„Die wichtigste Frage ist, ob man seine Leser richtig einschätzt“
von Max Wiegand
Bernd Weber ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Dortmunder Medienagentur mct.
Was wollen unsere Leser? Diese Frage stellten sich kürzlich die Dortmunder Ruhr Nachrichten. Mit Hilfe der Medienagentur mct wurden die Leser in einer Umfrage nach ihren Bedürfnissen befragt. Über die Befragung sprach die drehscheibe mit mct-Geschäftsführer Bernd Weber.
Herr Weber, Sie und ihre Medienagentur mct führen seit Jahren Leserbefragungen für Lokalzeitungen durch, kürzlich auch für das Medienhaus Lensing, zu dem unter anderem die Dortmunder Ruhr Nachrichten gehören. Worum geht es dabei genau?
Wir wollen herausfinden, welches Image die Zeitung und ihre Lokalausgaben bei ihren Lesern haben und welche Informationsbedürfnisse sie gut oder weniger gut bedienen. Dazu vergleichen wir die Befragungsergebnisse mit über 30 unserer Leser-Befragungen bei Lokalzeitungen. So können wir die Werte einordnen und besser interpretieren: Wenn wie bei den Ruhr Nachrichten 80 Prozent sagen, dass sie die Zeitung sehr gut oder gut finden – ist das dann verglichen mit anderen Lokalzeitungen ein guter Wert oder ein weniger guter Wert? Die Frage können wir beantworten.
Bei der Frage nach Themen, die die Leser der Ruhr Nachrichten häufiger in der Zeitung lesen wollen, landeten „Streitthemen vor Ort“ und„ Ortsbild, Wohnumfeld“ ganz oben. Wie erklären Sie sich das große Bedürfnis der Leser nach lokalen Themen?
Leser einer Lokalzeitung sind natürlich immer sehr interessiert an ihrem unmittelbaren Umfeld – sei es die Stadt oder der Stadtteil –, aber sie wollen auch wissen, was in Deutschland und der Welt passiert. Schwer haben es eher solche Zwischenbereiche wie Land, Kreis und dergleichen. Man muss wissen, dass unsere Befragung von vornherein vor allem auf lokale Themenbereiche abzielte. Also lässt sich nicht pauschal sagen, dass das Interesse an lokalen Themen größer ist.
Was ließe sich denn aus den Ergebnissen schließen?
Es geht grundsätzlich immer darum, welche Themen die Zeitung bereits gut bedient und welche nicht. Wenn ein Drittel der Befragten mehr über „Streitthemen vor Ort“ lesen möchte, dann kann das bedeuten, dass die Zeitung in der Hinsicht ein Defizit hat. Aber auch solche Ergebnisse interpretieren wir immer erst in einem größeren Zusammenhang. Es gab ungefähr 20 Fragen, die aufeinander abgestimmt waren. Wir prüfen etwa, ob die Zeitung bei ihren Lesern als besonders kritisch oder besonders unkritisch gilt. Erst in diesem Gesamtkontext lässt sich dann eine Schlussfolgerung ziehen.
Fielen die Ergebnisse der Umfrage normal für eine Lokalzeitung aus oder gab es auch überraschendes? Uns fiel zum Beispiel auf, dass nur sechs Prozent der Leser mehr über lokalen Sport lesen wollten.
Auch bei einem solchen Ergebnis muss man sich die Frage genau ansehen und überlegen, was das eigentlich bedeutet. Wenn nur sechs Prozent der Leute sagen, wir hätten gerne mehr lokalen Sport im Blatt, dann heißt das wahrscheinlich, dass der Bereich von der Zeitung grundsätzlich gut abgedeckt wird. Also schauen wir zunächst darauf, wie viel die Zeitung da wirklich macht. Im übrigen sagten auf der anderen Seite fast genau so viele Leser, dass sie weniger über lokalen Sport lesen wollen, das gilt es dann auch zu berücksichtigen. Was typische Ergebnisse angeht, so haben wir bei Themen wie „Jubiläen, Ehrungen, Goldhochzeiten“ oder der Vereinsberichterstattung fast immer Ergebnisse zwischen fünf und 15 Prozent, die sich mehr davon wünschen und genau so viele, die weniger darüber lesen wollen. Genau in diesem Rahmen bewegte sich das auch bei den Ruhr Nachrichten.
Warum sollten Lokalzeitungen solche Umfragen machen?
Die wichtigste Frage bei so einer Umfrage ist, ob man seine Leser richtig einschätzt. Journalisten sind keine Hellseher, deshalb kommen häufig Dinge heraus, die man so nicht erwartet hatte. Ich bin mir sicher, dass bei den Ruhr Nachrichten kaum jemand damit rechnete, dass „Streitthemen vor Ort“ so weit vorne landet. Außerdem erhalten Lokalzeitungen durch solche Leserbefragungen gute Informationen darüber, ob sich die Informationsverteilung, also aus welchen Orten man berichtet, mit den Bedürfnissen der Leser deckt. Zusätzlich erfährt die Zeitung, mit welchen Medien sie als lokale Informationsquelle konkurriert.
Inwiefern sind die Forderungen der Leser auch umsetzbar?
Bei ganz vielen Umfragen landet das Thema „Kriminalität und Sicherheit“ weit vorne. Doch was macht man jetzt mit dieser Erkenntnis? Man kann ja nicht einfach jede Polizeimeldung abdrucken. Da gilt es dann vielmehr, die Ergebnisse mit den eigenen journalistischen Standards abzugleichen. Die Ruhr Nachrichten lassen zum Beispiel in dem Projekt Cockpit regelmäßig wissenschaftlich prüfen, ob sie die Standards einhalten, die sie sich selbst gesetzt haben. Das heißt, sie machen Inhaltsanalysen der Zeitung. Die Chefredaktion prüft, mit welchen Themen sich ihre Redakteure beschäftigen und welche Leserbedürfnisse sie jeweils befriedigen. Außerdem werden im sogenannten Media-Lab neue Produkte getestet. Eine Leserumfrage ist also immer nur ein Teil dessen, was man an Informationen braucht, um die Zeitung weiterzuentwickeln.
Was passiert, wenn man das Blatt an die Forderungen der Leser anpasst? Nehmen diese davon Notiz?
Wenn man etwas ändert, wirkt sich das auch auf die Umfragewerte aus. Vor einiger Zeit hat etwa die Heilbronner Stimme drei Leserbefragungen im Abstand von einigen Jahren gemacht. Die Redaktion veränderte das Blatt anhand der Ergebnisse und befragte anschließend die Leser nochmals. Man konnte sehen, dass Leser die Veränderungen bemerkten und schätzten, denn die Werte wurden tatsächlich deutlich besser.
Haben sich die Leserwünsche in den letzten Jahren verändert oder bleiben die Interessen kontinuierlich gleich?
So sehr haben sie sich nicht verändert. Natürlich sind neue Wettbewerber hinzugekommen, wie etwa lokale Internetportale. Die spielen aber beispielsweise für die Leser der Ruhr Nachrichten gar keine so große Rolle bei der Informationsbeschaffung. Auch die Themen verändern sich. Vor zwei Jahren hätten wir wohl nicht nach dem Thema „Flüchtlinge“ gefragt – das wäre heute anders. Das Grundbedürfnis ist jedoch gleich: Ich will wissen was in meiner Umgebung passiert, wenn ich eine Lokalzeitung lese.
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