Interview

„Man spürt, ob man als Zeitung eine Rolle spielt“

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Das Team (v.l.): Martin Haselhorst, Thomas Hagemann, Jost Lübben, Jens Stubbe am Hengsteysee in Hagen. (Foto: Michael Kleinrensing)
Das Team (v.l.): Martin Haselhorst, Thomas Hagemann, Jost Lübben, Jens Stubbe am Hengsteysee in Hagen. (Foto: Michael Kleinrensing)

Die Westfalenpost feiert dieses Jahr ihren 75. Geburtstag. Zu diesem Anlass hat sich Chefredakteur Jost Lübben etwas einfallen lassen: eine Tour durchs Verbreitungsgebiet. Mit dem Fahrrad. Das Motto lautete: „75 Jahre/75 Orte/75 Menschen“. Das Team, das sich auf den Weg machte: Jens Stubbe (Redaktionsleiter Hagen), Martin Haselhorst (Redaktionsleiter Arnsberg), Thomas Hagemann (Redaktionsleiter Menden) und Jost Lübben. Sie führten Gespräche, schrieben Geschichten, machten Fotos und Videoberichte. Jost Lübben schildert im Interview die Erlebnisse und Erkenntnisse.


Herr Lübben, wie kamen Sie auf die Idee, diese Tour zu veranstalten?

Der Anlass ist unser 75-jähriges Bestehen, das wir dieses Jahr bei der Westfalenpost feiern. Die konkrete Idee hatte ich, als ich darüber nachgedacht habe, was uns als Westfalenpost ausmacht, nämlich dass wir mit den Menschen in Kontakt stehen und das Gespräch mit ihnen suchen. Da wir in diesem Jahr viele Projekte machen, suchte ich nach einem, bei dem wir uns ganz langsam bewegen, also gewissermaßen in einer digitalisierten Welt analog unterwegs sind. Und da kam ich auf die Radtour. Ich habe die Idee dann mit einigen Kolleginnen und Kollegen besprochen, und daraus hat sich sofort ein Team gebildet, das Lust hatte, die Tour zu machen. Martin Haselhorst, Redaktionsleiter in Arnsberg, war unser Tourenplaner und „Reiseleiter“.

Sie waren fünf Tage unterwegs. Wie lief da so ein Tag ab?

Da die Westfalenpost 75 Jahre alt wird, haben wir versucht, mit der Zahl 75 zu spielen. Wir haben uns vorgenommen, an jedem Tag 75 Kilometer zu fahren, und wir wollten am Ende mindestens 75 Menschen getroffen und 75 Orte besucht haben. Da wir durch das Sauerland gefahren sind, mussten wir insgesamt 4300 Höhenmeter bewältigen, das war für mich als Norddeutscher schon anstrengend. Im Übrigen haben wir es so angelegt, dass wir jeden Ort angesteuert haben, in dem wir eine Lokalredaktion haben. Wir haben uns Pensionen entlang der Strecke gesucht und im Vorfeld gebucht. In der Regel sind wir um neun Uhr morgens losgefahren und waren meist bis etwa 17 Uhr unterwegs. Auf der Tagestour hatten wir immer ein oder zwei Haltepunkte. Dort stand unser WP-Mobil mit einer Kollegin vom Vertrieb und einem Kollegen vom Marketing. Wir hatten Verabredungen, kamen mit Menschen ins Gespräch, etwa aus der Kommunalpolitik. Wir waren ja anhand unserer Trikots leicht erkennbar und standen allen als Gesprächspartner zur Verfügung. Daneben haben wir auch gezielt Menschen getroffen, zum Beispiel Flutopfer besucht. Mit ihnen sind wir in ihr völlig zerstörtes Haus gegangen, um zu sehen, wie es da weitergeht. Auch am Endpunkt des jeweiligen Tages, wo wir eine Unterkunft hatten, trafen wir wieder Menschen. Im Übrigen sind auch immer wieder Leute ein Stück mitgefahren, häufig spontan. Die kamen einfach zu unserem Startpunkt und schlossen sich an.

