„Es wird in manchen Redaktionen viel experimentiert"
von Stefan Wirner
Prof. Dr. Susanne Kinnebrock (RWTH Aachen/Universität Augsburg) und Prof. Dr. Sonja Kretzschmar (Universität der Bundeswehr München/Projektteam Lokaljournalismus) haben in Zusammenarbeit mit dem Lokaljournalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung untersucht, wie sich Lokalredaktionen auf den rasanten Wandel der Medienwelt einstellen. Nun haben sie den Forschungsbericht Crossmedia 2012 vorgelegt (hier als PDF zum Download). Die drehscheibe sprach mit Sonja Kretzschmar über die Ergebnisse der Studie.
Frau Kretzschmar, wie gehen die Verlage mit den Veränderungen in der Medienwelt um?
Spannend ist, dass sich die Redaktionen tatsächlich auf den Wandel einstellen und dies auch zum Ausdruck bringen. Die große Mehrheit betont inzwischen, dass sie crossmedial berichtet. Das mag im ersten Moment nicht so sehr erstaunen, ist aber insofern interessant, als es vor fünf, sechs Jahren, als Crossmedia noch ein neueres Thema war, oft noch ganz anders aussah. Da hieß es meist noch: Müssen wir das denn machen? Wir machen doch eine gute Zeitung, das reicht doch. Man reagierte damals sehr zögerlich und zurückhaltend. Heute sagen fast 90 Prozent der Redaktionen: Ja, wir berichten crossmedial. Das ist eine sehr deutliche Veränderung.
Ergreifen die Zeitungen auch die nötigen Schritte, um mit dem Wandel mithalten zu können?
Das lässt sich nicht so leicht mit Ja oder Nein beantworten. Zunächst einmal sind sie sich der Situation bewusst und wissen, dass Schritte ergriffen werden müssen. Das war vor ein paar Jahren noch anders, als man meinte, mit dem ganzen ‘neumodischen Kram‘ müsse man sich nicht unbedingt auseinandersetzen, weil man ja eine gute Zeitung macht. In diesem Punkt hat sich durchaus etwas geändert. Heute sind sich alle im Klaren darüber, dass sich die lokale Mediennutzungswelt verändert. Es ist zwar klar, dass es kein Patentrezept gibt, ja gar nicht geben kann, weil sich der Markt und die Nutzung stetig verändern, jede Zeitung unterschiedlich ist und damit auch die Anforderungen verschieden sind. Man muss sehr genau hinsehen, was sich verändert und wie man sich als Redaktion neu aufstellen muss, um dem Nutzer zu begegnen. Wir fanden es zum Beispiel sehr spannend, dass die neuen Kanäle, wie etwa die sozialen Netzwerke, inzwischen sehr stark genutzt werden. Eigentlich nutzt das inzwischen jede Lokalredaktion.
Sie haben aber auch festgestellt, dass es in Lokalredaktionen noch gewisse Hemmungen gibt, multimediale Tools, Grafiken oder Audiofiles zu nutzen. Woran liegt das?
Oft liegt es wahrscheinlich daran, dass sich die Zeitungen noch zu sehr als Zeitungen für einen Tag verstehen. Für ein Thema, das nur einen Tag aktuell ist, ist eine Infografik oder ein multimediales Angebotspaket sehr aufwendig in der Erstellung. Dabei gibt es aber auch lokale Themen, die über mehrere Tage hinweg relevant sind, zum Beispiel der Bau eines Einkaufszentrums. Bei so einem Thema würde es sich durchaus lohnen, ein etwas aufwendigeres journalistisches Angebotspaket zu schnüren und dieses womöglich ständig zu erweitern. Das Online-Angebot hat ja da auch eine Archiv-Funktion. Das wird in der täglichen Produktion oft nicht bedacht.
Sie haben außerdem herausgefunden, dass viele Redaktionen mit ihrer Crossmedia-Berichterstattung nicht darauf abzielen, die Bürger oder Leser dazu zu bringen, sich an der Diskussion zu beteiligen. Das erstaunt doch auf den ersten Blick.
