Interview

„Journalismus muss transparenter werden“

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Annette Milz ist Herausgeberin des Medium Magazins. (Foto: Ingrid Schick)
Annette Milz ist Herausgeberin des Medium Magazins. (Foto: Ingrid Schick)

Nach 30 Jahren als Chefredakteurin des Medium Magazins wechselt Annette Milz in die Rolle der Herausgeberin. Jahrzehntelang prägte sie eine noch immer überwiegend männerdominierte Branche.

Frau Milz, Sie haben das Medium Magazin 1986 gegründet. Wie sah Medienjournalismus damals aus?

Naja, der war damals kaum vorhanden. Medienseiten bei Tageszeitungen hießen damals „Fernsehprogramm“ und das Internet für alle gab es noch gar nicht. Die journalistischen Gewerkschaftsverbände hatten zwar ihre Verbandsmagazine, aber das war es dann auch schon fast.

Welche Motivation führte zur Gründung des MM?

Eine zugegeben zunächst ziemlich eigennützige: Wir wollten ein Magazin schaffen für all die Dinge, die junge Journalistinnen und Journalisten beim Berufsstart – also damals uns selbst – interessieren. Daher auch der Untertitel der ersten Ausgaben: „Medium Magazin für junge Journalisten“. So etwas gab es noch nicht. Aber unsere Themen haben dann nicht nur den Nachwuchs interessiert. Und wir wollten ja ein „erwachsenes“ Magazin, keine Schülerzeitung machen. Deshalb haben wir das „junge" im Untertitel schon im zweiten Jahr gestrichen.

Wo steht der Medienjournalismus heute?

Aufgaben und Wirkung des Medienjournalismus sind sehr vielfältig. Der journalistische Inhalt und dessen Verbreitungswege lassen sich nicht mehr trennen, bedingen sogar oft einander. Zum Themenspektrum müssen also sowohl Fragen der Inhalte und des Handwerks wie die nach technischem Know-How und Trends der Mediennutzung gehören. Zunehmend wichtig wird es aber auch, dem Publikum Qualitätsjournalismus und was ihn ausmacht, zu erklären. Das halte ich für notwendiger als es in der Branche selbst gelegentlich gesehen wird. In der digitalen Welt kann sich zwar jeder als publizistischer Verbreiter betätigen. Aber das allgemeine Wissen um die Grundregeln eines unabhängigen, professionellen Journalismus ist gelinde gesagt unterentwickelt. Deshalb finde ich übrigens die Initiative „Journalismus macht Schule“ so gut und unterstütze das.

Auf welche eigenen Meilensteine blicken Sie als Chefredakteurin zurück?

Mal abgesehen von den rasanten Veränderungen beim Blattmachen – vom Klebeumbruch bis zur heute virtuellen Produktion mit all den damit einhergehenden Themen auch für die Branche – ist das sicherlich das Format „Top 30 bis 30“. Als ich das 2006 gegründet habe, wurde in der Branche oft gejammert, es gebe nicht mehr genug qualifizierten Nachwuchs. Dem wollte ich etwas entgegensetzen, denn man muss ihn eben auch fördern. Die „Top 30 bis 30“ sollten da ein Signal setzen. Und ein Schlaglicht auf die Vielfalt beim Nachwuchs werfen. Später kamen die „Top 30 bis 30“-Konferenzen hinzu, mit einem wirklich begeisternden Engagement der Jungen. Ich bin froh, dass sich dieses Format so gut entwickelt hat und in der Branche auf viel Aufmerksamkeit stößt.

Natürlich gehört auch die Wahl der „Journalistinnen und Journalisten des Jahres“ seit 2004 zu meinen Meilensteinen. 2020 hat der Deutschlandfunk unseren Preis sogar als „die wohl wichtigste Auszeichnung im deutschen Journalismus“ bezeichnet. Das hat mich zugegeben schon ziemlich gefreut.

Aber mich hat lange gestört, dass mit solchen Preisen nicht auch die vielen Talente hinter den redaktionellen Kulissen gewürdigt werden können, weil sich deren Arbeit einem externen Juryurteil entzieht. 2019 habe ich deshalb das Format „Hidden Stars“ ins Leben gerufen. Das besondere dabei: Die „Hidden Stars“ werden von den eigenen Kolleginnen und Kollegen nominiert anhand von vorgegebenen Skills. Das hatte auf Anhieb eine enorme Resonanz – mit außergewöhnlich viel Empathie. Damit zeigt sich zugleich ein seltenes Gut in der Branche, nämlich Wertschätzung.

 

Mit Klick aufs Bild zum Medium Magazin (Bild: Screenshot)
Mit Klick aufs Bild zum Medium Magazin (Bild: Screenshot)

 

Sie haben jahrzehntelang die Medienbranche geprägt – obwohl diese als Männerdomäne gilt. Wie haben Sie das erlebt?

