„Der Trend zum Lokalen ist unumkehrbar"
von Stefan Wirner
In der vorigen Woche wurde überraschend die Obwalden- und Nidwalden-Zeitung aus der Schweiz eingestellt. Das Blatt, das zwei Mal in der Woche erschien, war erst im April 2010 gegründet worden. Die Zeitung basierte auf dem Konzept der „Mikro-Zeitung“ des Verlegers Urs Gossweiler und veröffentlichte ausschließlich lokale Inhalte. Warum der Verleger nach wie vor an sein Konzept glaubt, erklärt er im Gespräch mit der drehscheibe.
Herr Gossweiler, was sind die Hauptgründe für die Einstellung der Obwalden- und Nidwalden-Zeitung?
Die ONZ ist mit einem Kapital von drei Millionen an den Start gegangen. Im Business-Plan war vorgesehen, dass dieses Kapital in den ersten zwei Jahren aufgebraucht sein wird, aber auch, dass die Einnahmen reichen, um die Durststrecke bis break even im dritten Jahr durchzustehen. Die Einnahmen auf der Werbeseite sind aber immer ein Drittel unter den Erwartungen geblieben. Wir hatten zwar einen großen Erfolg bei der Online-Nutzung, bei den Apps, und wir hatten einen durchschnittlichen Erfolg bei den Printabonnements. Das Produkt hat von Anfang an funktioniert. In diesen zwei Jahren wurden fast 200 gedruckte Ausgaben termingerecht ausgeliefert, wir erhielten Komplimente von allen Seiten, dass das Produkt journalistisch sehr gut sei, und wir hatten ein hervorragendes Team, das nun traurigerweise auseinandergerissen wird. Es hat einfach nicht sein sollen.
Wie kam die Entscheidung, die ONZ zu schließen, am Ende zustande?
Der Aufsichtsrat meinte zunächst, man würde noch einmal frisches Kapital einschießen, wenn die Gossweiler Media als Lizenzgeberin weitere Lizenznehmer in Zürich findet. Diese Gespräche haben sich aber leider nicht innerhalb der nötigen Zeit zum Erfolg bringen lassen. Dann wurde diskutiert, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, und der Aufsichtsrat der ONZ musste die schwerwiegende Entscheidung fällen, dass es halbleer ist und der Betrieb eingestellt wird – zu einem Zeitpunkt, wo es noch möglich ist, eine ordentliche Liquidation durchzuführen, damit außer den Aktionären niemand zu Schaden kommt.
Es fehlte an Anzeigenkunden. Warum war es so schwer, welche zu akquirieren?
Wir haben im Gebiet Obwalden und Nidwalden die problematische Situation, dass die Neue Luzerner Zeitung als Platzhirsch in der Zentralschweiz mit sämtlichen kleinen Anzeigenblättern unter dem Dach des Vermarkters Publicitas, der eigentlich neutral sein müsste, Pakete geschnürt hat. Das ist legitimer, freier Wettbewerb. Man kann uns fragen, warum wir das in dieser Form nicht vorhergesehen hätten, aber ich sage gar nicht, dass wir es nicht erwarten haben. Überrascht hat uns jedoch, wie träge dann der Werbemarkt reagiert hat. Das dauerte einfach zu lange, um die nötigen Erträge zu erzielen. Daran ist es gescheitert.
Was bedeutet das alles für das Konzept „Mikro-Zeitung“, das sie ja in der ganzen Schweiz anbieten wollten, z.B auch in Zürich?
Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass eine erfolgreiche ONZ ein enormer Rückenwind gewesen wäre, um das Modell zu verbreitern, und umgekehrt bedeutet das Scheitern der ONZ jetzt natürlich starken Gegenwind. Die ONZ hat eigentlich darunter gelitten, dass sie alleine in diesem Modell gegen die großen Medienhäuser ankämpfen musste. Da wurde zum Teil mit Kanonen auf Spatzen geschossen, denn man wollte am Beispiel ONZ beweisen, dass es nicht funktioniert, damit sich das Modell ja nicht weiter dupliziert. Das ist nun eingetroffen, und die Konkurrenz hat gewonnen. Das müssen wir respektieren.
Müssen Sie nun das Konzept „Mikro-Zeitung“ neu überdenken?
Nein, natürlich nicht, weil es beim Original, der Jungfrau Zeitung, tagtäglich funktioniert. Die schreibt ja schwarze Zahlen. Wir haben jetzt Prioritäten: Erstens wollen wir die ONZ ordentlich liquidieren. Wir sind mit Stolz und Anstand in das Projekt reingegangen und wollen zumindest mit Anstand wieder raus. Außerdem müssen wir die Jungfrau Zeitung schützen. Wir müssen kommunizieren, dass die Jungfrau Zeitung nach wie vor erfolgreich ist.
Wie fallen die Reaktionen auf die Schließung aus?
Wir sind positiv überrascht von der Medienresonanz in der Schweiz, denn in Journalistenkreisen wird es zutiefst bedauert, dass das Projekt gescheitert ist. Die Idee einer zweiten Stimme in lokalen Räumen, die Idee, diese Räume multimedial zu erschließen und das generierte Geld in die Wertschöpfung, in den Journalismus zu reinvestieren und nicht einfach in Datenbanken, wie Google das macht, diese Idee war natürlich im Sinne der Journalisten. Die haben auch zur Kenntnis genommen, dass die Neue Luzerner Zeitung das Redaktionsbudget enorm aufgestockt hat, es sind also nicht nur journalistische Stellen bei der ONZ entstanden, sondern auch bei der Konkurrenz. Jetzt befürchtet man, dass das sofort wieder rückgängig gemacht wird. Man hätte sich diesen Effekt natürlich auch in anderen Räumen der Schweiz erwünscht. Das ist vorerst gescheitert. Jetzt müssen wir beweisen, dass sich die Jungfrau Zeitung weiterhin positiv entwickelt. Solange sie so positiv funktioniert wie bisher sind auch alle Instrumente, die es für eine Mikro-Zeitung braucht, im täglichen Einsatz und werden weiterentwickelt. Wir werden keine Einsparungen in der Entwicklung vornehmen, damit wir bereit sind, wenn sich wieder ein window of opportunities öffnet.
Sind jetzt konkret Projekte gefährdet?
Wir haben in Zürich aussichtsreiche Gespräche mit Investoren geführt. Die Nachricht vom Scheitern der ONZ ist in diesem Zusammenhang natürlich überhaupt nicht dienlich. Das ist ein Riesenrückschlag. Mit diesem unternehmerischen Misserfolg müssen wir einfach leben. Wir lassen uns aber deshalb vom Modell und der Vision nicht abbringen. Weil wir davon überzeugt sind, dass es sich durchsetzen wird. Das ist egal, ob das dann die Gossweiler Media macht oder jemand anderes. Für die gesellschaftliche Entwicklung in der Schweiz oder in Deutschland ist es ja sekundär, wer Urheber des Modells ist. Wichtig ist, dass es sich durchsetzt. Und das wird auch so kommen, da bin ich überzeugt davon.
Was macht Sie da so zuversichtlich?
Dieser Trend hin zum Lokalen, dass das Lokale den Stellenwert bekommt, den es verdient, ist unumkehrbar. Wir sind überzeugt davon, dass in einer globalisierten Welt, in der auch die Nachrichtenbeschaffung zunehmend global und über die Sprachgrenzen hinweg funktioniert, auf der Gegenseite eine umso stärker Professionalisierung im Lokalen nötig ist. Das ist unumgänglich.
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