Interview

„Aufbruchsstimmung ist innovationsfreundlich"

von

„Die Zeitungsmacher“ – so lautet der Titel einer Studie, die vom Marktforschungsinstitut YouGov durchgeführt wurde. Verantwortlich waren Stephan Weichert, Professor an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation Hamburg, Leif Kramp, Forschungskoordinator am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen, und Martin Welker, Privatdozent an der Universität Leipzig. In der repräsentativen Befragung deutscher Zeitungsredaktionen wurde erforscht, wie sich der digitale Strukturwandel auf die Arbeitssituation von Journalisten und die handwerklichen Perspektiven der Redaktionsarbeit auswirkt. Die drehscheibe sprach darüber mit Stephan Weichert.

Herr Weichert, was war Ihr Beweggrund, diese Studie durchzuführen?

Wir haben seit Langem eine repräsentative Untersuchung unter Zeitungsredaktionen zum Thema Innovation und Strukturwandel in den Medien vermisst. Insbesondere im Verlagsbereich sehen wir da großen Informations- und Handlungsbedarf, was die tatsächlichen Bedingungen in den Redaktionen betrifft. Wir gehen deshalb davon aus, dass es vermutlich auch für die Branche relevant sein könnte, selbst einmal nachzuvollziehen, wie derzeit die Stimmung in den Redaktionen ist. Deswegen haben wir die Situation der Zeitungsmacher auf einer breiten empirischen Grundlage untersucht.

Sind demnach die Verlage das Zielpublikum der Studie?

Die Studie wurde von mehreren Stiftungen gefördert, die ein großes Interesse daran haben, dass diese Ergebnisse auch mit der Verlagsbranche diskutiert werden. Insofern war es auch unser Ansatz, eine anwendungsorientierte Untersuchung durchzuführen.

Die Ergebnisse sind, soweit man das dem kürzlich veröffentlichten Spreadsheet entnehmen kann, nicht völlig überraschend: Redakteure von Tageszeitungen sind Pragmatiker, identifizieren sich mit ihrem Verlag und ihrer Tätigkeit, machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz und erkennen immer mehr die Bedeutung der Sozialen Medien.

Dass die Ergebnisse einer solchen Studie zum Teil erwartbar sind, war für mich auch wiederum erwartbar. Damit muss man als Forscher immer rechnen, dass die gefühlte Medienrealität immer auch empirisch eins-zu-eins abgebildet werden kann und nicht immer für Überraschungsmomente sorgt. Wir haben aber in den vergangenen Jahren gerade auf Tagungen und Podiumsdiskussionen immer wieder erlebt, dass Dinge behauptet werden, die empirisch nicht gestützt sind. Mit den Ergebnissen der Studie können wir nun sagen, wie die Stimmung in den Redaktionen tatsächlich ist. Das sind nun nicht mehr nur Annahmen, sondern es gibt eine breite empirische Grundlage mit Aussagen, die das bestätigen, was viele bisher nur als Vermutung geäußert haben.

Ein zweiter Grund betrifft den Begriff der Innovation. Das ist ein aufgeblähtes Wort, das in den vergangenen Jahren immer wieder in allen möglichen Zusammenhängen verwendet und zweckentfremdet worden ist, aber nie mit Inhalt gefüllt wurde. Das haben wir nun versucht. Wir wollten diesen Phrasen eine Konkretisierung, eine Gestalt geben und fragen: Worin besteht denn eigentlich diese Krise? Wie wird sie wahrgenommen? Was verstehen die Redakteure unter Innovation? Was können sie davon umsetzen, was nicht? Und da liefern wir ein paar interessante und zum Teil auch sehr konkrete Ergebnisse.

Gibt es auch Befunde Ihrer Studie, von denen Sie überrascht sind?

Ich finde zwei Ergebnisse von zentraler Bedeutung: Zum einen, dass die Krise deutlich weniger zu Melancholie oder Frustration führt als angenommen, sondern dass sie als Herausforderung angenommen wird. Es ist eine Art Aufbruchsstimmung zu spüren, wenn Redakteure zu Protokoll geben: Ja, wir wollen uns darauf einlassen und das Beste daraus machen. Es wird inzwischen akzeptiert, dass sich die Branche grundlegend wandelt, und der Wandel wird in vielen Redaktionen sogar positiv gesehen. Man hat auch verstanden, dass sich der Beruf des Journalisten neu erfinden muss und dass darin auch jede Menge Chancen stecken. Dieses klare Ergebnis hätte ich in Anbetracht der Zeitungsinsolvenzen so nicht erwartet. Und das Zweite ist die gestiegene Bereitschaft, dieses Innovationspotential konkret umzusetzen. Viele Zeitungsredaktionen denken etwa darüber nach, wie sie ihre Leser an der Erstellung von Inhalten teilhaben lassen können – also bei der Recherche, in der Textproduktion, der Verbreitung. Die Lust, den Leser zu beteiligen, ist merklich gestiegen. Das ist etwas Neues. Hierzu gab es bisher keine belastbaren Zahlen.

Glauben Sie, dass sich in dieser Frage in den vergangenen Jahre etwas verändert hat? Lokaljournalisten hat man ja gerne vorgeworfen, sie seien unbeweglich, gerade was die Herausforderung durch die Neuen Medien betrifft.

