„Die Medien sollten auf Augenhöhe berichten“
von Max Wiegand
Malu Dreyer ist die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und damit die erste Frau, die dieses Land regiert, erkrankte 1994 an Multipler Sklerose. Inzwischen lebt sie mit ihrer Familie in einem inklusivem Wohnprojekt mit behinderten und nicht behinderten Menschen. In ihrem gerade erschienenen Buch „Die Zukunft ist meine Freundin“ schildert sie unter anderem ihren Umgang mit der Krankheit. Im drehscheibe-Interview erklärt sie, wie Lokalzeitungen mit dem Thema Inklusion umgehen sollten.
Frau Dreyer, als bekannt wurde, dass Sie Kurt Becks Nachfolgerin werden, war Ihre MS-Erkrankung ein großes Thema. Wie empfanden Sie rückblickend die Berichterstattung der Medien?
Ich habe die Reaktionen als sehr positiv und fair empfunden. Natürlich war die MS-Erkrankung in vielen Interviews Thema, das war auch in Ordnung. Aber mit der Zeit ist die Erkrankung auch in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund gerückt.
Haben Sie sich damals darüber geärgert, dass Sie – mutmaßlich wegen ihrer Erkrankung – von vielen gar nicht mehr zu den Kandidaten gezählt wurden?
Vor der Bekanntgabe wurde ich immer mal wieder zum engeren Kreis derer gezählt, die Kurt Beck würden nachfolgen können, nach der Bekanntgabe meiner Krankheit schlagartig nicht mehr. Erst später ist es mir aufgefallen.
Ihre Geschichte gilt als vorbildlich für den Umgang mit einer chronischen Krankheit. Kürzlich erschien Ihr Buch „Die Zukunft ist meine Freundin“, in dem Sie sehr offen darüber sprechen. Glauben Sie, dass es wichtig ist, anderen Betroffenen durch positive Beispiele und Erfahrungen Mut zu machen?
Positive Beispiele sind wichtig. Trotzdem muss man auch immer sehen, dass jeder seine persönliche Geschichte hat, die nicht mit anderen vergleichbar ist. Ich würde mich aber freuen, wenn ich andere dazu ermutigen könnte, sich nicht behindern zu lassen.
Welche Rolle können Lokalzeitungen dabei spielen?
Lokalzeitungen berichten über das, was in der näheren Umgebung der Bürger und Bürgerinnen geschieht, und sind damit ein sehr wichtiges Informationsmedium. Sie können durch die Schilderung von positiven Beispielen, aber auch durch die kritische Begleitung der Umsetzung von Inklusionsmaßnahmen oder Gesundheitsangeboten vor Ort, viel erreichen.
Sie sind eine große Fürsprecherin der Inklusion, leben selbst auch in einem Wohnprojekt mit behinderten und nicht behinderten Menschen zusammen. Auch Lokalzeitungen berichten über das Thema, beispielsweise über die Inklusion an Schulen. Deckt sich die Berichterstattung grundsätzlich mit Ihren Erfahrungen?
Grundsätzlich ist es gut, wenn über Inklusion berichtet wird, denn Inklusion ist ein Menschenrecht. Menschen mit Behinderung haben einen Rechtsanspruch auf gesellschaftliche Teilhabe. Zugleich muss sich das Bild einer inklusiven Gesellschaft durchsetzen. Das ist eine Aufgabe der Politik, aber auch der Medien, die über Inklusion berichten. Das fängt beispielsweise an bei einer sensiblen Sprachwahl, die nicht diskriminiert und auf Floskeln wie „er ist an den Rollstuhl gefesselt“ verzichtet.
Glauben Sie, dass Lokalzeitungen ihre Leser stärker über den Umgang mit behinderten Menschen aufklären sollten? Etwa darüber, dass Mitleid fehl am Platze ist?
Ich glaube, dass Medien auf Augenhöhe über Menschen mit Behinderung berichten sollten. Das vermeidet Mitleid schon ganz automatisch.
Teaser- und Porträtfoto: Wikimedia/ Martin Kraft, (Lizenz: CC-BY-SA 3.0)
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