„Im Lokalen muss die Qualität zu Hause sein“
von Stefan Wirner
Wurde in vielen Redaktionen der Desk nur eingeführt, um Geld zu sparen? Diese Vermutung äußert Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, in einem Beitrag auf seinem Blog. Im Gegenzug entwirft er ein Bild vom Desk als einer zentralen Instanz zur Qualitätssteigerung im Blatt. In seinem leidenschaftlichen Plädoyer fordert er seine Kollegen außerdem dazu auf, sich noch entschiedener zum Lokalen zu bekennen. Raue schrieb der drehscheibe: „Der Artikel ist einer der meistgeklickten in meinem kleinen Blog, aber in der Lokal-Gemeinschaft entsteht keine rechte Debatte - wie so oft: Lob, Anerkennung , aber keine Kritik, keine Einwände, keine Ablehnung oder gar Empörung. Das wollte ich eigentlich bewegen.“ Wir sprachen mit ihm über seine Thesen und würden uns freuen, damit die Debatte anschieben zu können.
Herr Raue, Sie fordern auf Ihrem Blog einen anderen Umgang mit dem Desk. Wie sieht für Sie der ideale Desk aus?
Es gibt keine gängigen Modelle in deutschen Zeitungen, nahezu jeder Desk ist ein Unikat. Das verwirrt Redaktionen, Verleger und Manager. Der klassische Desk ist einfach: Am Tisch, den der Boulevard „Balken“ nennt, sitzen die „Editors“, die Blattmacher: Sie sind die Textchefs, die auf Verständlichkeit, Logik und Korrektheit achten ebenso wie auf das Einhalten von rechtlichen und ethischen Normen, auf die Linie des Blatts usw.
Die Reporter recherchieren und schreiben, sie sind die Streetworker der Redaktion, befreit von den zu Recht beklagten Einschränkungen durch Technik: Sie sind keine Layouter und Redaktionshocker mehr, sie brauchen nur noch ihren Laptop, eine kleine Kamera und ein Smartphone für die schnellen Meldungen ins Netz. Das ist der eigentliche, wohl auch der ideale Desk.
Wäre damit der klassische Mantelteil, gefüllt mit dpa-Material, überholt?
„Mantel“ ist ein Begriff aus der alten Zeit der zwei Welten: Hier die große Welt, die eigentliche; dort die kleine Welt, die lokale. Heute verlangt der Leser, dass die Zeitung die Welt, die komplette Welt, aus seiner Perspektive sieht, dass sie ihm die Welt ordnet in wichtig und unwichtig für sein Leben – und nicht für das Leben des Redakteurs. Jede Regional-Zeitung muss selber erkennen, wie viele nicht-lokale Seiten sie bietet, das wird in Flensburg anders sein als in Düsseldort. Diese Seiten sind auch nicht die entscheidenden für Abo und Kiosk. Die Entscheidung fällt im Lokalen, dort muss die Qualität zu Hause sein.
Die Bedeutung des Lokalen für die Zeitung der Zukunft dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Was hindert viele Verlag noch daran, diesen Weg – die Stärkung des Lokalen – entschlossen zu gehen?
Nichts hindert sie. Aber dem Denken und vor allem dem Handeln eine neue Richtung zu geben, fällt vielen schwer. Im Zweifelsfall holt sich der Verleger doch einen Korrespondenten als Chefredakteur, weil er eben stolz ist, wenn die Kanzlerin auch seinem Blatt ein Interview gewährt. Vielleicht gibt es auch zu wenige, die aus dem Lokalen kommen und zum Chefredakteur taugen. Da rächt sich, dass über Jahrzehnte das Lokale kaum beachtet und oft belächelt wurde. Vielleicht fehlt auch immer mehr Chefredakteuren die Leidenschaft für den schönsten Beruf in einer Demokratie: Sie lassen sich eher von Excel-Tabellen faszinieren als von starken Themen und guten Recherchen.
Hier geht's zum Blog von Paul-Josef Raue
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