„Ideal ist es, reales Leben und digitale Geschichten zu kombinieren“
von Robert Domes
Was macht eigentlich ein Wahlbeobachter? Das fragte die drehscheibe den Medienwirtschafter Martin Fuchs, der unter der Adresse www.hamburger-wahlbeobachter.de bloggt. Im Gespräch erläutert er, wie Journalisten in Wahlkampfzeiten soziale Netzwerke für ihre Berichterstattung nutzen können.
Herr Fuchs, Sie nennen sich Hamburger Wahlbeobachter. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Politik und Wahlen. Als ich 2011 nach Hamburg kam, wusste ich nicht, wen ich wählen sollte und habe ich mich intensiv mit den Bürgerschaftswahlen befasst. Sechs Wochen habe ich alle Zeitungen gelesen und festgestellt, dass ich nicht die Informationen bekomme, die mich interessieren. So habe ich selber Themen recherchiert und im Blog veröffentlicht und erlangte dadurch eine gewisse Bekanntheit in der Stadt. Jetzt kümmere ich mich um die Bundestagswahl, versuche wissenschaftliche Studien zu veröffentlichen und das Thema „Sozial Media in der Politik“ von verschiedenen Seiten zu beleuchten.
Sie zitieren in Ihrem Blog die Bitkom-Studie Demokratie 3.0. Dort heißt es, dass Online-Kampagnen wahlentscheidend sind. Ist das so?
In der Studie ist natürlich pointiert geschrieben, dass 37 Prozent der Bundesbürger die politischen Aktivitäten im Internet als wahlentscheidend empfinden. Der Wahlausgang wird vermutlich eine enge Kiste werden. Es geht um wenige Prozente. Von daher kommt es schon darauf an, dass ich die drei, vier Millionen Bürger, die aktiv das Internet politisch nutzen, erreiche, zumal diese oftmals auch Multiplikatoren in ihrem Freundes-Umfeld sind. Auf der anderen Seite gibt es knapp 20 Millionen Rentner, die vor allem offline unterwegs sind. Auch die muss man gezielt ansprechen. Wobei gerade die älteren Leute jetzt die sozialen Netzwerke entdecken. Die stärksten Wachstumsraten hat zum Beispiel Facebook aktuell in der Zielgruppe 55+. Deshalb denke ich, dass ein aktiver Online-Dialog definitiv entscheidend sein kann.
Journalisten betreiben ja gerne ein Ranking, wer die meisten Fans hat. Sagt das etwas aus?
Es gibt keinerlei Kausalität zwischen der Menge der Follower und der Frage, wie erfolgreich man ist. Bei Frau Merkel sind viele „Fans“ Leute, die ihr folgen müssen, da sie Infos aus erster Hand erhalten wollen, auch politische Gegner oder Menschen aus dem Ausland. Für einige Politiker reicht es, wenn sie die 200 wichtigsten lokalen Multiplikatoren in ihrem Wahlkreis erreichen. Entscheidend ist immer, wen ich erreichen will und muss.
Was sind für Sie die größten Versäumnisse von Journalisten?
Zum einen, dass sie sehr schnell auf Rankings und plakative Geschichten anspringen. Dass sie versuchen, Dinge sehr einfach abzubilden, die komplex sind. Und dass sie oft keine qualitative Analyse machen. Zum anderen stellen sie zu wenig dar, dass am Ende oft die persönliche Empathie gegenüber einem Kandidaten entscheidet. Man sollte mehr den Menschen persönlich darstellen. Oder auch mal zeigen, wie die Leute miteinander diskutieren. Zum Beispiel sich die Facebookseiten der Politiker anschauen und die Diskussion mit den Leuten dort mal abzubilden. Das fände ich spannend.
Twitter ist das Lieblingsmedium der Kollegen. Etwa als Prognoseinstrument. Wie sehen Sie das?
Bisher haben nur acht Prozent der Deutschen einen Twitteraccount, aktiv wird das Netzwerk noch weniger genutzt Für Journalisten ist es trotzdem interessant, wenn sie das eine Prozent der aktiven Twitterati mitkriegen und sehen, was die denken. Das sind größtenteils die Meinungsmacher. Natürlich muss man sich bewusst sein, dass darunter viele „Nerds“, Digital Natives und wiederum Journalisten sind, und dass Twitter nicht die komplette Gesellschaft abbildet.
Wie erreichen wir die Nicht-Interessierten und die Nicht-Wähler?
