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Aus der Not eine Tugend

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Dr. Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ.
Dr. Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ.

Durch die Corona-Krise wurde das Thema mobiles Arbeiten endgültig auf die Tagesordnung gesetzt. Wie die WAZ damit umgeht, erläutert der stellvertretende Chefredakteur Dr. Alexander Marinos im Interview. Aus unserer Serie „Wir halten Kontakt“.

Herr Marinos, wie sieht es derzeit in den Redaktionsräumen der WAZ aus: Wie viele Kollegen sind vor Ort, wie viele befinden sich im Homeoffice?

Etwa 60 bis 70 Prozent sind derzeit im Homeoffice. Das Arbeiten im Homeoffice – ich spreche lieber vom mobilen Arbeiten, weil das mehr umfasst – hat Vor-, aber auch Nachteile. Deshalb haben wir gesagt, überall da, wo die Räumlichkeiten es ermöglichen, könnt ihr gerne zurückkehren. Und das geschieht im Moment. Wir erhöhen die Präsenzquote peu à peu. Wir zwingen niemanden raus aus den Büros, und wir zwingen auch niemanden hinein. Für eine längere Übergangsphase entscheidet jeder für sich selbst. Manche haben Kinder zu betreuen, mancher gehört einer Risikogruppe an oder hat Angehörige, bei denen das der Fall ist. Das sind alles Faktoren, die jeder für sich selbst einschätzen muss. Unsere Lokalredaktionen sind außerdem räumlich recht unterschiedlich aufgestellt. Wir haben ja bei der WAZ eine sehr dezentrale Struktur mit unterschiedlich kleinen oder großen Redaktionen. Deshalb entscheiden wir mit der jeweiligen Leiterin oder dem Leiter der Lokalredaktionen individuell, was derzeit verantwortbar ist. Gibt es da mehrere Etagen, ein Großraumbüro, kann man Abstand einhalten? Sicherheit geht dabei immer vor. Aber wir haben allesamt ein gutes Gefühl, ich höre auch keine Klagen, eben weil wir den Kolleginnen und Kollegen die Entscheidung freigestellt haben.

 

Was sind denn die Vor- und Nachteile des Homeoffice?

Familie und Beruf lassen sich durch das Arbeiten zu Hause besser vereinbaren. Wobei das in der Corona-Phase, in der auch die Kinder zu Hause waren, nicht immer leicht war. Wenn die Kinder da waren und man musste gleichzeitig in die nächste Videokonferenz, konnte das auch anstrengend sein, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Aber es war prinzipiell machbar. Für viele Kolleginnen und Kollegen fallen auch lange Fahrtwege weg, manche sparen dabei viel Zeit. Und gerade die ohne Kinder sagen auch, sie könnten sich zu Hause besser konzentrieren.

Und die Nachteile?

Wenn ich über Wochen hinweg meine Kollegen nicht sehe, dann leidet darunter das Team. Die Chefs tun sich schwer damit, festzustellen, wie es ihren Mitarbeitern geht. Und wenn Kreativität gefordert ist, etwa bei der Wochenplanung, beim Brainstorming, funktioniert das besser in der Präsenz. Da geht in Videokonferenzen doch eine Menge verloren. Man bekommt nicht mit, was der andere wirklich denkt, es findet eine Entfremdung und Vereinsamung statt, und das macht es schwerer, gemeinsam Ideen zu entwickeln.

Die Verlage standen schon vor der Pandemie vor großen Herausforderungen. Dann kam es zum Shutdown. Wurde dadurch die Modernisierung gebremst?

Im Gegenteil. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Wir waren alle gezwungen, radikal dezentral zu arbeiten, und, ehrlich gesagt, passt das sehr gut zu unserem User-First-Konzept. Wir bei Funke NRW haben unser Arbeiten ja bereits im vergangenen Jahr grundlegend verändert. 90 Prozent unserer Redaktionen arbeiten online, nur ein relativ kleiner Teil unserer Redakteure fungiert als Blattmacher an einem Printdesk und erstellt aus den Inhalten die Tageszeitung. Das bedeutet, dass es keinen Redaktionsschluss gibt, wir arbeiten im Prinzip wie eine Nachrichtenagentur, agil und schnell. Das mobile Arbeiten passt sehr gut dazu. Hinzu kommt, dass der Shutdown viele Kolleginnen und Kollegen dazu gezwungen hat, sich stärker mit den digitalen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, neue Tools auszuprobieren, eine schnellere und einfachere Kommunikation zu pflegen etc. Wir benutzen zur schnellen Kommunikation zum Beispiel Mattermost, das funktioniert hervorragend. Auch Desk-Net wenden wir an, damit kann man Themen und Termine planen. Jeder kann mit einem Klick sehen, was die unterschiedlichen Redaktionen vorhaben. Wir sollten allerdings nicht glauben, dass ausnahmslos jeder Kollege durch den Shutdown technikaffiner geworden ist. Viele haben einen persönlichen Schub erlebt. Wir müssen aber auch diejenigen, die noch nicht so weit sind, über Schulungen auf das Niveau bringen, das andere jetzt erreicht haben.

