„Die Diskussion war extrem hysterisch“
von Ann-Kristin Schöne
Droht uns bei der Bundestagswahl ein Social-Media-Wahlkampf wie in den USA? Darüber sprachen wir mit Martin Fuchs, Politikberater und Blogger aus Hamburg. Er wird auch teilnehmen an der Redaktionskonferenz „Wir lieben Lokaljournalismus: attraktiv, modern, leistungsstark“ der Bundeszentrale für poltische Bildung, die vom 28. bis 30. Juni in Berlin stattfindet.
Herr Fuchs, was ist vom diesjährigen Bundestagswahlkampf zu erwarten?
Daten, Zielgruppen und Crowd: Wir werden bis zum September zum einen sehen, dass die Parteien sehr viel besser mit Daten Wähler und Zielgruppen identifizieren und diese auch gezielter ansprechen als in den vorangegangenen Wahlkämpfen. Zum anderen wird viel mehr Kommunikation eigeninitiativ durch den Wähler – auch parteiunabhängig – sichtbar werden, also crowdbasierte Kommunikation. Bürger werden, selbst wenn sie keine Parteibindung haben, für bestimmte Personen, Themen und Ideologien digital campaigning betreiben. In Zeiten von Social Media sind wir alle nicht nur Rezipienten, sondern auch Sender. Bestes Beispiel ist Martin Schulz: Der Hype um ihn wurde im Netz geboren.
Wird es auch ein verstärkt personalisierter Wahlkampf sein?
Personalisierungen gab es in Deutschland schon immer. Ich glaube aber nicht, dass er komplett personenbezogen ist. Dafür haben wir hier eine andere Kultur und ein anderes politisches System als beispielsweise in den USA. Bei uns sind die Parteien schon extrem stark. Aber selbstverständlich begünstigt Social Media einzelne Personen – auch diejenigen, die in der Politik nicht in der ersten Reihe stehen, die aber, weil sie im Netz über eine große Community verfügen, große Effekte im Wahlkampf erzielen können.
Was bedeutet das für die Berichterstattung während des Wahlkampfs?
Das Netz ist fester Bestandteil der politischen Kommunikation im Jahr 2017, und zwar auf allen Ebenen: Europa, Bund, Land, Kommune. Die Journalisten müssen also genau im Blick haben, was im Netz los ist. Mein Eindruck ist aber, dass das in der Breite schon gemacht wird. Was ich mir allerdings wünschen würde: weniger einen Nach-Klicks-hechelnden-Journalismus, der vermeintliche Skandale, also komische Tweets oder Posts, zu einem Thema aufbläst. Wir brauchen eine Art Fehlerkultur, die wir Politikern zugestehen, die digital unterwegs sind. Ohnehin ist die Einordnung wichtiger als die Nachricht, denn den Tweet oder Post sehen die Leute ja selbst. Statt schlaglichtartig zu berichten sollten Journalisten versuchen, langfristige Entwicklungen im Netz nachzuverfolgen und zu erklären.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Man könnte zehn Wochen vor der Wahl bestimmte Profile von Politikern in den Blick nehmen: Wie hat sich die Reichweite der jeweiligen Kandidaten aus dem Landkreis entwickelt? Solche Analysen könnten eine smarte Ergänzung zu den klassischen Prognosen sein. Zudem könnte man die geposteten Inhalte der letzten Jahre analysieren und schauen, wie die Positionen der Kandidaten der letzten Jahre zum aktuellen Parteiprogramm passen.
Wie lassen sich Online- und Messaging-Dienste sinnvoll einbinden?