Das hat uns allerdings auch erstaunt. Denn eigentlich löst sich dieses statische Selbstverständnis – „Wir informieren den Leser“ –angesichts der neuen Formen von Interaktivität auf. Selbstverständlich gab es schon immer Leserbriefe, mobile Redaktionen, aber Online birgt da natürlich ganz andere Potentiale wie etwa die Foren, das Voting etc. Das verändert auch die Rolle des Journalisten. Heute geht es nicht mehr nur darum, zu berichten, sondern auch darum, zu moderieren, Diskussionen zu steuern, neue Inhalte reinzutragen usw. Das ist natürlich für Print-Redakteure ein neuer Bereich. Was für ein Potential darin steckt, zum Beispiel gerade auf lokaler Ebene mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, wird oft noch nicht so klar genutzt. Zwar wird über das Konzept Bürgerzeitung gesprochen, so etwas wird auch gerne ausgezeichnet, aber das Bürgernetz – also die Möglichkeit, sich über das Internet mit dem Bürger auszutauschen – das wird noch zu wenig gesehen.
Ihrer Studie zufolge wird crossmedial nach wie vor eher auf Zuruf produziert wird. Wären da die Chefredakteure gefragt, das Crossmediale mehr zu befördern?
Es wird in manchen Lokalredaktionen durchaus viel experimentiert. Aber diese Experimentierfreude könnte noch effizienter genutzt werden, wenn sie zum Beispiel besser in den täglichen Ablauf integriert wäre, wenn man Dinge auch – transparent für die ganze Redaktion– evaluierten würde und darüber nachdenken würde, ob es sich lohnt, sie zu vertiefen. Das wäre eine Form von strategischem Innovationsmanagement. In diese Richtung haben wir bisher wenig gefunden. Da sind andere Branchen – etwa die Autoindustrie – um einiges weiter. Es liegt vielleicht auch daran, dass es bei Medienverlagen lange Zeit noch nicht nötig war, schnell zu reagieren. Die Gewinne der Verlage waren ja meist stabil, und auch jetzt geht es vielen Zeitungen nicht schlecht, auch wenn sie Einbußen zu verzeichnen haben. . Es wird zwar durchaus einiges gemacht, aber in vielen Fällen noch nicht genug. Außerdem könnte man die crossmediale Berichterstattung systematischer angehen. Dazu gehört auch, die Mitarbeiter offensiver einzubeziehen; die Umstellung auf crossmediale Produktion ist oft noch ein Top-down-Prozess von Verlagsleitung und Chefredaktion, wenig transparent für die Mitarbeiter. Es muss ja auch darum gehen, die Zeitung in die Lage zu versetzen, auf die immer wiederkehrenden Veränderungen so zu reagieren, dass nicht etwa branchenferne Anbieter in die Lücke springen und in Zukunft möglicherweise bessere Angebote machen.
Lokalzeitungen in anderen Ländern haben derzeit wohl ähnliche Probleme wie hierzulande. Gehen sie auch so damit um wie die deutschen Verlage?
Wir haben im vergangenen Jahr auf der europäischen Konferenz der Medien- und Kommunikationswissenschaftler in Spanien den ersten, qualitativen Teil von „Crossmedia 2012“ vorgestellt. In der Diskussion mit den europäischen Kollegen haben wir festgestellt, dass es europaweit verschiedene Gewichtungen gibt, aber dass sich Verlage in allen Ländern, gerade im lokalen Bereich, relativ schwer tun. Alle europäischen Verlagshäuser befinden sich in einer Umbruchsituation. Wir haben den Online-Fragebogen, den wir entwickelt haben, inzwischen übersetzt; er wird derzeit in Spanien, und der Schweiz eingesetzt, die Kooperationsgespräche mit Kollegen in Österreich Polen, den Niederlanden, Skandinavien und Großbritannien laufen Wir sind gespannt zu erfahren, welche neuen Impulse und Erfolgsrezepte es auf europäischer Ebene gibt, die dann natürlich auch für die Entwicklungen der deutschen Lokalzeitungen interessant sind.
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