Interview

„Lokale politische Berichterstattung muss unabhängig bleiben“

von

John McLellan ist Direktor der Scottish Newspaper Society.

Screenshot der Scottish Newspaper Society
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Kaum eine Nachricht wird in der britischen Verlagsbranche derzeit so heiß diskutiert wie die Ankündigung der BBC, 100 Stellen für Public Service Reporter zu schaffen. Die Journalisten sollen in den Gemeinden recherchieren und ihre Texte Lokalzeitungen kostenlos zur Verfügung stellen. In einer Phase des Umbruchs, in der zwischen 2005 und 2011 mehr als 240 britische Lokalzeitungen schließen mussten, sei das ein Rettungsangebot an den Lokaljournalismus, argumentiert die BBC. Doch die Verleger sind alarmiert. John McLellan, Direktor der Scottish Newspaper Society, nennt die Pläne ein „Trojanisches Pferd“, das unabhängige Lokalzeitungen bedrohe.

Herr McLellan, Großbritannien kämpft gerade – wie Deutschland – mit dem größten Umbruch der Zeitungsindustrie überhaupt, mehr als 240 britische Lokalzeitungen mussten zwischen 2005 und 2011 schließen. In dieser Situation bietet plötzlich jemand an, 100 lokale Reporterstellen zu erschaffen, die kostenlosen Content für Lokalzeitungen liefern sollen. Klingt erst mal nach einem tollen Angebot, oder?

Das war jedenfalls die Reaktion, die sich die BBC erhofft hatte. Tatsächlich hatte der öffentlich-rechtliche Sender seine Pläne aber im Vorfeld nur mit einem einzigen Verleger diskutiert. Und ich glaube nicht, dass dieser Verleger genau durchdacht hatte, was das für die Zeitungen eigentlich bedeutet. Denn wenn die BBC diese Journalisten einstellt, bedeutet das ja, dass diese auch zu allererst für die BBC-Webseiten schreiben, danach erst wird das Material anderen Partner zu Verfügung gestellt. Im Klartext heißt das, dass die BBC ihre eigene Lokalberichterstattung ausweitet. Schon jetzt ist die BBC die stärkste journalistische Marke in Großbritannien – so würde es noch schwieriger werden für andere journalistische Angebote.

Also eine Stärkung der eigenen Marke – deshalb haben Sie auch das vermeintlich großzügige Angebot der BBC als „Trojanisches Pferd“ verurteilt?

Ja genau, weil dann plötzlich die Leute nur noch auf die BBC-Webseite gehen müssten, und da alles aus einer Hand bekommen – neben den nationalen und internationalen News plötzlich auch die gesamte lokale Berichterstattung. Wir sagen ja nicht, dass die BBC kein guter Dienstleiter ist, im Gegenteil, da sie wegen der Rundfunkgebühr so eine geschützte Position hat, hat die BBC ein großes Renommee. Aber gerade wegen diesem Renommee zieht der Sender jetzt schon für seine nationalen und internationale Berichterstattung ein großes Publikum an. Wenn jetzt noch die Lokalnachrichten dazu kommen, dann bleibt für Lokalzeitungen nicht mehr viel übrig. Und die allermeisten unser Lokalzeitungen berichten sehr effektiv über kommunale Ereignissen. Es gibt keine Informationslücke, die ausgefüllt werden müsste! Wenn die BBC in diesen Markt eindringt, wäre das also eine echte Gefahr für die Zeitungen.

Eine echte Gefahr sagen Sie. Befürchten Sie noch mehr Entlassungen bei Print-Journalisten und mehr Schließungen von unabhängigen Lokalzeitungen?

Ja sicher, denn natürlich würde die gebührenfinanzierte BBC den Wettbewerb auf dem Markt verzerren. Die BBC muss sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.

Sie sagen, es gibt keine Informationslücke in der lokalen Berichterstattung. Das sieht etwa Alan Jones, Sprecher des Kommunalverbandes National Association of Local Councils (die rund 1.000 Gemeinden in England und Wales vertritt) anders. Er spricht etwa von „Riesenproblemen bei der Berichterstattung in Sachen Gemeindenachrichten“. Wären die BBC-Reporter bei den Gemeinderatssitzungen wirklich nur überflüssige Konkurrenz, gibt es kein Defizit Seitens der Lokalzeitungen?

Ich kenne Mr. Jones nicht, und er spricht nicht für Schottland. Und ich kann nur über die Situation in Schottland sprechen. Bei unseren Zeitungen sehe ich einfach kein Versagen in der Berichterstattung über Gemeindepolitik, ich sehe sehr gesunde Zeitungen voll von Informationen. Wie ich höre, gibt es nach der Auffassung von einige Menschen in England das Problem, dass über einige Regionen nicht mehr berichtet wird, aber bei uns hier oben gibt es solche Lücken nicht. Deshalb muss die BBC nicht zu uns kommen und diesen Extra-Service anbieten, das brauchen wir nicht. Die Leute von BBC Schottland haben das mir gegenüber auch vertraulich so erklärt, nur öffentlich hat keiner bisher etwas gesagt.

In Deutschland gibt es ähnliche Diskussionen. Gerade sorgt der Rechercheverbund vom SWR und der Allgemeinen Zeitung aus Mainz für Unmut. Auch die Journalismus-Stiftung Vielfalt und Partizipation, die NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann ins Leben gerufen hat und die durch Einnahmen aus der Rundfunkgebühr finanziert wird, ist umstritten. Der Zeitungsverlegerverband warnte, solche staatliche Subventionierung schaffe „wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten, die mit dem Konzept freier Medien nicht im Einklang stehen“. Greifen solche Initiativen zur Rettung des Lokaljournalismus tatsächlich die Pressefreiheit an?

Auf jeden Fall, ich stimme den deutschen Kollegen vollauf zu. Das sieht mein bei uns ganz klar am Beispiel der BBC. Die Verpflichtungen, die sich aus ihrer Satzung ergeben, und an die sich die BBC halten muss, stellt sie unter starken Druck von Politikern aus allen Parteien. Wenn einer Partei nicht gefällt, was die BBC berichtet, dann üben sie Druck aus. Wir als Lokalzeitungen müssen uns dagegen nicht nach Politiker und ihren Wünschen richten, wir können unabhängig berichten. Deshalb ist es für mich so wichtig, dass der staatliche Rundfunk nicht die lokale politische Berichterstattung übernimmt, denn diese muss unbedingt unabhängig bleiben.

Welche Rolle aber wird in Zukunft der Non-Profit-Journalismus in der Lokalberichterstattung spielen? In den USA gibt es schließlich schon 100 solcher Organisationen, in Deutschland etwa kooperiert das investigative Recherchebüro Correctiv mit Lokalzeitungen.

Solche Organisationen sind uns natürlich immer willkommen. Und wenn einzelne Verleger mit diesen Organisation kooperieren wollen, ist das prinzipiell eine gute Idee. Außerdem brauchen wir von Seiten der Regierung eine realistischere Einstellung gegenüber Zeitungsfusionen und weniger Bürokratismus für Verlage. Ich glaube aber nicht, dass Zeitungen von der Regierung finanziell unterstützt werden sollten, wie das etwa in Norwegen der Fall ist. Tatsache ist, dass wir überall in Schottland gesunde, kommerzielle Zeitungen haben, die Geld verdienen – zwar nicht so viel wie früher, aber sie sind profitabel. Sie leisten ihren Beitrag für die Gemeinde, ohne vom Steuerzahler abhängig zu sein – und das ist gut so.

Interview: Johanna Rüdiger

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