Wir haben fast 40 Millionen Whatsapp-Nutzer in Deutschland, die teilweise täglich in Hunderten von Chats kommunizieren. Wer also in der Lebenswirklichkeit der Menschen eine Rolle spielen will, kommt um Whatsapp nicht herum. Für Redaktionen sind Whatsapp-Chats mit den Kandidaten eine gute Möglichkeit, denn die Leser können ihre Fragen direkt stellen und bekommen sie direkt beantwortet. Man kann Politiker auch mal einen Tag lang den Twitter- oder Facebookaccount der Zeitung übernehmen lassen. Die Leser bekommen dann statt Nachrichten Einblick in den Wahlkampf und die Interessen des Kandidaten.
Wie sollten die Medien mit Falschmeldungen umgehen? Es besteht ja die Gefahr, dass ihnen durch die Berichterstattung noch mehr Bedeutung gegeben wird.
Definitiv. Ich fand die Diskussion um Fake News in letzter Zeit extrem hysterisch. Fake News hat es immer schon gegeben. Klar verstärkt das Netz bestimmte Effekte, aber es ist nicht unbedingt mehr geworden – die Fake News sind einfach nur sichtbarer. Meiner Meinung nach könnte eine feste Rubrik, in der täglich oder wöchentlich geschaut wird, was die Parteien posten und ob das jeweils stimmt, die Lösung sein. So hätte man eine regelmäßige Analyse. Der tägliche Faktencheck gehört ohnehin in jede gute Zeitung, nicht nur in Wahlkampfzeiten.
Sind Faktenchecks also das Allheilmittel gegen Fake News?
Ganz sicher nicht. Sie sind nur die oberflächliche Behandlung eines Symptoms, was uns gerade jetzt nach den US-Wahlen vor Augen schwebt. Wesentlich wichtiger ist eine umfassende Medienkompetenz- und Persönlichkeitsbildung der Bevölkerung. Die Menschen müssen ermächtigt werden, selbst diese Einordnung hinzubekommen und zu wissen, wo sie was gegenchecken können, und dass es zum Beispiel so tolle Portale wie Hoaxmap oder Mimikama gibt.
Welchen Beitrag können Journalisten dazu leisten?
Indem sie zum Beispiel darüber berichten, wenn Personen aus dem Wahlkreis etwas unbedarft weiterleiten und welche Effekte das hat. Wenn den Leuten bewusst wird, welche fatalen Konsequenzen es mitunter haben kann, wenn sie Falschmeldungen weiterverbreiten, hilft das schon enorm. Angela Merkel wurde sehr für ihren Satz, dass das Internet Neuland ist, belächelt. Aber für viele Menschen ist es das tatsächlich. In zwei, drei Jahren werden wir weiter sein und in der breiten Gesellschaft wird es ein entsprechendes Bewusstsein für Fake News usw. geben.
Was ist mit Social Bots? Sie scheinen im Moment ein großes Schreckensgespenst zu sein.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine große Masse an Social Bots und Versuchen der Meinungsmanipulation beobachten werden. Aber ich glaube auch, dass die Diskussion der letzten Zeit – trotz der Hysterie – gut war. Sie hat für eine Sensibilisierung an den richtigen Stellen gesorgt. Politiker, Meinungsmacher, Journalisten – sie alle gehen jetzt immer öfter noch den zweiten Rechercheschritt und fragen sich: Kann es sein, dass dieses Thema jetzt tatsächlich trendet und so breit diskutiert wird? Deshalb glaube ich, dass Social Bots trotz ihrer hohen Anzahl keinen großen Einfluss auf die Meinungsbildung und die Wahlentscheidung von großen Bevölkerungsgruppen haben werden. Sie werden uns aber auch nach der Wahl weiter beschäftigen, denn verschwinden werden sie nicht.
Auf dem drehscheibe Blog wird live von der Redaktionskonferenz berichtet. Die Berichterstattung beginnt mit dem Eröffnungs-Talk am Mittwoch, 28. Juni, um 15 Uhr.
Check-Liste
- langfristige Entwicklungen im Netz nachverfolgen und erklären
- regelmäßige Faktenchecks
- Trends und Themen kritisch hinterfragen
- Konsequenzen von Falschmeldungen aufzeigen
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