Wir haben ja keine vergleichende Studie durchgeführt und etwa das Jahr 2006 mit dem Jahr 2012 verglichen. Demnach kann ich darüber nur etwas aus meinen eigenen Erfahrungen sagen. Ich habe einige Jahre am Forum Lokaljournalismus teilgenommen, ich kenne viele Lokalredakteure und habe Kontakte zu Chefredakteuren. Meiner Wahrnehmung nach hat gerade in den letzten zwei, drei Jahren ein ganz grundlegender Sinneswandel stattgefunden. Die Art von Redakteuren, die noch gemeint hat, die Zeitung würde schon so bestehen bleiben, wie sie ist, und sich retten können ins nächste Jahrzehnt, ist inzwischen in der Minderheit. Viele haben inzwischen akzeptiert, dass Zeitungsjournalismus künftig in digitaler Form verbreitet wird und sich dieser Journalismus vom Datenträger Papier emanzipiert. Das war vor ein paar Jahren noch vollkommen anders. Da wurde ich auf Podien noch heftig dafür kritisiert, als ich die These vom Verschwinden der Zeitung formuliert habe. Inzwischen hat ein Sinneswandel stattgefunden, für die meisten Redakteure und Verleger ist das zur Gewissheit geworden. Heute macht sich kaum noch jemand etwas vor oder lügt sich selbst in die Tasche. Man hat erkannt und wohl auch akzeptiert, dass sich die Verlage – abgesehen von ein paar Erfolgsmarken wie Spiegel, Zeit und Bild – in ein paar Jahren nicht mehr hauptsächlich über das Printprodukt finanzieren.

Welche praktischen Konsequenzen könnten Verlage, Journalisten oder Leser der drehscheibe aus Ihren Forschungsergebnissen ziehen?

Der wichtigste Appell, den wir an die Verlagsleute richten ist, dass sich eine schlechte Stimmung, ein hoher Sorgenstand und eine dauerhafte Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit absolut negativ auswirken auf die Fähigkeit, sich selbst neu zu erfinden. Auf eine Formel gebracht: Krisenstimmung ist innovationsfeindlich, Aufbruchsstimmung ist innovationsfreundlich. Das ist eine der wichtigsten Botschaften an die Branche: Je mehr wir uns gegenseitig schlecht machen, je mehr wir uns einreden, wie mies es uns doch allen geht und wie wenig wir alle verdienen, desto weniger sind wir am Ende bereit, uns überhaupt noch auf etwas Neues einzulassen. Stattdessen treibt die Verzweiflung die Redakteure in die innere Emigration. Wenn man sich aber dagegen eingesteht, dass es vielleicht eine Übergangsphase von nur ein paar Jahren ist, die wir jetzt irgendwie bewältigen müssen, und dem Journalismus danach ein Goldenes Zeitalter blüht, in dem journalistische Leistungen wieder eine überaus hohe Wertigkeit erhalten – und das meine ich auch finanziell gesehen – dann lohnt es sich meines Erachtens, diese Durststrecke in Kauf zu nehmen. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass sich Journalisten schon jetzt mit technischen Möglichkeiten auseinandersetzen können, die zum Beispiel vollkommen neue Erzähltechniken im Journalismus ermöglichen als noch vor zehn Jahren. Im Grunde verdanken wir der Digitalisierung, dass sie diesen schönen Beruf dabei ist zu revolutionieren. Wir sollten also aufhören zu jammern und diese Perspektive endlich in positive Energie umsetzen – dann wäre auch unsere Botschaft angekommen.

Täuscht der Eindruck oder werden Journalisten gerade in der Krise immer mehr zu Forschungsobjekten?

Der Strukturwandel im Journalismus hat das Interesse in vielen wissenschaftlichen Disziplinen geweckt. Bestimmte Bereiche muten da fast schon überforscht an. Aber es wäre auch schlimm, wenn es anders wäre: Die Wissenschaft hat natürlich ein vitales Interesse daran, dem Strukturwandel auf den Grund zu gehen. Gerade der Lokaljournalismus ist ja systemrelevant für die Demokratie. Und wenn es da im Getriebe hakt und knirscht und es sich abzeichnet, dass sich dieser wichtige Pfeiler unseres demokratischen Systems in den nächsten Jahren von Grund auf in seiner Wertigkeit und Qualität ändert, hat unsere Gesellschaft ein Problem. Deshalb macht sich natürlich auch die Wissenschaft ihre Gedanken darüber, welche Effekte das auf unser Zusammenleben und unsere politische Willensbildung haben könnte. Spätestens seit Jürgen Habermas im Jahr 2007 von der Systemrelevanz der Presse sprach und vor einem Marktversagen warnte, hat das viele Medien- und Sozialwissenschaftler auf den Plan gerufen, sich mit diesen strukturellen Veränderungen und der Zukunft der Zeitung wissenschaftlich umfassend zu beschäftigen.

Stephan Weichert

... ist Professor an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation Hamburg.

Macromedia
University of Applied Sciences
Media and Communication
Gertrudenstrasse 3
20095 Hamburg
Tel.: s.weichert@mhmk.org
Web: Mhmk.de

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