„Der DDR-Journalismus gehörte zu den übelsten Seiten des Regimes“
von Stefan Wirner
Nur wenige Politiker kennen den DDR-Lokaljournalismus noch aus eigener Erfahrung. Wolfgang Thierse lernte einst den Beruf des Schriftsetzers bei einer Thüringer Tageszeitung. Im Interview mit der drehscheibe erzählt der SPD-Politiker und ehemalige Bundestagspräsident, wie er den Wandel im Lokaljournalismus 1989/90 erlebt hat, was dieser Wandel mit den Ressentiments gegen die Presse auf Pegida-Demonstrationen zu tun hat und welche Art von Journalismus heute nötig ist.
Herr Thierse, Sie haben den Beruf des Schriftsetzers beim Thüringer Tageblatt in Weimar erlernt. Welche Erinnerungen verbinden Sie damit?
Das Thüringer Tageblatt war das damalige Organ der Ost-CDU in den drei Thüringer Bezirken. In der Druckerei dort hat man auch als Lehrling die Hektik und das ganze Drumherum beim Erstellen einer Tageszeitung mitbekommen.
Wann haben Sie dort gearbeitet?
Das war von 1962 bis 1964.
Wie fanden Sie den Journalismus zu DDR-Zeiten?
Der DDR-Journalismus gehörte zu den übelsten Seiten des Regimes. Um Wahrheit und Wirklichkeit ging es dabei nicht, sondern um die von der SED dekretierte Vorstellung davon, was Wirklichkeit zu sein hat. Geschrieben wurde, was die Menschen zu denken hatten. Journalismus war ein Instrument der ideologisch-politischen Beeinflussung der Bürger und nicht der kritischen Betrachtung und Diskussion des Wirklichen.
Wie haben Sie in der Wendezeit den Übergang von diesem SED-gelenkten zu einem unabhängigen Journalismus erlebt?
Das war natürlich einerseits ein Aufbruch. Viele von denen, die unter dem SED-Regime und dem, was sie dort zu tun hatten, eher gelitten hatten, die sich jedenfalls noch einen Rest von Anstand und Scham bewahrt hatten, wollten nun endlich loslegen. Es war interessant zu sehen, wie die DDR-Zeitungen, die ja zu einem Gutteil SED-Zeitungen waren, sich veränderten. Andererseits kam es aber in der Folgezeit auch zur massenhaften Übernahme der Redaktionen durch westdeutsche Zeitungsverlage und Journalisten. Das eine war ein Aufbruch, das andere war eine Übernahme. Es war ein sehr widersprüchlicher Prozess.
Wäre eine andere Entwicklung möglich gewesen?
Ein Personalwechsel war notwendig. Diejenigen, die uns die ganze Zeit belogen hatten, sollten nicht mehr als Journalisten arbeiten und ihr Geschäft weiterbetreiben können. Dadurch aber, dass viele Journalisten vom Westen in den Osten kamen, ging in den Redaktionen auch viel an Kenntnis über Land und Leute verloren. Das haben auch viele so empfunden. Es gab so seltsame Erscheinungen wie diese Illustrierte, bei der Wessis eine übertrieben ostdeutsche Zeitschrift zu machen versuchten und damit erfolgreich waren. Da trat die ganze Absurdität dieser Entwicklung zutage. Die vielen heftigen personellen und inhaltlichen Auseinandersetzungen in den Redaktionen in Ostdeutschland haben die Leser ja nur zum Teil mitbekommen. Das waren notwendige, aber zum Teil auch sehr schmerzhafte Auseinandersetzungen.
Hat die Entwicklung, die Sie da beschreiben, möglicherweise auch ihren Teil zu dem Ressentiment gegen die Presse beigetragen, das man heute etwa auf den Pegida-Demonstrationen in Dresden zu spüren bekommt?
Dieses Ressentiment richtet sich insgesamt gegen das Phänomen, dass die eigene Meinung nicht das gewünschte Echo in den Medien findet. Darüber sind die Menschen meist besonders verärgert, übrigens nicht nur im Osten. Nichts liest man so gerne in der Zeitung wie seine eigene Meinung. Aber natürlich steckt in diesem Ressentiment auch noch die gefühlte Erinnerung daran, dass sich gerade im Bereich der Medien die deutsche Vereinigung als Übernahme Ost durch West vollzogen hat – noch sichtbarer und tiefgreifender als in anderen Bereichen der Gesellschaft.
Auch Politiker lesen sicherlich gerne ihre eigene Meinung in der Zeitung. Wie ist das bei Ihnen? Was würden Sie sich heute von Ihrer idealen Tageszeitung wünschen?
Ich wünsche mir eine seriöse und differenzierte Berichterstattung, den ständigen Versuch, komplexe politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge zu übersetzen ins Verständliche – das können immer weniger Journalisten, dafür haben immer weniger Zeit und Platz. Außerdem wünsche ich mir, dass deutlicher unterschieden wird zwischen Bericht und Meinung, zwischen dem, worüber informiert werden soll, und dem, was man kommentierend dazu sagt. Das Gefährliche an der Entwicklung ist ja, dass durch die Härte der Konkurrenz und durch den Zeitdruck immer weniger Raum bleibt für differenzierte Berichterstattung und Erklärung. Deshalb wird immer mehr verkürzt auf das Personelle, auf den Skandal und die starke Meinung. Das halte ich für problematisch.
Hat dieser seriöse Journalismus in der digitalen und mobilen Informationsgesellschaft überhaupt noch eine Chance?
Nur seriöser Journalismus hat eine Chance zu überleben. Die Kommunikation im Internet ist ruppig, sie ist meinungsstark, skandalisierend und verkürzend. Das Gegenbild dazu ist eine präzise Berichterstattung, die komplexe Zusammenhänge darstellt und verständlich macht, das Gegenbild sind gute Geschichten, aus denen man etwas über die Welt erfährt. Dieser Journalismus hat eine Chance, auch ein starker Lokaljournalismus übrigens, der aus der Nähe berichtet, aus dem eigenen Umfeld, der eigenen Stadt und dem eigenen Landkreis. Daran wird es einen erheblichen Bedarf geben.
Welche Themen rund um die deutsche Einheit werden in der Berichterstattung Ihrer Meinung nach vernachlässigt?
Es sollten mehr Geschichten erzählt werden, in denen das Zusammenleben gelingt. Wir haben ja nicht mehr nur den einfachen Gegensatz zwischen Ost und West. Es vermischt sich immer mehr, gerade auch in Ostdeutschland. Davon zu berichten, fände ich überaus wichtig. Was schief geht, erzählt sich ja meist von selbst.
Interview: Stefan Wirner
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