Interview

„Lokale Nachrichten sind derzeit extrem gefragt“

von

Die Märkische Allgemeine erklärt den Leserinnen und Lesern, wie derzeit die Zeitung entsteht.
Die Märkische Allgemeine erklärt den Leserinnen und Lesern, wie derzeit die Zeitung entsteht.

Herr Lohmar, während die meisten der Kollegen im Homeoffice sind, sind Sie weiterhin im Hauptgebäude der Märkischen Allgemeinen in Potsdam. Wie fühlt sich das derzeit an?

Immer noch seltsam. Wo sonst Hochbetrieb herrscht, wo viele Mitarbeiter am Newsdesk sitzen, ist es still geworden. Da sitze ich mit ein, zwei Kollegen und versuche, aus der Zentrale heraus die Arbeit der Reporter und Blattmacher zu koordinieren. Redaktionsarbeit ist ja ein ständiges Gespräch untereinander, ein ständiges Kommunizieren. Die digitale Technik hilft uns dabei, das nun aus der Ferne zu tun. Wir merken aber gerade, wie schwer ein persönliches Gespräch zu ersetzen ist.

Wie haben sich Ihre Redaktionen organisiert?

Die Märkische Allgemeine hat ein flächenmäßig sehr großes Verbreitungsgebiet – ungefähr so groß wie Schleswig-Holstein – im Westen des Landes Brandenburg. Wir sind dezentral organisiert und haben neben dem zentralen Newsroom in Potsdam noch drei Regionaldesks, wo Lokalausgaben produziert werden. Einer davon ist komplett verwaist, da sind alle im Homeoffice. Bei anderen ist nur eine Rumpfbesetzung da und koordiniert die Arbeit. Für die Reporter bedeutet das gar nicht so eine große Umstellung, da sie sowieso mit Laptop unterm Arm unterwegs sind. Neu ist nur, dass sie ihre Texte jetzt komplett von außerhalb schreiben und auch die Absprachen dezentral, etwa über Messenger-Gruppen, organisieren. Die Kollegen machen gerade einen super Job. Man sieht der Zeitung nicht an, dass sie unter widrigen Umständen entsteht.

Per Klick aufs Bild gelangen Sie zur Seite der MAZ.
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Haben sich die Themen in Ihrer Zeitung nun stark verändert?

Natürlich setzt Corona viele Themen. Wir versuchen trotzdem immer auch Corona-freien Content zu produzieren. Viele unserer Leserinnen und Leser sitzen jetzt zu Hause und haben Zeit, da wollen wir neben den wichtigen Nachrichten auch ein bisschen Ablenkung und Unterhaltung bringen. Aber das Thema Nummer Eins ist und bleibt die Pandemie.

Sie sprechen von Unterhaltung. Welche Themen meinen Sie damit?

Wir haben zum Beispiel eine neue Kinder-Rätselseite im Angebot. Im Netz verbreiten wir nach der Absage von Großveranstaltungen gemeinsam mit dem rbb ausgewählte Konzerte im Livestream – los ging es am Mittwoch mit Lang Lang und Max Raabe. Außerdem bemühen wir uns, bewusst einen Kontrapunkt zu setzen und im Lokalen die tägliche gute Nachricht zu veröffentlichen. Das kann eine Nachbarschaftshilfe sein, das kann ein Porträt über jemanden sein, der sich um die Kinderbetreuung kümmert.

Klingt fast so, als wäre das jetzt die Stunde des Constructive Journalism.

Es war schon immer wichtig, nicht nur das Destruktive zu suchen. In Zeiten der Pandemie ist natürlich die allgemeine Stimmung eher auf Krise orientiert, und in dem Kontext sucht man vielleicht auch gezielt nach guten Nachrichten.

In einem Artikel klären Sie die Leser darüber auf, wie die Zeitung derzeit produziert wird und wie die Kollegen arbeiten. Sie sprechen vom „publizistischen Krisengebiet“. Was meinen Sie damit?

Es ist für uns sehr viel schwieriger geworden, eine Zeitung zu produzieren. Zum einen ist da das Organisatorische, darüber haben wir schon gesprochen. Hinzu kommt: Momentan sind viele Kollegen krank, das Team wird kleiner. Und es ist gibt ja auch viel weniger „klassische Themen“, weil kaum noch Veranstaltungen stattfinden, weil man sich nicht eben mal zum Hintergrundgespräch irgendwo treffen kann. Und dann kommen so scheinbar banale Sachen hinzu wie: Die Kantine hat geschlossen. Natürlich sind auch die Redakteurinnen und Redakteure besorgt. Sie fragen sich, wie alle Menschen gerade: Wie organisiere ich meine Kinderbetreuung? Was passiert mit meinen Eltern oder Großeltern? Solche Dinge belasten zusätzlich.

Wurde der Umfang der Zeitung reduziert?

Bisher noch nicht. Wir können natürlich nicht ausschließen, dass das eines Tages nötig sein wird.

Um die Ausbreitung des Virus und der Krankheit zu verlangsamen, hatten die Regierungen im Bund und in den Ländern die Schließung von verschiedenen Verkaufsstellen angeordnet – ausdrücklich ausgenommen war dabei teilweise der Zeitungsverkauf. Wie sieht es mit der Zustellung der Zeitung aus?

Bis jetzt haben wir dort keine Einbrüche. Wir sind sehr froh, dass die Landesregierung klar gestellt hat, dass die Medien und die damit verbundene Infrastruktur zur „kritischen Infrastruktur“ gehören und somit mehr oder weniger systemrelevant sind.

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Gerade lernen wir alle unglaublich schnell, unglaublich viel: Journalisten richten ihr Homeoffice ein, lernen Podcasts aufzunehmen oder aus dem Wohnzimmer heraus zu streamen. Was haben Sie bis jetzt gelernt?

Wir haben uns innerhalb kürzester Zeit neu organisiert in Messenger-Gruppen, Telefonkonferenzen und Video-Gruppen. Das hat sehr gut funktioniert. Die grundlegendste Erfahrung, die wir machen, und unsere größte Motivation, ist, dass unsere Nachrichten unglaublich nachgefragt sind. Die Zugriffe auf unsere Internetseite sind enorm angestiegen mit der Krise. Alles, was lokale und regionale Information rund um Corona angeht, wird gelesen.

Haben Sie die Inhalte dahingehend angepasst?

Wir haben jetzt einen täglichen Newsletter mit den wichtigsten Updates zu Corona. Und wir haben in unseren Regionen eigene lokale Facebook-Gruppen zum Thema Corona eingerichtet. Die werden sehr gut angenommen und als lokales Forum genutzt, um Informationen zu beziehen und Hilfsangebote auszutauschen.

Wird diese Krise die Lokalzeitungsbranche nachhaltig verändern?
Das glaube ich nicht. Das, was wir tun, wird sehr gut angenommen. Es hat einen Wert. Der Zuspruch seitens unserer Leser macht Mut. Das ist ein Lichtblick in der Krise.

Henry Lohmar

ist Chefredakteur der Märkischen Allgemeinen in Potsdam. E-Mail: chefredaktion@MAZ-online.de

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