„Ich meide bestimmte Orte“
von Katharina Dodel
Herr Hinz, in einer Wahlprognose aus dem Herbst 2023 war die AfD mit 32 Prozent die stärkste Partei in Mecklenburg-Vorpommern. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?
Die Situation ist nicht zuletzt durch die Correctiv-Enthüllung um ein AfD-Geheimtreffen und durch die Investigativ-Recherchen, die wir selbst vor Ort gemacht haben, eher angespannt, sodass wir uns gerade bemühen, möglichst alle Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die wir treffen können. Das heißt zum Beispiel, dass unsere Redaktion Auskunftssperren bei den Einwohnermeldeämtern beantragt hat. Da manche Kollegen noch keinen Presseausweis hatten, haben wir sie darum gebeten, einen zu beantragen, um sich auf Veranstaltungen entsprechend ausweisen zu können und von der Polizei in einer Notsituation einen speziellen Schutz zu bekommen. Wir versuchen, uns derzeit beraten zu lassen, damit auch in Zukunft nichts passiert. In diesem Jahr finden die Kommunalwahlen in MV statt. Unser Fokus liegt ganz klar auf der Aufklärung von rechtsextremen Strukturen. Jeder dritte in MV findet diese Art der Arbeit nicht so gut.
Ihr Kollege hat kürzlich einen Text über Menschen geschrieben, die Redakteurinnen und Redakteure bedroht haben und einschüchtern wollten – kurz: die Journalismus verhindern wollen. Wann gab es den ersten derartigen Kontakt zwischen solchen Akteuren und der Redaktion?
Seit den Demonstrationen während der Corona-Pandemie 2021 hat sich die Stimmung immer mehr zugespitzt. Es ist angespannter. Das erste Mal, als wir von Katapult angesprochen wurden, war im Herbst 2022, da haben wir angefangen, die Demos gegen die Energiepolitik der Bundesregierung um Lubmin herum abzubilden. Da hat sich mir beispielsweise ein Bürgermeister vorgestellt und gesagt, die „Zeckenpresse“ will er hier nicht sehen, wir sollen abhauen. Wir waren viel in Vorpommern, Rostock oder Upahl unterwegs, dort, wo Geflüchtetenunterkünfte entstehen sollten und wo viel Gegenwind herrschte. Viele von diesen Leuten, die man dort trifft, trifft man auch anderswo wieder, die erkennen uns natürlich mittlerweile. Da kommt es vor, dass wir angesprochen, fotografiert und gefilmt werden. Das Krasseste war einmal, dass eine Kollegin und ich in Stralsund den ganzen Abend – also zwei bis drei Stunden lang – von einem Mann mit Sonnenbrille und Basecap verfolgt wurden. Der hat uns permanent gefilmt. Mein Eindruck ist, der Aufhänger der Demonstration ist eigentlich total egal, es geht darum, Druck abzulassen.
Das klingt so, als seien das Menschen, die – egal worum es eigentlich geht – Hauptsache dagegen sind.
Ja, so ist es. Am Anfang war es Corona, dann ist es umgeschlagen in Energiepolitik, dann ging es um LNG, jetzt haben sich die Akteurinnen und Akteure der Geflüchtenthematik zugewandt, und das neueste Thema sind die Bauernproteste. Es gibt hier zum Beispiel den Unternehmerverband MV, das ist nichts Offizielles, sondern ein Zusammenschluss aus Unternehmerinnen und Unternehmern aus MV, die haben schon vor zwei Jahren gegen die Energiepolitik gehetzt, und jetzt stehen die auf der Bauerndemo. Da wird dann aber nicht nur über die Probleme der Landwirtschaft gesprochen, sondern auch über Jüdinnen und Juden. Mein Eindruck ist, der Aufhänger der Demonstration ist eigentlich total egal, es geht einfach darum, Druck abzulassen. Das sind natürlich nicht alle Teilnehmenden, aber das wird von vielen instrumentalisiert. Das ist total gefährlich. Der Unternehmerverband zum Beispiel: Das klingt zunächst nach etwas Offiziellem und Seriösem, aber da steckt so viel eigenartige Propaganda dahinter, Rechtsextremismus, Pro-Russisches, Anti-Corona und so weiter. Viele Leute merken gar nicht, was sich dahinter verbirgt. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, das aufzudecken. Das finden viele natürlich negativ. Wenn wir über eine Bürgerinitiative in Greifswald berichten, dann treffen wir unter Umständen im Supermarkt auf genau diese Leute. Das ist so unmittelbar und macht es schwierig für uns.
Wie gehen Sie damit um?
Ich meide bestimmte Orte und Geschäfte, weil ich befürchte, dass ich Leute treffe, die mich erkennen. Letzte Woche bei den Bauernprotesten sind wir quer durchs Land gefahren, da ist mein Auto kaputtgegangen. Mein erster Gedanke war: Hoffentlich finde ich jetzt eine Werkstatt, die nicht aus diesem komischen Gegen-die-Ampel-Umfeld kommt.
Als eine Folge der Anfeindungen haben Sie ein Journalismus-Netzwerk gegründet. Worum geht es bei „Anti-Krake“?
Seit Dezember 2023 gibt es das Netzwerk. Man kann uns dort anonym Nachrichten und Hinweise übermitteln oder sich als Journalistin oder Journalist registrieren. Wichtig ist, dass man dem Rechtsruck etwas entgegensetzt und zur Aufklärung beitragen möchte. Wir wollen so eine Art Meldestelle aufbauen, sodass Leute uns anonym ein Problem übermitteln können. Wir haben viele Nachrichten und auch viele Spenden bekommen.
Gibt es Unterstützung aus der lokalen Medienbranche?
Da gibt es noch Luft nach oben. Aber es sind einige Menschen dabei, die uns bei Grafiken oder bei der Recherche unterstützen wollen. Aus Bayern hat uns jemand geschrieben, dass er das Projekt toll findet und es gerne unterstützen will. In Mecklenburg-Vorpommern könnte es noch etwas mehr Aufmerksamkeit gebrauchen. Außerhalb des Landes wird es wahrgenommen. Insgesamt versuchen wir, uns auf Demos oder anderen Veranstaltungen mit den Kolleginnen und Kollegen zu verständigen und aneinander zu orientieren. Wir alle möchten aufklären und nur unseren Job machen, den vor allem sicher. Nicht nur wir haben das Risiko gerade.
Interview: Katharina Dodel
Das Interview erschien in einer kürzeren Fassung in der Ausgabe 2/2024 der drehscheibe.
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