Die Corona-Krise verhalf dem Home Office endgültig zum Durchbruch. (Foto: AdobeStock/sebra)
Die Corona-Krise verhalf dem Home Office endgültig zum Durchbruch. (Foto: AdobeStock/sebra)

Mussten Sie wegen Corona geplante digitale Projekte verschieben?

Wir haben am Anfang des Shutdowns das eine oder andere Projekt zurückgestellt, weil es zunächst schlicht darum ging, die Produktion zu sichern. Inzwischen greifen wir aber all diese Projekte wieder auf – beispielsweise geht es gerade um die Frage, wie wir an den Samstagen mehr Online-Content produzieren können. Wir können und wollen nicht darauf warten, bis vielleicht im nächsten Jahr ein Impfstoff da ist. Dadurch, dass viele Veranstaltungen in Sport und Kultur ausgefallen waren, wurden die Redaktionen im Übrigen dazu gezwungen, sehr viel kreativer zu sein. Das, was wir zu Recht oft als Terminbuchjournalismus kritisieren, fand praktisch gar nicht mehr statt. In der Folge haben wir in den vergangenen Monaten unter widrigen Bedingungen eine Qualität in unserer Lokalberichterstattung erreicht, auf die wir sehr stolz sein können.

Falls es im nächsten Frühjahr einen Impfstoff gibt und wieder Normalität einkehrt: Was bleibt von Ihren Änderungen?

Eine ganze Menge. Wir haben gemeinsam mit den Betriebsräten eine Arbeitsgruppe gebildet, in der Kollegen aus allen redaktionellen Bereichen mitwirken, um zusammenzutragen, wie wir das Beste aus allen Welten zusammenführen können. Wir streben einen deutlich höheren Anteil an mobilem Arbeiten an als vor der Corona-Krise. Dabei muss man Reporter anders betrachten als etwa Blattmacher am Desk. Wir wollen auch die Technik weiter voranbringen, das heißt, alle unsere Redakteurinnen und Redakteure werden mit Laptops ausgestattet, mit Dienst-iPhones sind ohnehin schon alle ausgerüstet. Was mir noch wichtig ist: Wenn wir über das künftige dezentrale Arbeiten sprechen, müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, wie Lokalchefs und Ressortleiter unter diesen Bedingungen ihre Teams führen und dabei jedem einzelnen Teammitglied gerecht werden. Dazu arbeiten wir jetzt schon mit externen Coaches zusammen. Ich persönlich habe mir zum Beispiel schon vor Jahren angewöhnt, zu Beginn eines jeden Gesprächs mit einem meiner Kollegen zuerst zu fragen: Wie geht es dir? Das klingt vielleicht trivial, aber ich finde, es ist die wichtigste Frage überhaupt – und sie wird jetzt noch wichtiger. Denn wenn es den Leuten nicht gut geht, stellen sie auch keine guten Produkte her.

Interview: Stefan Wirner

Veröffentlichung

Gerade erschienen ist Alexander Marinos Buch: „Der ideale Stellvertreter. Eine empirisch begründete Handreichung für alle Anhänger moderner Führung“. Mehr dazu hier.

Symposium zum Thema

Wie gut arbeiten Chefs und ihre Vizes in Redaktionen zusammen? Diese Frage erörtert ein Video-Symposium, das sich an Stellvertreterinnen und Stellvertreter in Chefredaktionen, Redaktions- und Ressortleitungen richtet. Anlass sind die Ergebnisse einer Studie, die Chancen und Defizite der Führung aus der zweiten Reihe beleuchtet. Demnach können Stellvertreter ihre Wirkungsmacht nur selten voll entfalten, obwohl sie im digitalen Wandel der Verlage oft eine Schlüsselrolle spielen. Das Symposium findet am 29. September von 14 bis 16 Uhr als Zoom-Konferenz statt. Ausrichter ist die WAZ, unterstützt durch das Lokaljournalistenprogramm der bpb. Anmeldungen: symposium@funkemedien.de
Die Teilnahme ist kostenlos.

Dr. Alexander Marinos

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