Interview

„Design als Sprache um Geschichten zu vermitteln"

von

Die spanische Tageszeitung El Periódico de Catalunya erhielt im April 2008 den Preis als Europe’s best designed Newspaper in der Kategorie Regionalzeitung. Die Zeitung aus  Barcelona erscheint in zwei Sprachen: Katalanisch und Spanisch. Für el Periódico arbeiten 250 Journalisten, 35 Fotografen, 10 Layouter und 15 Auslandskorrespondenten. Neben dem Newsroom in Barcelona gibt es eine Außenredaktion in Madrid. Die Zeitung deckt Katalonien ab und liefert Nachrichten aus dem übrigen Spanien und Ausland. drehscheibe-Mitarbeiterin Patricia Dudeck sprach mit Chefredakteur Rafael Nadal über die Konzeption des Blattes und welche Rolle dabei das Design spielt.

Herr Nadal, in den vergangenen drei Jahren wuchs die Auflage von el Periódico de Catalunya um zwölf Prozent auf 200.000 Exemplare. Was ist der Grund für diesen Erfolg?

Wenn ich den Grund wüsste, würde die Auflage immer weiter wachsen. Ich vermute, weil wir sehr daran arbeiten, nah am Leser zu sein. Unser Journalismus hat sich aber nicht verändert. Wir versuchen Nachrichten und menschelnde Geschichten zu vermitteln.

El Periódico ist zu Europas Regionalzeitung mit dem besten Design gewählt worden. Bringt es die Kombination von gutem Design und gutem Journalismus?

Wir glauben nicht an Design um des Designs willen. Es gibt eine Menge Zeitungen, die versuchen jeden Tag ein einzigartiges Titelblatt zu layouten. Aber ich denke, auch das langweilt die Menschen irgendwann. Wir arbeiten mit dem Design als Sprache um unsere Geschichten zu vermitteln. Wir arbeiten mit verschiedenen journalistischen Darstellungsformen. Manchmal muss man eine Geschichte einfach nur gut schreiben. Ein anderes Mal ist es leichter, Bilder oder Infografiken erzählen zu lassen. Wir lassen auch schon mal Comics zeichnen.

Der Journalisten-Trainer Peter Linden sagte beim European Newspaper Congress, dass Design nur die Verpackung ist. In der Zeitung sollte noch Platz für gut geschriebene Inhalte bleiben.

Ja, das ist wahr. Als das Internet in seiner Bedeutung wuchs, dachten wir, es sei wichtig in der Zeitung auch sehr visuell zu arbeiten. Wir wetteiferten mit dem Internet. Aber nun denken wir anders. Wir müssen bessere Journalisten sein denn je. Wir müssen den Lesern liefern, was sie interessiert mit allen Details und Fakten – und mehr narrativ. Wir bieten den Lesern Storytelling und Hintergrundinformationen. Anders als Nachrichtenagenturen oder das Internet.

Welchen Stellenwert hat das Internet für Ihre Zeitung?

Die Webseite ist oft ein Vehikel. So auch während einer öffentlichen und politischen Debatte über das Bildungssystem. Wir baten Lehrer über unsere Webseite, uns von ihren Problemen in ihrer Arbeit zu schreiben. In zwei Tagen erhielten wir 20 Briefe. Einen druckten wir auf der Titelseite ab. Bis zum nächsten Morgen um 10 Uhr erreichten uns daraufhin 200 weitere Schreiben von Lehrern. Wenn die Menschen ihre Meinung in der Zeitung veröffentlicht sehen, fühlen sie sich ernst genommen.

Kritiker behaupten, Ihre Zeitung wäre zu emotional und darum nicht seriös genug.

Nur wenn es von besonderem öffentlichem Interesse ist, heben wir die Meinung der Menschen besonders hervor. Wie etwa während des langen Stromausfalls in Barcelona letzten Sommer. Wir gaben den Meinungen und Emotionen der Bürger Raum. Wir ließen sie erzählen, was sie erlebt hatten und welche Probleme der Stromausfall ihnen bescherte. Doch der Job der Journalisten war es herauszufinden, wer verantwortlich dafür war. Nicht die Bürger schreiben unsere Berichte. Wir halten eine gesunde journalistische Distanz zu den Gegebenheiten.

Wie machen Sie politische Themen interessant für Ihre Leser?

Die Leute sind gelangweilt von dem Bla-bla der Politiker. Wir wollen, dass sich unsere Leser politischen Themen widmen. Sie sind besonders interessiert an allem rund um Schul- und Gesundheitssystem, den Lebenshaltungskosten und Immobilienpreisen. Wie eben schon erwähnt hatten wir eine zweiwöchige Kampagne. Jeden Tag füllten wir 20, 22 Seiten mit den Diskussionen über das Bildungssystem. Wir stellten Meinungen gegenüber. Leser luden wir ein, mit uns die Politiker zu fragen, wie sie das Bildungssystem managen wollen. "Coses de la vida" mit den lokalen Nachrichten ist dabei unser wichtigstes Ressort.

Aber wie verfahren sie etwa mit EU-Politik?

