„Wir müssen sensibler werden“
von Stefan Wirner
Populistische Parteien haben bei der Wahl in Thüringen große Erfolge gefeiert. Jan Hollitzer, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen aus Erfurt, findet, dass sich Politik und Medien fragen sollten, ob sie den Diskurs zu stark verengt haben. Ein Vorab aus unserer Ausgabe 12/2024 zum Thema Pluralismus, die Anfang Oktober erscheint.
Herr Hollitzer, bei der Landtagswahl in Thüringen haben die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht stark abgeschnitten. Lag das Ergebnis für Sie in der Luft?
Das auf jeden Fall. Wir haben ja in den vergangenen Monaten die Stimmung der Menschen eingefangen und Umfragen mitbekommen, von daher waren die Wahlergebnisse nicht so überraschend. Die große Überraschung wäre es gewesen, wenn die AfD schlechter abgeschnitten hätte.
Wie haben Sie über den Wahlkampf berichtet?
Wir haben wie beim letzten Mal auch mit allen gesprochen, nur mit dem Unterschied, dass Björn Höcke uns dieses Mal ein Interview gegeben hat. Bei unserem Podcast gilt ja das gesprochene Wort, da gibt es keine Autorisierungsschleifen, das hatte er das letzte Mal verweigert, und wir zeigten eine weiße, leere Fläche, wo das Gespräch mit ihm hätte stehen können. Wir haben ansonsten unterschiedlichste Formate benutzt, Social Media ein bisschen stärker, wir haben ein Volo-Projekt draufgesetzt und die Podcasts gemacht. Es gab also unsererseits ein breites Informationsangebot, um die Leute dabei zu unterstützen, ihre Entscheidung zu treffen.
Und am Wahlabend?
Wir haben in jeder einzelnen Lokalredaktion getickert, die Ticker hatten wir vorher schon aufgesetzt. Das hatte sich bei den Kommunalwahlen bewährt und war ein großer digitaler Erfolg. Wir haben außerdem ein neues Studio, in dem wir live gehen können, das haben mein Kollege Fabian Klaus und ich dann auch gemacht. Wir haben die Ergebnisse live kommentiert, das kam ziemlich gut an. Und wir haben die Berichterstattung für Online, Print und fürs E-Paper gemacht, die natürlich fertig werden musste.
Wie sind Sie in den vergangenen Jahren in der Berichterstattung mit der AfD umgegangen? Immerhin eine Partei, aus der oftmals heftig über die Medien hergezogen wird.
Im Wahlkampf wurde sehr stark gegen die Medien geschossen. Höcke wetterte in seinen Reden oft minutenlang gegen den Spiegel, die Öffentlich-Rechtlichen, letztlich gegen alle, ohne die Medien wäre die AfD schon längst an der Macht. Da werden dann offen Lügen verbreitet.
Dennoch versuchen wir, mit der Partei zu reden, was nicht immer leicht ist. Der Landrat von Sonneberg, Robert Sesselmann, spricht zum Beispiel nicht mehr mit uns und gibt nur ganz spärlich Informationen heraus. Beim Landesparteitag der AfD gab es zum Beispiel einen abgesperrten Bereich für Journalisten, man konnte nicht mehr direkt auf die Delegierten zugehen und sich frei im Saal bewegen. Außer natürlich die Leute von Compact.
Ist das Verhältnis zum Bündnis Sahra Wagenknecht ähnlich gelagert?
Die sind ja nun neu auf dem Markt und brauchen Öffentlichkeit. Auch wenn man immer sagt, es gebe inhaltlich viele Überschneidungen der beiden Parteien, sind sie doch grundverschieden. Das BSW etwa hat einen Medienprofi in den eigenen Reihen, der vom MDR hingewechselt ist. Die versuchen, eine vernünftige Pressearbeit zu machen. Im Nachgang war es aber so, dass uns die Spitzenkandidation Katja Wolf mit einem Interview vertröstet hat, weil offenbar Sahra Wagenknecht noch nicht so weit war. Das ist schon interessant zu beobachten, wie sehr das auf sie zugeschnitten ist.
