„Durch Facebook wird die Lokalzeitung wieder zum Marktplatz“
von Marion Bacher
Katharina Ritzer ist Social Media Managerin beim Nordbayerischen Kurier. Im Interview erzählt sie von hitzigen Facebook-Diskussionen und Lesern als moralisches Korrektiv.
Der Nordbayerische Kurier veranstaltet zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung das 22. Forum Lokaljournalismus, das vom 29. bis 31. Januar in Bayreuth stattfindet. Die drehscheibe wird live von der Tagung bloggen: Zum drehscheibe-Blog.
Welche Innovationen am regionalen Newsdesk haben Sie als Digital-Ressort angeregt?
Es sind gar nicht so große Innovationen – es geht viel mehr um die Änderung im Workflow. Bei uns schreibt jeder Printredakteur auch für Online, und deshalb muss bei allen tief verankert sein, dass Online genauso Zeitung ist wie Print. Das fängt schon damit an, dass alle bei der Redaktionskonferenz mitdenken, ob bei der Berichterstattung ein Liveticker gebraucht wird und was wir auf Facebook oder Twitter stellen. Es wird auch besprochen, was wir auf der Seite als Paid Content anbieten und was nicht. Für eine Polizeimeldung brauchen wir keine Bezahlschranke, für eine recherchierte Hintergrundgeschichte - beispielsweise zu einem Gerichtsverfahren - schon.
Und was ist das spezifisch Lokale daran?
90 Prozent unserer Aufmacher sind Geschichten aus dem Lokalteil.
Die Facebook-Seite des Nordbayerischen Kuriers hat mehr als 8.000 Likes und eine sehr aktive Community. Das ist für eine Lokalzeitung beachtlich. Wie haben Sie das geschafft?
Facebook ist inzwischen der wichtigste Traffic-Bringer für unsere Homepage. Wichtig ist, die Seite permanent zu bespielen. Wir antworten auf jede Frage, sind für die Leute erreichbar und mischen uns schon mal in Diskussionen ein. Auf unserer Wall kann es auch ganz schön harsch zugehen. Wir stellen uns dem und erklären den Lesern immer wieder, warum wir eine Geschichte so und nicht anders gemacht haben. Durch Facebook wird die Lokalzeitung wieder zum Marktplatz – letztlich geht es für uns als Lokalzeitung ja auch darum, erreichbar zu sein und die Leser ernst zu nehmen.
Bei welchem Thema wurde besonders kontrovers diskutiert?
Wir hatten von einer Mutter erfahren, dass sich eine Person vor der Schule herumtreibt, der sexueller Missbrauch nachgesagt worden ist. Wir haben die Geschichte penibel genau recherchiert, sie online gestellt – aber nur als Paid Content, woraufhin wir ziemlich viel Kritik ernteten. Die Leser regten sich auf, dass wir so etwas Wichtiges ja nicht nur gegen Bezahlung veröffentlichen könnten! Aber wir sind doch nicht die Wohlfahrt, sondern ein Wirtschaftsunternehmen. Die Zeitung hat früher ja auch nicht Handzettel über der Stadt abgeworfen. Dieses Bewusstsein muss sich bei den Lesern einstellen, und das haben wir auch erklärt.
Wie binden Sie Ihre Leser aus den sozialen Netzwerken in die Berichterstattung ein?
Wir bekommen einige Ideen für Geschichten von unseren Lesern, die wir dann auch umsetzen. Als feste Form im Blatt haben wir auch die „Stimmen aus dem Netz“ etabliert – da drucken wir die Meinung der Leute etwa zu den Aufmachern ab. Im Austausch mit den Lesern kann sich aber auch so etwas wie ein moralisches Korrektiv entwickeln. Es hat den Fall gegeben, bei dem eine Leiche exhumiert wurde. Ein Zeitungskollege ist mit einer Drohne angerückt und hat Fotos geschossen. Wir dachten uns: So etwas sollten wir auch mal machen! Aber als wir dann die Reaktionen im Netz lasen, merkten wir, dass wir uns getäuscht hatten. Unsere Leser gehen sehr sensibel mit dem Thema Privatsphäre um – das wäre also nicht so gut gekommen.
Welche Online-Tools verwendet Ihr Ressort?
Unentbehrlich ist für uns der Liveticker, den verwenden wir sehr oft bei Sportveranstaltungen, aber auch bei Podiumsdiskussionen oder politischen Veranstaltungen. Experimentiert haben wir auch mit Storify, im vergangenen Jahr mit vier Geschichten. Da das eher ein kuratierendes Tool ist, das einem einen Überblick über die Stimmen in den sozialen Netzwerken gibt, macht das natürlich nur für eine Geschichte Sinn, bei der es diese Stimmen auch gibt. Bei Lokalgeschichten sind die nicht immer leicht zu finden. Beim Jahresrückblick haben wir eine Timeline eingesetzt, und bei einigen Veranstaltungen haben wir auch live gebloggt. Das wollen wir unbedingt weiter ausbauen – in diesem Jahr sind ja Kommunalwahlen im März. Auch bei bunteren Veranstaltungen wie etwa Konzerten wollen wir Scribble Live verwenden.
Die Rhein-Zeitung hat eine vielbeachtete Multimediareportage über die „Arabellion“ veröffentlicht. Arbeitet man auch beim Nordbayerischen Kurier an so etwas?
Wir sind an unserem ersten großen Digital Storytelling Projekt dran – es wird um Gustl Mollath gehen, so viel sei verraten. Auch würden wir gerne mehr Datenjournalismus machen. Wir haben bei der Bundestagswahl mit interaktiven Daten gearbeitet – man konnte Wahlbezirke anklicken. Datenstorys sind aber immer aufwendig, weniger von der Gestaltung her als beim Einpflegen. Bei uns gibt es ein paar Redakteure, die sich dafür interessieren, aber ich kann sie nicht allein dafür abstellen. Der Job für die Redaktion der Zukunft wäre eigentlich ein „Datenpfleger“, zum Beispiel ein Multimedia-Assistent, der neben den technischen Kniffen auch gut formulieren kann.
Interview: Marion Bacher
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