EU-Entscheidungen brechen wir auf unsere Region herunter, um die Auswirkungen der Regelungen für die Menschen hier deutlich zu machen. Zum Beispiel das Gesetz aus Brüssel, das nur eine bestimmte Menge Flüssigkeit im Handgepäck der Flugpassagiere erlaubt. Wir erklärten die Entscheidung Brüssels am Beispiel des Flughafens in Barcelona. In unserer Zeitung brachten wir die pro und contra Meinungen der Politiker. Wir sprachen mit den Menschen am Flughafen und forschten beim Sicherheitspersonal nach, was nicht an Bord darf und warum nicht.

Sie sind der Bruder von Joaquim Nadal, dem katalanischen Minister für Minister für Stadt und Landplanung sowie öffentliche Bauarbeiten. Kritiker sehen el Periódico deswegen als Verteidiger der aktuellen katalanischen Regionalregierung. Was ist da dran?

Im vergangenen Jahr richteten sich die meisten Titelseiten unserer Zeitung gegen die verantwortlichen Politiker für die katalanische Infrastruktur, also auch gegen das Ministerium meines Bruders. Und trotzdem treffe ich meine zwölf Geschwister jeden Samstag zum gemeinsamen Mittagessen – und wir reden zusammen wie eh und je.

Vor zehn Jahren erschien el Periódico erstmalig in zwei Sprachen: auf Katalanisch und Spanisch. Auch Online kann der Leser zwischen beiden wählen. Was hat Ihren Verlag dazu bewegt? Selbst mit Ihrem automatischen Übersetzungsprogramm ist es doch ein großer Arbeits- und Kostenaufwand.

Das ist es sicher. Aber wir haben nun mal eine Gemeinschaft mit zwei Sprachen: Katalanisch und Spanisch. Kinder lernen zuerst Katalanisch in der Schule. Also lesen viele Leute auch lieber Katalanisch. Deswegen haben wir uns entschieden zwei Zeitungen zu machen. Wir begannen mit einer Auflage von 60 Prozent auf Spanisch und 40 Prozent auf Katalanisch. Heute ist das Verhältnis etwa 55 zu 45 Prozent.

Unterscheiden die Zeitungen sich inhaltlich?

Nein. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, zwei verschiedene Inhalte herauszugeben. Den Katalanen könnte ich eine Zeitung pro Unabhängigkeit von Spanien liefern. Und in der spanischen Version könnte ich genau das Gegenteil schreiben. Aber nein, wir entschieden uns, dass es die gleiche Gemeinschaft mit den gleichen Themen und Nachrichten ist. In beiden Versionen von el Periódico steht für jeden das Gleiche.

Wie funktioniert das in der Praxis?

Wir haben Journalisten, die spanisch schreiben und andere, die katalanisch schreiben. Ich verfasse mein Editorial in meiner katalanischen Sprache, wenn genug Zeit ist für die Übersetzung. Aber um zehn Uhr abends, wenn ich nur eine halbe Stunde habe, schreibe ich auf Spanisch. Wir lassen alle unsere Texte durch ein Übersetzungsprogramm laufen. Danach müssen alle Artikel und Überschriften noch der ursprünglichen Länge angepasst werden. Katalanisch braucht fünf Prozent weniger Platz als Spanisch. Das ist wiederum Arbeit für die Redakteure.

Wissen die Leser diesen Aufwand zu schätzen?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass den Lesern das gefällt. Die Bürger von Barcelona wählen jede Minute zwischen beiden Sprachen. Mit dem einen spreche ich spanisch, mit dem anderen katalanisch. Genau so können meine Leser auch unsere Zeitung wählen. Es ist ein Stück mehr Freiheit, die ich meinen Lesern biete.

Aber eine Auflagensteigerung konnten Sie damit nicht verzeichnen.

Ja, aber wenn wir diese Entscheidung nicht getroffen hätten, hätten wir vielleicht an Auflage verloren. Immerhin haben wir mehr katalanische Leser als jede der katalanisch schreibenden Konkurrenz.

Interview: Patricia Dudeck

Über die Zeitung

Rafael Nadal

... ist Direktor der spanischen Regionalzeitung el Periódico de Catalunya, Barcelona. Das Interview wurde im April 2008 beim European Newspaper Congress (ENC) in Wien geführt.

Über die Zeitung

El Periódico de Catalunya hat eine Auflage von 200.000 Exemplaren. Gegenüber 2005 stieg die Auflage um 25.000 Exemplare. Die Zeitung erscheint im halben Nordischen Format und in zwei Sprachen: Katalanisch und Spanisch. Für el Periódico arbeiten 250 Journalisten, 35 Fotografen, 10 Layouter und 15 Auslandskorrespondenten. Es gibt einen Newsroom in Barcelona und eine Außenredaktion in Madrid. Die Zeitung deckt Katalonien ab und liefert Nachrichten aus dem übrigen Spanien und Ausland. El Periódico de Catalunya erhielt im April 2008 den Preis als Europe’s best designed Newspaper in der Kategorie Regionalzeitung.

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