„Dutschke klingt fast kabarettistisch“
von Stefan Wirner
Der Journalist Werner Kurz ging 1968 als Student auf die Straße. Wir wollten von ihm wissen, wie sich damals das Verhältnis zur Presse gestaltete und wie er die Dinge heute betrachtet.
Herr Kurz, was haben Sie 1968 gemacht?
Ich habe damals Abitur an der Hohen Landesschule gemacht und in Frankfurt angefangen, Politik, Soziologie und Volkswirtschaft zu studieren. Dort schloss ich mich der Studentenbewegung an. In Hanau gab es ja einen Ableger vom Frankfurter Club Voltaire, wir waren eine Art Nebenzentrum der Bewegung.
Wogegen haben Sie protestiert?
Ich kam aus der Ostermarschbewegung. Die gab es bereits seit Mitte der 60er-Jahre. Die Hohe Landesschule war, im Gegensatz zu ihrem Namen, eine Art linke Kaderschule. Der Direktor war ein linker Sozialdemokrat und Schüler des Politologen Wolfgang Abendroth. Vom Kollegium her stand man linken Bewegungen aufgeschlossen gegenüber. Wenn man da mal zwei Stunden wegen eines Protestes gegen den Vietnam-Krieg fehlte, wurde das geduldet.
Wie war das Verhältnis der Studenten zur lokalen Presse?
Damals gab es in der Region eine ausgeprägte Presselandschaft, mehrere Zeitungen berichteten über Hanau, etwa der Hanauer Anzeiger, die Offenbach-Post, die Frankfurter Neue Presse, die Frankfurter Rundschau oder die Rhein-Main-Zeitung. Die Proteste wurden wahrgenommen, aber nicht in epischer Breite behandelt.
Es gab damals aus der Studentenschaft herbe Kritik an den Medien. Lässt sich das mit dem heutigen „Lügenpresse“-Vorwurf vergleichen?
Das würde ich nicht sagen. Die Welt war damals ja noch in Gut und Böse, Links und Rechts unterteilt. Der Hanauer Anzeiger galt als konservativ. Die Frankfurter Neue Presse war das alte CDU-Mütterchen und die Frankfurter Rundschau war explizit links. In der Rundschau wurde den Protesten viel Platz eingeräumt.
Welche Themen rund um 1968 sollten Lokalzeitungen heute aufgreifen?
Die 68er waren ja keine dummen Leute. Die meisten kamen vom Gymnasium, haben studiert, dann traten sie ihren Marsch durch die Institutionen an. Daraus resultierten die verblüffendsten Karrieren. Der eine wurde Staatsminister, der andere hessischer Wirtschaftsminister, wieder ein anderer landete am Obersten Verwaltungsgerichtshof Baden-Württembergs, Wolfgang Kraushaar, der meinem Abiturjahrgang angehörte, eroberte die Bestseller-Liste des Spiegels. Diese Lebenswege nachzuvollziehen, ist eine interessante Aufgabe. Daran kann man sehen, wie die Werte, die von den damaligen Rebellen vertreten wurden, in die Gesellschaft eingedrungen sind. Vielleicht wäre die Einführung der Homo-Ehe ohne die 68er gar nicht möglich gewesen.
Was halten Sie von den Äußerungen konservativer Politiker, der Einfluss der 68er in der Gesellschaft sei heute zu groß?
Meine Generation hat ja noch die unmittelbare Nachkriegszeit erlebt, in der Schule etwa waren noch Akteure des Dritten Reichs unterwegs. Wir hatten Lehrer, die stolz darauf waren, sämtliche Panzerführerscheine zu besitzen und soundsoviele englische Bomber abgeschossen zu haben. Das Pendel schwang dann aber in die andere Richtung, Abendroth etwa schickte eine ganze Generation von Lehrern in die Welt hinaus, die versucht haben, in der Schule andere Positionen zu verankern. Es war ein gesellschaftlicher Prozess, der Diskurs hat stattgefunden, und es ist ja auch nicht alles in Kommunen auf- und im RAF-Terror untergegangen. Es hat sich ein politischer Mittelweg herauskristallisiert, weil es ja nicht nur die 68er gab. Da waren ja auch der Ring Christlich-Demokratischer Studenten, die Junge Union, die Jungdemokraten und andere. Die linken Studenten haben sich aber deutlich und lautstark artikuliert, und die Medien sind auf sie zugegangen. Da gab es das berühmte Fernsehinterview mit Günter Gaus und Rudi Dutschke, das war für die Akteure ein Erfolg, jetzt waren sie in der ARD gelandet. Für die Fernsehzuschauer hingegen war es eher verwirrend, die ganze Sprache Dutschkes. Aus heutiger Sicht klingt das fast schon kabarettistisch.
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... „1968“ lesen Sie in der kommenden Ausgabe der drehscheibe!
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