Interview

„Die großen Agenturen pauschalisieren häufig“

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Die großen Presseagenturen würden mit ihren verkürzenden Meldungen Vorurteile gegen Muslime schüren und außerdem fühlten viele Muslime sich von der Berichterstattung über Islam-Themen nicht angesprochen – die drehscheibe sprach mit Kemal Çalık, dem Chefredakteur des Online-Wirtschaftsmagazins Halal-Welt.

Herr Çalık, die Berichterstattung in den Medien über Themen, die den Islam oder die Muslime betreffen, ist Ihnen in den meisten Fällen zu negativ. Was meinen Sie damit?

Das sage nicht nur ich, da gibt es sogar Studien, die das belegen. Mit negativ meine ich, dass deutlich mehr über die Konflikte in der islamischen Welt berichtet wird, über Radikalisierung oder islamistisch motivierte Terroranschläge als über Themen, die die Kultur oder die Wirtschaft betreffen. Themen, die 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt betreffen und interessieren. Die Nachrichten werden richtiggehend islamisiert, das finde ich problematisch.

Was meinen Sie damit, islamisiert?

Eine gängige Vorgehensweise bei terroristischen Anschlägen ist doch, alles auf den Islam zuzuspitzen. Dabei werden sozio-ökonomische Gründe, wie etwa die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in Syrien, im Irak, im Jemen, in Afghanistan oft nicht berücksichtigt. Da haben die Islamisten leichtes Spiel mit den Menschen. Man missbraucht den Islam, um die Leute zu radikalisieren. Ich wünsche mir da ein differenzierteres Bild, das die Medien in der westlichen Welt von den islamischen Ländern zeichnen.

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Ausgabe 7/2017

Islam

Über keine Religion wird in Deutschland so kontrovers diskutiert wie über den Islam. Was bedeutet das für die Berichterstattung im Lokalen? Dieser Frage geht die drehscheibe in Experten-Interviews und Best-Practice-Beispielen auf den Grund.

Machen sich es Journalisten hierzulande Ihrer Meinung nach zu leicht?

Nicht immer. Aber häufig fehlt entweder das nötige Material, wie etwa Archive oder Dokumentationen, um eine Geschichte richtig einzuordnen. Und gerade Lokaljournalisten, die tagesaktuell berichten müssen, haben vielleicht auch nicht genügend Zeit, Hintergründe nachzurecherchieren. Die Agenturen schicken Meldungen heraus, in denen das Thema pauschalisierend und verkürzt dargestellt wird, und die meisten Tageszeitungen geben diese Meldungen weiter.

Können Sie mir für diese Beobachtungen ein Beispiel geben?

Selbstverständlich. Es gab Anfang Mai diesen Jahres eine dpa-Meldung, in der stand, dass der hessische Verfassungsschutz nach wie vor das Umfeld von Moscheen und Gebetsräume im Visier habe, um die Salafisten-Szene zu beobachten. Mittlerweile rücke aber auch das Umfeld der Fitness-Studios und Halal-Läden in den Fokus, also Läden, die Produkte enthalten, die nach islamischer Lehre erlaubt sind. Jetzt stellen Sie sich mal vor, was los wäre, wenn jemand schreibt, der Verfassungsschutz beobachtet Edeka-Läden.

Was fanden Sie an der Meldung so verheerend?

Es gibt mehr als 10.000 Halal-Läden in Deutschland. Die stehen jetzt alle unter Generalverdacht. Es steht in der Meldung, dass es beispielsweise „beim Obsthändler nebenan“ sein könne, bei dem Salafisten junge Leute rekrutieren. So etwas schürt die Vorurteile ganz enorm. In diesem Fall muss ich aber die Kollegen von der Frankfurter Neuen Presse nennen, die meiner Meinung nach vorbildliche Arbeit geleistet haben. Dort hat man nämlich nachgehakt: beim Einzelhandelsverband und beim Verfassungsschutz.

Und was kam heraus?

Der Sprecher des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen betonte, dass nicht die Inhaber und Konsumenten kleiner Läden gemeint seien, sondern die Mitglieder der Salafisten-Szene. Noch besser berichtete die lokale Nachrichtenplattform Merkurist.de aus Mainz: Hier fragte die Redaktion auch bei Inhabern von Halal-Läden nach, ob man sich durch die Meldung stigmatisiert fühle.

Sie fordern auch, dass gläubige Muslime sich mehr in den journalistischen Diskurs einbringen sollen.

Unbedingt. Die Agenda wird häufig von Leuten bestimmt, die den Islam kritisieren, reformieren oder umschreiben wollen. Ich würde mir aber wünschen, dass mehr muslimische Journalisten auftauchen, die über ihre Erfahrungen berichten. Ich frage mich auch, warum ich nicht mehr Geschichten über Muslime lese, die dort spielen, wo auch die Mehrheitsgesellschaft ist.

Sie sind selbst mit gutem Beispiel voran gegangen. Als Chefredakteur des Online-Wirtschaftsmagazins Halal-Welt.com recherchierten Sie beispielsweise, welche Einzelhandelsketten sich auf den Ramadan vorbereiten.

Geschichten, wie Muslime ihren Ramadan begehen, wie sich Fasten anfühlt, gibt es viele. Ich habe mich gefragt: Warum merken wir in Deutschland im Alltag eigentlich überhaupt nicht, dass Ramadan ist? Zu Halloween, Weihnachten, Ostern gibt es große Aktionen in den Supermärkten. Wie sieht es bei den deutschen Supermärkten und Discountern aus? Haben Sie für die fastenden Muslime entsprechende Produkte im Angebot oder bauen sie gar spezielle Verkaufstische auf? Das Ergebnis meiner Recherchen: Die wenigsten deutschen Einzelhändler bauen Ramadan-Tische auf. Auch dadurch bleibt das muslimische Leben hierzulande unsichtbar.

Nun ist die Bedrohung durch islamistisch motivierte Gewalt nicht wegzureden und seit Jahren in den Medien präsent. Wo wären denn mögliche Gelegenheiten, um den Fokus auf das Thema Islam zu verändern?

Die Gelegenheiten sind natürlich immer dann da, wenn es auch aktuelle Anlässe gibt. Der Arabische Frühling war beispielsweise so eine Zeit, in der die Medien sehr positiv über die arabische Welt berichtet haben. Aber dann stellte sich heraus, dass die Demokratie nicht so wie erhofft in den entsprechenden Ländern Einzug gehalten hat. Und schon schwenkte die Berichterstattung wieder zurück ins Negative.

Was erwarten Sie von den deutschen Medienmachern?

Muslime sind auch Väter, Mütter, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Männer und Frauen. Alles Kategorien, über die Muslime zusätzlich definiert werden können, nicht nur über ihren Glauben. Ich wünsche mir eine größere Vielfalt an Geschichten, einfach mehr Differenzierung.

Kemal Calik

Kontakt

Kemal Çalık hat als Redakteur unter anderem für das Börsenblatt und Der Handel geschrieben und ist Chefredakteur des Online-Magazins Halal-Welt.com, ein deutschsprachiges Online-Wirtschaftsmagazin für die Halal-Branche. Außerdem ist er im Vorstand des Bundes türkischer Journalisten in Europa.
E-Mail: kemal.calik@halalwelt.com

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