Werden Sie beiden Parteien, AfD und BSW, nun mehr Platz in der Berichterstattung einräumen?
Nein, Berichterstattung erfolgt nicht nach Wahlergebnissen. Wir haben in der Vergangenheit alle Parteien gleich kritisch behandelt, egal ob es um einen Theaterskandal in Erfurt unter einem SPD-Oberbürgermeister ging oder um die grüne Umweltministerin, die in die Abfallwirtschaft gewechselt ist, was wir recherchiert haben, oder zu Corona-Zeiten um die CDU-Maskenaffäre in Thüringen. Wir wollen informieren und den Leuten die Möglichkeit geben, sich eine Meinung zu bilden, ohne dass wir ihnen sagen, was sie zu meinen haben.
Tragen extrem rechte Gruppierungen nach der Wahl ihr Selbstbewusstsein offener zur Schau?
Nein, das haben wir nicht beobachtet. Generell aber ist die Hemmschwelle für Attacken gesunken. Das ließ sich schon vor der Wahl beobachten.
Spürt man bei den Menschen, die diese beiden Parteien nicht unterstützen, nun eine große Enttäuschung oder Sorge?
Mit Sorge schauen viele in die Zukunft, allein schon wegen der komplizierten Regierungsbildung , die nun ansteht. Man muss sich nun die Frage stellen: Warum wählen knapp 50 Prozent der Wähler populistische Parteien? Da muss sich die große Politik hinterfragen. Haben wir zu wenig hingehört, sind wir „zu wenig auf die Bedürfnisse eingegangen? Haben wir selbst den Diskurs zu sehr verengt, wenn es zum Beispiel heißt, Waffenlieferungen seien das einzig richtige Mittel, alle, die dagegen sind, haben Unrecht? Diese Fragen müssen wir uns auch als Journalisten stellen. Wie gehen wir mit diesen Stimmungen und Wahrnehmungen um? Haben wir das Thema Krieg und Frieden zu sehr auf die Bundesebene delegiert, statt das Ohr an die Schiene zu legen? Wir haben am Mittwoch nach der Wahl ein Lesergespräch mit dem Meinungsforscher Hermann Binkert ausgestrahlt, wo die Frage gestellt wurde: Nur weil die US-Raketen gar nicht in Thüringen stationiert werden sollen, dürfen wir da nicht mitreden? Dabei darf man als Bundesbürger bei jedem Thema mitreden. Wir müssen vielleicht etwas sensibler werden, wenn es um solche Themen geht.
Es sieht so aus, als ob man als Redaktion in Erfurt in den nächsten Jahren viel zu tun hat und sehr genau hinsehen muss.
Mehr denn je. Das war ja schon immer die Voraussetzung unserer Arbeit. Die Frage ist auch, inwieweit wir Menschen noch erreichen. Wenn man sich etwa die sehr starke Social-Media-Präsenz der AfD ansieht, ihre klare Altersgruppen-Strategie, und die zunehmende Medienaversion auch im lokalen und regionalen Bereich, weil die Menschen eben durch die ständige Beschallung in einen Zustand ständiger Erregung versetzt werden. Wenn wir im ländlichen Raum inzwischen Orte haben, wo 50, 60, 70 Prozent AfD wählen, dann stellt sich die Frage, wie wir diese Menschen über die herkömmlichen Wege noch erreichen wollen. Wir müssen uns über die Distribution unserer Inhalte Gedanken machen. Vielleicht müssen große Medienhäuser auch darüber nachdenken, ihre Gesamtreichweite zu nutzen, nicht nur die lokalen Kanäle. Vielleicht könnte man Unterhaltung mit Nachrichten verbinden. Man sollte sich jedenfalls Gedanken machen.
Interview: Stefan Wirner
Sehen Sie auch unser Video-Interview mit Jan Hollitzer, das wir am Rande der republica im Frühjahr 2024 geführt haben.
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