Es gibt ein paar Fehler, die grundsätzlich gemacht werden. Zum einen hat man viel zu hohe Erwartungen auf schnelle Erfolge. Man muss einen langen Atem haben und dann auch konsequent Sachen durchziehen. Die Frage ist: Wo sind die politikfernen Leute und was interessiert die? Welche Themen könnte ich setzen, um genau die Leute auch abzuholen? Da richtig ins Volk reinzuhören, dafür sind Social Media perfekt: Reinhören in seine Stadt, seinen Wahlkreis, seine Straßenzüge, was interessiert dort die Leute.
Gerade in Wahlkampfzeiten gilt bei den Postings doppelte Wachsamkeit. Wie schützt man sich vor Falschmeldungen?
Das schöne an Online ist, dass vieles, was herausposaunt wird, auch sehr schnell einem Faktencheck unterliegt. Die Schwarmintelligenz im Netz ist einer der großen Vorteile. Es gibt viele Recherchehelfer für Journalisten. Wenn man den richtigen Leuten folgt, bekommt man schnell Korrekturen und Hinweise auf mögliche Ungereimtheiten.
Das heißt für Journalisten, nicht nur das Ohr am Netz zu haben, sondern auch selbst ein großes Netzwerk zu generieren?
Man muss das nicht über Facebook oder Twitter machen. Die Zeit hat es vorgemacht mit dem neuen Portal Faktomat. Dort werden mit der Adhocracy-Software, bekannt von der Piratenpartei, Aussagen von Politikern und Thesen gesammelt und der Schwarm kann überlegen und mitrecherchieren, ob das stimmt, was da gesagt wurde. Das ZDF hat etwas Ähnliches gemeinsam mit Wikimedia entwickelt, den ZDFCheck. Das sind spannende Projekte, die auch für eine stärkere Leser-Blatt-Bindung sorgen. Das sollte man viel stärker machen.
Wie sieht das denn für Lokaljournalisten aus? Kann ich mir Werkzeuge einrichten, um in den Netzwerken zielgenau mein Revier zu beobachten?
Ein Beispiel ist bei Twitter, sich Begriffe abzuspeichern. Wenn ich das Wort Eimsbüttel als Suche abspeichere, kann ich sehr einfach alle Tweets abrufen, in denen das vorkommt. So kann ich verfolgen, was innerhalb des Stadtviertels Eimsbüttel oder über Eimsbüttel diskutiert wird. Was sind die spannenden Themen, die gerade aufkommen oder wo sollte ich mich mal dransetzen.
Also eine automatisierte Suche wie bei Google Alert?
Genau. Man muss nur einen entsprechenden Hashtag einrichten und abspeichern. Den kann man immer wieder abrufen. Ein sehr gutes Werkzeug ist TweetDeck. Da kann man auf übersichtliche Weise Tweets sortieren. Auf einer Übersichtsseite kann man Twitterregeln einrichten, etwa nach Hashtags suchen oder eine Liste anlegen von allen Lokalpolitikern. Deren Nachrichten erscheinen dann übersichtlich und sortiert in einer Liste.
Wie ist das bei Facebook?
Man kann den wichtigsten Leuten folgen, die in der Region aktiv sind, egal ob das ein Politiker ist oder ein Verband. Dann bekommt man Sachen mit, zu denen es keine Pressemitteilung gibt. Im Lokalen haben viele Politiker noch keine Fanseite, sondern Privatprofile auf Facebook, diese kann man abonnieren ohne mit ihnen „befreundet“ sein zu müssen.
Was würden Sie einem Politiker raten in Wahlkampfzeiten?
Die kongeniale Verbindung von online und offline. Gutes Beispiel ist die Aktion der Grünen „3 Tage wach“, wo sie online und offline verknüpfen. Wenn man das hinbekommt, dann ist es super. Zum Beispiel ein Team losschicken zur Veranstaltung der Konkurrenz, davon ein kurzes Video machen, und das ins Netz stellen und gleich die eigenen Thesen dagegenhalten. Das hat einen politischen Mehrwert für Leute, die einem nur im Netz folgen.
Gilt dieser Rat nicht ebenso für Medienschaffende?
Ja. Natürlich. Auch hier ist es ideal, wenn reales Leben und digitale Geschichten kombiniert werden. Es lohnt sich auch, mit lokalen Bloggern verbunden zu sein. Ich schicke zum Beispiel ab und zu Redaktionen Sachen zu, die ich interessant finde. Von diesem Netzwerk aus Bürgerjournalisten kann man sich immer mal eine spannende Informationen zustecken lassen.
Interview: Robert Domes
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