Wer wen geprägt hat sei mal dahin gestellt (lacht). Aber als ich 1990 Chefredakteurin wurde, waren Frauen tatsächlich noch sehr rar in redaktionellen Führungspositionen. Die Gründe dafür haben mich allerdings in den ersten Jahren nicht sonderlich beschäftigt. Doch als ich immer tiefer in die Branche eintauchte, wurde mir klar, dass dieser Status quo eben auch an unterschiedlichen Herangehensweisen von Männern und Frauen liegt, wenn es um die eigene Positionierung. geht. Bei einem Journalistinnenkongress der Bundeszentrale habe ich mal gefragt, wer diese Situation kennt: In einer überwiegend männlich besetzten Redaktionskonferenz schlägt eine Frau ein Thema vor, für das sie brennt. Es wird zur Kenntnis genommen, die Diskussion dreht sich weiter, zum Schluss macht ein Mann einen fast identischen Vorschlag – und die Runde applaudiert. So viele dazu nickende Köpfe in einem Auditorium habe ich selten gesehen. Ich rate deshalb jungen Journalistinnen: Lernt frühzeitig die entsprechenden Mechanismen und wie sie zu nutzen oder – wenn es sein muss – auch auszutricksen sind.

Wie nutzen Sie ihre Position, um Frauen zu fördern?


Ein Weg ist allein schon mehr Sichtbarkeit im Heft. Wenn ich Geschichten bekam, in denen nur Männer zitiert wurden, habe ich nachgefragt, ob es nicht auch mindestens eine kompetente weibliche Stimme zu dem Thema gibt. Und siehe da: Das war dann immer möglich. Allein schon mit solchen kleinen Drehs kann Blattmachen Zeichen setzen. Das betrifft auch eine ausgewogene Mischung von Autorinnen und Autoren. Fakt ist aber auch, dass Frauen oft immer noch zurückhaltender sind, wenn es um die eigenen Karriereschritte geht. Deshalb versuche ich, wo es geht, Frauen entsprechend zu ermutigen.

Anfang 2021 ist Ihnen Alexander Graf als Nachfolger gefolgt. Empfinden Sie das als Rückschritt?


Nein, überhaupt nicht. Ich habe ihn selbst für diese Position vorgeschlagen, weil er schon als Mitglied unserer Redaktion gezeigt hat, dass er über die notwendigen Skills und auch die Leidenschaft für die Sache verfügt. Das trifft auch auf unsere anderen Redaktionsmitglieder zu, aber Alexander schien Verleger Oberauer, der das zu entscheiden hatte, sehr gut geeignet für die Aufgaben, die im Medium Magazin anstehen. In meiner neuen Rolle als Herausgeberin freue ich mich, dass die Redaktion nun in guten Händen liegt.

Welche Herausforderungen sehen Sie für 2021?


Natürlich gehört dazu die Frage, was von den guten Erfahrungen mit der Digitalisierung in der Pandemie nachhaltig sein wird. Zudem sollte die Frage nach Inhalten, die allzu oft durch stark personalisierte Aspekte überlagert werden, lauter und auch offener für andere Sichtweisen gestellt werden. Und: Wir brauchen mehr Transparenz für journalistische Arbeitsweisen und Auswahlkriterien. Die Redaktion von T-Online beispielsweise setzt unter ihre Beiträge stets Quellenvermerke. Das ist doch schon mal ein guter Anfang. Wenn unsere journalistische Aufgabe weiterhin als demokratisches Gut akzeptiert werden soll, müssen wir mehr dafür tun, dass die Öffentlichkeit unsere Arbeit besser versteht.

Wie hat sich der Lokaljournalismus bisher in der Corona-Pandemie geschlagen?


In weiten Teilen ziemlich gut, mit Blick auf die Entwicklung zum Themenjournalismus statt Terminjournalismus. Letztlich sollte doch genau das lokalen Qualitätsjournalismus prägen. Und Analysen wie die von Lesewert bestätigen diesen Trend. Ich hoffe, dass das auch nach den Zwängen durch die Pandemie weitergeht. Und beim Fokus auf digitale Produkte für alle möglichen Plattformen hat es einen wirklichen Durchbruch gegeben. Das ist gut so, denn das wird für die Zukunft der Medien unverzichtbar sein.

Interview: Anke Vehmeier (Leiterin des Lokaljournalistenprogramms der Bundeszentrale für politische Bildung), Lisa Santos und Mirjam Ratmann (Volontärinnen der Bundeszentrale für politische Bildung)

Medium Magazin, die Branchenzeitschrift für Journalistinnen und Journalisten, wurde 1986 von Sebastian Turner, Stefan Kornelius, Oliver Schrott und Annette Milz in deren Studien- und Ausbildungszeit gegründet. Seit 1991 gehört es zum Medienfachverlag Oberauer und hat sich seither zum großen unabhängigen Fachmagazin mit bundesweiter Reputation entwickelt. Unter der redaktionellen Ägide von Annette Milz entstanden seit 1990 auch weitere Branchentitel wie der Wirtschaftsjournalist und die Journalistin sowie zahlreiche neue Formate und Veranstaltungen.

Annette Milz

ist Herausgeberin des Medium Magazins. Sie hat das Magazin 1986 mitbegründet und war lange Jahre Chefredakteurin. Sie hat in den 80er-Jahren Politologie und Geschichte in Bonn und Berlin studiert.

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