Immer wieder schlossen sich dem WP-Team andere Radlerinnen und Radler an.
Immer wieder schlossen sich dem WP-Team andere Radlerinnen und Radler an.

Wie waren die Begegnungen mit Leserinnen und Lesern?

Wenn man in entsprechender Kleindung auf dem Fahrrad sitzt, man ist durchgeschwitzt oder auch mal nassgeregnet, und jemand fährt neben einem her, dann kommt man sehr schnell auf die gleiche Ebene, man ist ebenbürtig. Man wird nicht mehr formell als Journalist oder Chefredakteur angesehen. Da fallen die Barrieren, viele Themen werden angesprochen. Die Menschen berichten von ihrer Gemeinde, von ihren Problemen, sie drücken ihren Stolz aus auf die Gegend, durch die wir gerade gemeinsam radeln, sodass es extrem viele Impulse gibt, die einem ein sehr vertieftes Bild von der Region vermitteln.

Klingt, als ob Sie sehr viel mitnehmen können in den Redaktionsalltag.

Auf jeden Fall. Wir haben ja während der Fahrt einen fortlaufenden Blog geschrieben, sodass man uns quasi folgen konnte. Diesen Blog haben über den Tag hinweg mit Texten und Bildern gefüllt. Am Abend haben wir jeweils eine Tageszusammenfassung geschrieben, die in Print, im E-Paper und auf dem Blog gelaufen ist. Und wir haben natürlich Videos produziert. Nach dem Duschen sind wir dann abends auch noch in eine Kneipe oder in ein Restaurant gegangen, und auch dort sind wir wieder mit Menschen ins Gespräch gekommen. Wir haben von Personalmangel in der Gastronomie erfahren, zum Beispiel von einem Fischgeschäft mit Restaurant in Attendorn, wo fünf Vollzeitstellen nicht besetzt sind. An einem anderen Tag erfuhren wir die Geschichte eines Restaurants in Erndtebrück in der Nähe von Siegen, das ein junges Paar betreibt. Ich wunderte mich über die ungewöhnlich progressive Speisekarte dort, obwohl das Restaurant Westfälischer Hof heißt, was ja zunächst auf bürgerlich-traditionelle Küche hindeutete. Es stellte sich heraus, dass das Paar zwar aus der Region stammte, aber gastronomisch in der weiten Welt unterwegs gewesen ist. Es wollte unbedingt wieder in die Heimat zurückkehren. Und so hat man sofort eine Geschichte und ein Thema: Dass Menschen, die in der Welt unterwegs waren, in die Heimatregion zurückkommen und sie bereichern mit ihren Eindrücken und Vorstellungen.

Grundsätzlich haben wir natürlich auch erlebt, wie die touristischen Infrastrukturen sind, die Radwege, die Beschilderungen, was häufig gemeindeübergreifend geregelt ist. Positiv zu sehen war, dass sich die Region als ganzjährige Outdoor-Region etablieren will. Es geht also nicht nur um Skifahren im Sauerland, was auch möglich ist, sondern auch ums Wandern, ums Mountain-Bike-fahren usw.

Gab es auch negative Aspekte zu sehen?

Ja, wir haben in manchen Gemeinden auch schleichende, negative Tendenzen feststellen können. Ecken, aus denen über Jahre hinweg Menschen abgewandert sind, wo Hotels und Restaurants geschlossen sind oder Öffnungszeiten stark reduziert wurden. Dazu gehört übrigens auch, dass das Funknetz dringend ausgebaut werden muss. Wir brauchen 5G „an jeder Milchkanne“. Das sind wichtige Themen, um die wir uns jetzt in den kommenden Wochen kümmern werden. Wir beraten derzeit, wie wir das thematisch umsetzen können. Vermutlich werden wir anhand von positiven Beispielen zeigen, wie sich gegensteuern lässt.

