Das etwas andere Videoportal
von Christina Quast
aus drehscheibe 11/2020
Es ist ein mediales Thema, das Redaktionen auch praktisch interessieren sollte: TikTok – das Video-Netzwerk, das in den Schlagzeilen ist. Präsident Donald Trump will es verbieten, wohl auch, weil es für Social Media neue Maßstäbe setzt: Nach drei Jahren hat TikTok schon eine Milliarde aktive Nutzer im Monat, schneller ist noch kein soziales Netzwerk gewachsen.
Auch die ARD/ZDF-Online-Studie 2019 zählt für TikTok als Nutzer zwei Prozent in der gesamten Bevölkerung ab 14 Jahren. Zum Vergleich: So viele zählt in etwa auch das Business-Netzwerk LinkedIn. Obwohl sich die Zielgruppen deutlich unterscheiden: Beliebt ist TikTok bei sehr jungen Menschen, 14 Prozent der 12- bis 19-Jährigen kommunizieren dort aktiv, somit hat das Netzwerk Facebook (15 Prozent) fast eingeholt (laut JIM-Studie 2019). Das rasante Wachstum und die jungen Nutzer sind gute Gründe dafür, dass sich Redaktionen mit TikTok beschäftigen.
Was ist TikTok?
Es handelt sich um eine App für maximal einminütige vertikale (hochkantige) Videos, die meist Ton erfordern. Denn TikTok ist 2016 als sogenannte Lip-Sync-App gestartet, mit der Idee, möglichst synchron zur Musik zu singen und zu tanzen. Damit ist TikTok die erste weltweit erfolgreiche App, die aus China stammt; dort heißt sie Douyin. Und weil es eine chinesische App ist, gibt es Befürchtungen hinsichtlich des Datenschutzes und einer möglichen Zensur. Auch Trump führt diese Punkte als Gründe für sein Vorgehen gegen TikTok an, er will, dass die App von einem US-Unternehmen übernommen wird.
Folgen nicht nötig
Wie bei YouTube kann man bei TikTok Videos schauen, ohne sich anzumelden. Ein Vorteil von TikTok ist, dass Nutzer – also auch Redaktionen – mit jedem Video direkt erfolgreich sein können, ohne zunächst Follower zu sammeln. Wer die App öffnet, sieht Clips im „for you“ genannten Feed, der sich unabhängig von gefolgten Profilen füllt. Ein Algorithmus zeigt Nutzern passende und populäre Videos an, sodass „Folgen“ bei TikTok nicht nötig ist, um Inhalte zu konsumieren. Deshalb ist auch die Zahl der Likes ein wichtiger Faktor im Profil.
Das bedeutet: Redaktionen können mit relevanten und kreativen Clips ein Publikum finden, das nicht von sich aus Medien oder Nachrichten abonniert. Zusätzlich macht es TikTok – im Gegensatz zu Facebook und Instagram – sehr leicht, Videos in anderen Netzwerken und Messengern zu teilen, um so die Reichweite zu erhöhen.
Sounds und Duette
Weil TikTok als Lip-Sync-App gestartet ist, nimmt der Ton eine wichtigere Rolle als in anderen Netzwerken ein. So kann man nicht nur Hashtags, sondern auch Sounds folgen und alle Videos finden, die denselben Ton verwenden. Der Account, der ein Audio erstmals bei TikTok veröffentlicht, wird über den Button „Original Sound“ dauerhaft als Quelle verknüpft – smarte Mechanismen, die für Redaktionen auch bei O-Tönen funktionieren. Zudem bietet TikTok eine Duett-Funktion an, indem zwei vertikale Videos nebeneinander gezeigt werden und so gegenseitige Interaktion erlauben – zum Beispiel, um Interviews, Erklärstücke oder Live-Berichte umzusetzen.
Journalismus bei TikTok
Einigen redaktionellen Profilen gelingt es bereits, die Zielgruppe zu erreichen und Reichweite zu generieren:
- @Tagesschau (bei TikTok zählt das @ zum Account-Namen) produziert erklärende Stücke zu aktuellen Ereignissen und Backstage-Videos mit Sprecher Jan Hofer, der auch Fragen aus dem Publikum beantwortet. Die Clips interessieren über 630.000 Follower und sammelten schon 14 Millionen Likes.
- Redakteur Jamal Fischer bestückt @Chip_de mit technischen Anleitungen und Hintergründen zum Thema Smartphone, dem wichtigsten Gerät der TikTok-Nutzer. Ergebnis: 15 Millionen Likes, über 600.000 Mal wurde „folgen“ geklickt.
- @HerrAnwalt präsentiert „eine Minute Jura“, was bereits über 2,2 Millionen Follower interessiert, denn die Rechtsfragen betreffen
immer die Lebenswelt von Teenagern. 75 Millionen Likes.
Drei TikTok-Beispiele, die dazu ermutigen, journalistische Formate zu wagen und sich mit den Besonderheiten des Netzwerks zu beschäftigen.
Links
Zur TikTok-Website: www.tiktok.com
Die Tagesschau auf TikTok: www.tiktok.com/@tagesschau
Chip_de auf TikTok: www.tiktok.com/@chip_de
Herr Anwalt auf TikTok: www.tiktok.com/@herranwalt
Christina Quast
berichtet als freie Journalistin über digitale Tools und Themen und ist seit Mitte 2018 für den Blog „Journalisten Tools“ verantwortlich. Für Journalisten gibt sie auch Seminare und organisiert Barcamps.
Mail: quast@journalisten-tools.de
Internet: www.journalisten-tools.de
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