Umgang mit Hass im Netz

Umgang mit Facebook-Kommentaren

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Threads ohne Rassismus

Der Umgang mit fremdenfeindlichen Kommentaren in den sozialen Medien wird derzeit kontrovers diskutiert. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat inzwischen die Gründung einer eigenen Facebook-Taskforce beschlossen. Welche Bedeutung hat das Thema für Lokalzeitungen? Die drehscheibe hat in verschiedenen Redaktionen nachgefragt.

Wenn eine Regionalzeitung überregional Aufmerksamkeit erregt, freut sie sich in der Regel. Die Lübecker Nachrichten dagegen waren kürzlich gar nicht glücklich mit der Resonanz, die sie von vielen Kollegen erfuhr. Die Redaktion kapituliere „vor Trolls“, schrieb zum Beispiel der Berliner Tagesspiegel.

Anlass für die negative Berichterstattung war eine Entscheidung der Lübecker, auf Facebook keine Artikel mehr zum Thema Flüchtlinge zu posten. Die „Masse der justiziablen Anfeindungen und die Folgen wie Beleidigungsklagen“ seien „einfach nicht mehr zu handhaben“, so lautete die Begründung der Zeitung auf ihrem Facebook-Account. Von „Zensur“ war bei Kritikern schnell die Rede – einerseits ein seltsamer Begriff für die Entscheidung einer Zeitung, einen bestimmten Verbreitungsweg für Artikel vorerst nicht zu nutzen, andererseits ein Indiz dafür, welche Bedeutung Veröffentlichungen auf Facebook eingeräumt wird.

Streit um ein Flüchtlingsheim

Die Auseinandersetzung um eine geplante Erstaufnameeinrichtung für 600 Flüchtlinge im Lübecker Stadtteil Bornkamp hatte die Maßnahme der Lübecker Nachrichten ausgelöst. Für die „Auswüchse“ auf Facebook seien sowohl Gegner als auch Befürworter der Einrichtung verantwortlich gewesen, sagt Lars Fetköter, der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung. „Üble Dialoge“ hätten sich entsponnen. Ein Nutzer, der sich von einem anderen beleidigt fühlte, habe mit einer Klage wegen Beleidigung gedroht. Auch um den Ruf der „betroffenen Flüchtlinge und Anwohner“ zu schützen, habe man sich zu der Maßnahme entschlossen.

Er sagt dies an einem Tag, nachdem die Lübecker Bürgerschaft es abgelehnt hat, das für die Erstaufnahmeeinrichtung benötigte Grundstück an das Land Schleswig-Holstein zu verkaufen. Damit wurde das Projekt gestoppt. Fetköter betont nun, man wolle die weiteren Etappen der Auseinandersetzung beobachten. Die Entscheidung, Artikel über das Thema auf Facebook zunächst nicht zu verlinken, sei vorläufig. „Wir behalten uns vor, diese Facebook-Pause zu beenden, wenn sich die Debatte versachlicht hat.“

Ob ein Medienunternehmen überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden könnte, wenn sich ein Nutzer auf dessen Facebook-Account rechtswidrig äußert, ist völlig unklar. Fetköter sagt, er kenne bisher kein Gerichtsurteil zu solchen Fällen. Unabhängig davon ist es verständlich, dass eine Zeitung kein Interesse daran hat, dass sich auf dem eigenen Facebook-Profil Nutzer mit Beleidigungen überziehen.

Unruhe auch im Wendland

Auch die im Kreis Lüchow-Dannenberg erscheinende Elbe-Jeetzel-Zeitung war mit heftigen Äußerungen von Facebook-Nutzern konfrontiert worden, als im Verbreitungsgebiet eine große Flüchtlingseinrichtung geplant war. Das war im vergangenen Herbst, als zur Debatte stand, ob in Container-Unterkünfte in Dannenberg, die eigentlich für Polizisten im Castor-Einsatz aufgebaut worden waren, Flüchtlinge einziehen sollen. „Wenn jemand kein Verständnis dafür hat, dass wir Flüchtlinge aufnehmen, sagt das auch etwas aus über das Meinungsbild in der Region“, sagt Benjamin Piel, der stellvertretende Chefredakteur. Das Wendland habe den Ruf, dass „man sich hier ausleben kann“. Doch trotz des liberal-alternativen Images „gibt es, und das wird besonders auf Facebook deutlich, auch andere Strömungen, mit denen man als Zeitung sonst nicht in Kontakt kommt.“ Facebook als „Spiegel“ dieser Strömungen vor Ort sei „ganz wichtig“. Er halte grundsätzlich nichts davon, Nutzer zu sperren, sagt Piel, Wenn aber jemand in seinem Posting ein rechtsextremes Lied verlinke, werde er „rausgeschmissen“.