Sind auch witzige Dinge passiert?

Es sind viele lustige Sachen passiert. Der Running Gag war: Der Kollege Thomas Hagemann ist mit einem E-Mountainbike gefahren. Martin Haselhorst, Jens Stubbe und ich hatten Räder, die mit Muskelkraft betrieben wurden. Wir haben oft darüber gewitzelt, dass Thomas irgendwann der Akku ausgehen könnte, weil er uns am Berg immer überholt hat. Das ist dann tatsächlich auf der letzten Etappe fünf Kilometer vor dem Ziel passiert.

Wenn Sie das Programm rückwirkend betrachten: fünf Tage, immer 75 Kilometer, 75 Orte besuchen. War das nicht etwas viel? Würde Sie das wieder so machen?

Wir werden uns beim nächstes Mal sicherlich weniger vornehmen. Wir waren zudem männerlastig, obwohl wir auch Kolleginnen eingeladen hatten. Wir überlegen, wie wir das im nächsten Jahr hinbekommen können, dass auch andere aus der Redaktion so eine Tour machen oder mitfahren, weil es einfach eine wunderbare Gelegenheit ist, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Strecken sollten deutlich verkürzt werden, und wir würden uns auch noch andere, unkonventionelle Gesprächspartner suchen, die nicht unbedingt aus Politik und Verwaltung kommen, gerade jüngere Leute. Und wir überlegen, ob es nicht eine Option ist, das Fahrrad mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu kombinieren, um entspannter voranzukommen und auch die Verkehrsinfrastruktur zu testen. Jedenfalls soll die Hürde, an so einer Fahrt teilzunehmen, niedriger werden.

Das WP-Team am Ziel der Tour in Brilon auf dem Marktplatz. (Foto: Naima Schopper)
Das WP-Team am Ziel der Tour in Brilon auf dem Marktplatz. (Foto: Naima Schopper)

Warum würden Sie anderen Redaktionen solche Touren unbedingt empfehlen?

Ich würde es empfehlen, weil man einen Einblick in das eigene Verbreitungsgebiet erhält, den auch Menschen, die schon lange dort leben und arbeiten wie meine Kollegen, im Alltag so nicht bekommen können. Außerdem begibt man sich auf eine Reise, die die Ebenbürtigkeit beinhaltet. Die Menschen haben keine Hemmschwelle, mit uns zu sprechen. Wenn sie uns auf dem Fahrrad in kurzer Hose sehen, ist das was anderes als auf einer offiziellen Veranstaltung oder in der Redaktion. Man erhält andere Perspektiven, man bewegt sich langsam und bekommt mehr mit. Die Menschen sind dankbar dafür, dass man sich auf diese Weise für sie interessiert. Wir spüren deutlich, ob wir als Zeitung eine Rolle für die Menschen in der Region spielen und wenn ja welche.

Also fällt Ihr Fazit sehr positiv aus?

Ja. Überall wo wir auftauchten, lasen sehr viele Leute auch den Blog. Er zählte insgesamt mehr als 10.000 Aufrufe, was für so einen Blog eine gute Sache ist, denn er liefert ja keine Nachrichten, sondern einen Flow von Eindrücken. Aber viele hatten mitbekommen, dass wir in der Region unterwegs waren und wer wir waren. Wir waren Gesprächsgegenstand. Die Leute nehmen wahr, dass wir neugierig sind, dass wir an Lösungen interessiert sind und nicht nur über Probleme schreiben. Wir bleiben neugierig, das ist ja auch das Motto unseres Jubiläumsjahres.

Interview: Stefan Wirner

Hier geht es zum Blog, auf dem die Tour beschrieben wurde.

Jost Lübben

ist Chefredakteur der Westfalenpost und der Westfälischen Rundschau.

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