTIV.StartHub schon länger zusammenarbeiten. Mit dem Stader Tageblatt hat aber auch eine eher klassische Lokalzeitung mitgemacht. Diese unabhängigen Lokalmedien zeichnen sich jedenfalls dadurch aus, dass sie schon immer neue Wege gehen und eng mit ihren lokalen Communities zusammenarbeiten. Die machen Dinge wie die Citizen’s Agenda im Prinzip schon seit Jahren, genau wie wir bei Correctiv.

Das Bürgerprotal in Bergisch Gladbach hat eine Wahlarena veranstaltet. (Foto: Thomas Merkenich, Bürgerportal in-gl.de)
Das Bürgerprotal in Bergisch Gladbach hat eine Wahlarena veranstaltet. (Foto: Thomas Merkenich, Bürgerportal in-gl.de)

Falls Sie das Projekt fortsetzen möchten: Für wie realistisch halten Sie es, den Kreis an teilnehmenden Lokalzeitungen und -redaktionen in Zukunft erweitern zu können?
Langfristig möchten wir das Format etablieren und es zu einem festen Bestandteil der Wahlberichterstattung machen – sei es bei Landtagswahlen, Bundestagswahlen oder Kommunalwahlen, gerne auch europaweit. Unser Ziel ist es, kontinuierlich mehr Redaktionen zu gewinnen, die bereit sind, neue Wege in der Wahlberichterstattung mitzugehen. Das aktuelle Pilotprojekt hat bereits gezeigt, dass dieser Ansatz funktioniert und überzeugende Argumente dafür liefert, dass andere Redaktionen es ebenfalls ausprobieren sollten.

Welche Argumente sprechen dafür, weitere Lokalredaktionen für eine Teilnahme am Projekt zu gewinnen?
Ein zentraler Punkt, der für das Projekt spricht, ist die Qualität der Beiträge der Bürgerinnen und Bürger. Die meisten Einsendungen waren differenziert, konstruktiv und zeigten echtes Interesse an konkreten Problemen vor Ort. Es wurde deutlich, dass viele Menschen sich ernsthaft wünschen, dass die Politik diese Probleme angeht. Für Journalistinnen und Journalisten, insbesondere im Lokaljournalismus, ist dieser direkte Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern etwas sehr Wertvolles. Er zeigt, dass viele Menschen tatsächlich an einer lösungsorientierten Auseinandersetzung interessiert sind – im Gegensatz zu den oft hitzigen Diskussionen, die man in sozialen Medien moderieren muss.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die Themen, die den Kandidatinnen und Kandidaten wichtig erscheinen, oft nicht mit den Themen übereinstimmen, die den Leserinnen und Lesern am Herzen liegen. Beispielsweise wurde Klimaschutz in den bisherigen Wahlkampfthemen kaum aufgegriffen, stand aber bei unseren Redaktionen ganz oben auf der Liste der Prioritäten der Bürgerinnen und Bürger.

Was nehmen Sie aus dem Projekt „Deine Stimme, deine Themen“ für die Wahlberichterstattung lokaler Medien mit?
Es wird deutlich, dass Menschen ein großes Interesse an Themen haben, die sie direkt betreffen, und daran, dass Politik konkrete Lösungen für ihre Probleme findet. Sie wünschen sich einen konstruktiven Umgang mit diesen Anliegen – fernab von Phrasendrescherei oder oberflächlicher Berichterstattung, die nichts mit ihrer Lebenswelt zu tun hat. Lokaljournalismus sollte das erkennen, begleiten und Räume für Austausch und Diskussion bieten. Es lohnt sich, Bürgerinnen und Bürger stärker in den Austausch einzubinden. Das ist letztlich der Kern dessen, warum Journalistinnen und Journalisten ihren Beruf ausüben: um die Fragen der Menschen zu beantworten und ihre Anliegen sichtbar zu machen.

Interview: Nina Sabo

Tobias Hauswurz

arbeitet seit 2021 bei den Correctiv-Projekten beabee und dem Correctiv.StartHub. Er entwickelt Austauschformate, Workshops und Webinare für unabhängige Lokalmedien. (Foto: Ivo Mayr/Correctiv) E-Mail: tobias.hauswurz@correctiv.org

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