Wie man mit der Gefahr umgeht, dass Nutzer auf Facebook die Grenzen überschreiten, ist auch eine Frage der Ressourcen. „Wir sind zehn Redakteure, von denen nicht alle in Vollzeit arbeiten, und von den älteren Kollegen hat auch nicht jeder einen Zugang zu Facebook“, sagt Piel, der 2014 den Theodor-Wolff-Preis für Lokaljournalismus gewann. Drei, vier jüngere Redakteure betreuten Facebook nebenbei. Piel sagt, er bekomme jeden der täglich 30 bis 60 Kommentare auf der Facebook-Seite seiner Zeitung per Mail aufs Smartphone geschickt, „damit ich auch reagieren kann, wenn ich unterwegs oder zu Hause bin“.

Die Maßnahme der Lübecker Nachrichten hält Piel zwar für falsch. Einschränkungen bei der Verbreitung von Flüchtlingsthemen auf Facebook gibt es aber auch bei der Elbe-Jeetzel-Zeitung. „Wir mussten eine Lösung für die Wochenenden finden“, sagt Piel. „Wenn nur zwei Kollegen Dienst haben, können die nicht auch verfolgen, was auf unserem Account bei Facebook passiert. Einen Artikel über Flüchtlinge posten wir daher zum Beispiel nicht sonnabends, wir warten bis zum Montag, wenn wir wieder mehr Manpower haben.“

Im Grenzgebiet

Beim Oberbayerischen Volksblatt in Rosenheim spielt das Thema Flüchtlinge noch eine stärkere Rolle als in manch anderen Regionen, weil die Stadt an der deutsch-österreichischen Grenze liegt. Täglich registriere die Bundespolizei hier rund 100 illegal einreisende Menschen, die zum Beispiel mit dem Zug aus Italien nach Deutschland kämen, sagt Online-Chefredakteur Martin Vodermair. Als die Polizei im vergangenen Sommer auch mal 160 Flüchtlinge täglich registriert habe, seien die negativen Reaktionen auf Facebook „nicht mehr handhabbar“ gewesen. Seitdem poste man auf der Facebook-Seite von Rosenheim24.de und weiteren Accounts der Lokalausgaben keine Artikel mehr, die auf täglichen Pressemitteilungen der Bundespolizei basieren.

Selbst recherchierte Artikel über das Thema Flüchtlinge verlinke man aber weiterhin auf Facebook, betont Vodermair. Auch hier kommt es, ähnlich wie bei der Elbe-Jeetzel-Zeitung, auf die Personalsituation an. Federführend beim Überwachen der Kommentare auf Facebook ist der CvD. Er allein könne das aber nicht bewältigen, sagt Vodermair. Wenn in einer bestimmten Phase des Tages absehbar sei, dass man im Fall eskalierender Kommentare nicht Herr der Lage werden könnte, verzichte man darauf, den entsprechenden Artikel zu verlinken.

Der SHZ bleibt dran

Kritisch über die Maßnahme der Lübecker Nachrichten äußert sich Miriam Richter, Community Managerin in der Onlineredaktion des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (SHZ). So etwas „kommt für uns nicht in Betracht“. Sie sagt, es sei „schwer, eine Grenze zu ziehen, denn rechtsextreme Äußerungen finden sich zum Beispiel auch unter Artikeln über Ebola oder Blaulichtmeldungen“. Der Gefahr, dass justiziable Inhalte auf das eigene Facebook-Profil gelangen, ist sich Richter bewusst. „Wir sitzen deswegen aber nicht zitternd am PC“, sagt sie.

Ohne eine Antizipationsstrategie geht es auch beim SHZ-Verlag nicht. „Wir überlegen uns genau, wann wir welchen Artikel posten, damit gewährleistet ist, dass genügend Kollegen zur Verfügung stehen, die die Kommentare kontrollieren und moderieren können“, sagt Richter. Mit dieser Aufgabe sei hauptsächlich sie betraut, insgesamt hätten aber neun Redakteure als Administrator Zugriff auf die Facebook-Seite. Werden auf Facebook Texte verlinkt, bei denen mit heftigen Reaktionen zu rechnen ist, „geben wir uns untereinander Bescheid, damit alle sensibilisiert sind“, ergänzt Richter.

In solchen Fällen gehe es nicht nur darum, dass jemand gegebenenfalls in den ersten zwei Stunden nach dem Posting einschreitet, sondern auch mal „zu Hause am späten Abend“, sagt Richter. Auch sie habe schon einmal weit nach Feierabend „eingreifen“ müssen. Ist das nicht unbefriedigend? Richter sieht es pragmatisch: „Wenn man auf Facebook aktiv ist, sollte man sich bewusst sein, dass das notwendig ist.“

Text: René Martens

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Der Artikel erschien in drehscheibe 10 / 2015 „Zuflucht Deutschland – wie Lokalzeitungen in der Flüchtlingsdebatte Stellung beziehen“. Hier geht's zur Ausgabe.

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