„Die User waren bestens informiert"
von Stefan Wirner
Für seine Berichterstattung über die Kommunalwahlen in Bayern benutzte der Nordbayerische Kurier aus Bayreuth das Online-Tool Scribble Live. Die drehscheibe wollte wissen, welche Erfahrungen die Redaktion damit gemacht hat und wie der Blog von den Leserinnen und Lesern angenommen wurde. Darüber sprachen wir mit Katharina Ritzer, Ressortleiterin Online und Digitales, und Chefredakteur Joachim Braun.
Frau Ritzer, Herr Braun, wie sah die Arbeit mit Scribble Live im Detail aus?
Braun: In unserem Verbreitungsgebiet gibt es über 50 Gemeinden. Wir schickten Reporter gezielt in die Rathäuser, wo die Bürgermeisterwahlen möglicherweise spannend werden würden. Die Kollegen waren alle mit einem Zugang zu Scribble Live ausgestattet, so dass sie auf ihrem Smartphone auf die entsprechende App oder vom iPad auf die Website schreiben konnten. Ich saß in der Redaktion und habe zusammen mit Katharina Ritzer die einlaufenden Informationen koordiniert.
Wie viele Reporter des Nordbayerischen Kuriers waren in den Rathäusern der Gegend unterwegs?
Braun: Ein Dutzend.
Ritzer: Aber die hätten wir sowieso losgeschickt, auch ohne den Scribble Live-Blog, denn sie hatten ja auch die Aufgabe, O-Töne der Kandidaten einzufangen etc.. Dass sie auch für den Blog gearbeitet haben, war praktisch ein Synergieeffekt.
Sie haben bei der Aktion auch mit anderen Zeitungen kooperiert.
Braun: Ja, wir haben am Rande einer dpa-Konferenz mit den Kollegen von der Augsburger Allgemeinen, der Mittelbayerischen Zeitung und der Main-Post vereinbart, dass wir uns am Wahlabend gegenseitig mit Informationen versorgen. Der dpa-Landesdienst konnte das nicht leisten.
Warum mit diesen dreien?
Braun: Weil sie meines Wissens neben uns die einzigen in Bayern sind, die mit Scribble Live arbeiten.
Wie lief die Kooperation am Wahlabend ab?
Ritzer: Es gibt bei Scribble Live eine Funktion, die nennt sich „syndizieren“. Mit ihrer Hilfe können mehrere User, in diesem Fall Redaktionen, einen gemeinsamen Ticker bespielen. Das haben wir mit den Kooperationspartnern gemacht, wobei dieser zweite Ticker nicht öffentlich war, weil wir ja kein Interesse an allen Ergebnissen unserer Partner, etwa aus den kleinen Wald- und Wiesendörfern in Augsburg und Umgebung, hatten – und die auch nicht an unseren. Wir haben den Ticker verdeckt parallel laufen lassen und uns nur herausgezogen, was auch für unsere Leser interessant schien. Anschließend ließen wir die Ergebnisse unserer Reporter, ausgewählte Informationen und Posts unserer Partner und was wir sonst noch hereinbekommen haben, auf den öffentlichen Blog einfließen. Die User waren praktisch über alle Ergebnisauszählungen bestens informiert.
Braun: Sogar die Zwischenergebnisse des Eishockey-Playoffs mit Bayreuther Beteiligung. haben wir eingespielt. Das kam auch in den Rathäusern und bei den Wahlpartys, bei denen der Ticker lief, gut an.
Worin besteht der Unterschied zu einem herkömmlichen Liveticker?
Braun: Die handgeschnitzten Liveticker haben den Nachteil, dass der User ständig im Browser auf Aktualisieren klicken muss, um neue Posts zu lesen. Und das nervt. Bei Scribble Live laufen die Neuigkeiten automatisch rein. Außerdem ist die Gefahr, dass die Website überlastet wird, im herkömmlichen Verfahren wegen der hohen Zahl an Zugriffen größer. Das ist manchen Zeitungen auch passiert. Bei uns gab es keinerlei Probleme, denn Scribble Live läuft über Großrechner in Kanada.
Aber der Blog läuft trotzdem auf der eigenen Homepage?
Ritzer: Ja, und das ist auch das Schöne daran! Man kann ihn wunderbar einbinden, und gleichzeitig sieht es dabei so aus, als wäre er eine originäre Seite der eigenen Homepage.
Fließen da auch wie bei Storify Twittermeldungen oder dergleichen ein?
Ritzer: Das kann man so einstellen, allerdings nur in der Desktop-Version, nicht über die App. Wir haben aber am Wahlabend darauf verzichtet, weil Twitter kaum eine Rolle gespielt hat. Wir hatten ja selbst so viele eigene Reporter vor Ort, dass wir Twitter schlicht nicht benötigt haben.
Wie können sich die Leser in die Berichterstattung einschalten?
Braun: Das läuft ähnlich, wie wir es von Storify her kennen. Wenn man sie freischaltet, laufen ihre Fragen etc. in den Blog ein. Die Fragen haben wir beantwortet, es gab auch einige Leserkommentare, Beschimpfungen löscht man natürlich. Insgesamt war die Interaktionsrate hoch.
Worin besteht der Unterschied zu Storify?
Braun: Storify ist von der Idee her eine Erzählform, bei der im Nachhinein Geschichten und Themen zusammengefasst werden. Es eignet sich nicht so gut für eine Live-Geschichte. Und die Klicks gehören Storify. Die Klicks bei Scribble Live hingegen gehören uns, weil der Blog ja über die eigene Homepage läuft.
Hatte der Wahlabend nachhaltige Effekte auf das Nutzerverhalten?
Braun: Wir hatten alleine an diesem Abend über 40.000 Zugriffe, allein auf den Liveticker, auf die anderen Artikel zur Wahl waren es nochmal 25.000. Ein normaler, gut laufender Artikel hat bei uns etwa 1.500 Zugriffe. Wir hatten außerdem bis zu 1.800 User gleichzeitig auf der Seite, das kann man auf Scribble Live gut verfolgen. Das Schöne ist auch, dass Scribble Live mobil gut genutzt werden kann.
Also dürfte es eine Fortsetzung geben?
Ritzer: Auf jeden Fall!
Braun: Wir haben das Tool ja kürzlich schon während einer Haushaltssitzung eingesetzt. Ohne dass wir es vorher beworben haben, waren die Leute total begeistert. Sie konnten praktisch die Beschlüsse in Echtzeit mitbekommen. Das örtliche Lokalradio bekommt schon richtig Angst, weil wir ihnen das USP, das Alleinstellungsmerkmal, wegnehmen.
Gibt es schon Pläne, zu welchem Anlass Sie Scribble Live beim nächsten Mal verwendet wollen?
Ritzer: Zum Beispiel bei der Premiere der Bayreuther Festspiele im Sommer, da kommen ja immer viele Prominente in die Stadt. Denkbar sind auch Volksfeste, Sitzungen, kulturelle Veranstaltungen. Vielleicht kann man Scribble Live auch bei kleinen lokalen Katastrophen wie Bränden oder ähnlichem einsetzen.
Hier geht's zu Scribble Live.
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