„Mit Protest allein kommt man zu keiner Lösung“
von Stefan Wirner
Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vermisst man eine eine sachliche Debatte über Nachhaltigkeit und Klimawandel. Ein Gespräch mit dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer Holger Lösch.
Herr Lösch, kürzlich wurde das Wort „Klimahysterie“ zum Unwort des Jahres gewählt. Ganz ehrlich: Was haben Sie gedacht, als Sie das hörten?
Der Begriff wird dem Kernanliegen, dem Einsatz für Klimaschutz, nicht gerecht. Hysterie und Panik sind nie gute Ratgeber. Das gilt auch für völlige Gelassenheit und Ignoranz. Es muss darum gehen, zusammen als Gesellschaft Wege zu suchen, wie wir das Klima schützen – und Antworten auf daraus entstehende Herausforderungen für Unternehmen zu finden.
Wie finden Sie das beim BDI, dass nahezu jeden Freitag Tausende Schülerinnen und Schüler für härtere Maßnahmen gegen den Klimawandel demonstrieren?
Ich schätze das Engagement der Demonstranten, für eine Sache einzustehen. Eine besondere Qualität haben die Demonstrationen, weil sehr junge Menschen teilnehmen. Manche Forderungen können Vorstände aus der Wirtschaft unterstützen, etwa wenn es um den Ausbau effizienter und klimaschonender Infrastruktur geht. Die Bewegung hat auch einige medienwirksame Galionsfiguren, etwa Greta Thunberg, hervorgebracht. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber: Mit Protest allein kommt man zu keiner Lösung. Wir brauchen einen differenzierteren Ansatz, um die technologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen des Klimawandels zu lösen.
Das Thema polarisiert die Gesellschaft. Die einen entwerfen apokalyptische Szenarien und warnen vor dem Weltuntergang, die anderen fürchten um Wohlstand und Fortschritt, wenn man sich nur noch auf den Klimaschutz konzentriert. Wo steht da der BDI?
Die Unternehmen in Deutschland vermissen eine sachliche Debatte über Nachhaltigkeit und Klimawandel: Klimaschutz ist keine einfache Angelegenheit, besonders in einer Zeit, in der viele Staaten nicht mehr so global denken. Alleingänge wären schwierig zu managen und würden dem Weltklima äußerst wenig bringen. Der Industriestandort Deutschland steht für die Förderung klimafreundlicher Produkte und Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette, um Emissionen nachhaltig zu verringern.
Der Reduzierung von CO2-Emissionen, der Green Deal der EU-Kommission – das bringt für die deutsche Industrie große Aufgaben mit sich. Mit welchen Problemen müssen Sie sich dabei vor allem auseinandersetzen?
Wir haben dazu vor zwei Jahren eine große Studie veröffentlicht unter der Überschrift „Klimapfade für Deutschland“, die immer noch hochaktuell ist. Der BDI fordert Politik und Unternehmen auf, global zusätzlich enorme Investitionen für klimaschonende Technologien zu tätigen. Einige Technologien sind bereits vorhanden, andere müssen erst entwickelt werden, für wieder andere brauchen wir noch weitere Voraussetzungen, etwa deutlich mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Das Problem ist, dass sich die benötigten Investitionen wirtschaftlich oft noch nicht rechnen. Das ist die größte Herausforderung: Wie schafft es insbesondere die Politik, jeden, der als Investor eine Entscheidung treffen muss – und das betrifft Sie und mich, Unternehmen, Länder und ganze Kontinente –, dabei zu unterstützen, weniger CO2 auszustoßen? Das wird nicht per Befehl funktionieren oder wenn damit dramatische Verluste an Wohlstand und Komfort verbunden sind. Es braucht Alternativen, die für Investoren so attraktiv sind, dass sie sagen: Ja, das überzeugt mich, so mache ich es.
Finden Sie sich da als BDI in der Berichterstattung der Medien richtig dargestellt?
Viele differenzierte Positionen, auch die des BDI, scheinen es derzeit im öffentlichen Diskurs wirklich schwer zu haben. Manches empfinde ich als zu eindimensional, nach dem Motto: Die Wirtschaft muss jetzt endlich mal etwas tun. Was viele nicht sehen: Die Unternehmen in Deutschland sind längst Teil der Lösung, wenn es um Klimaschutz geht. Sie passen ihre Geschäftsmodelle den klimapolitischen Notwendigkeiten an, und viele profitieren bereits davon. Gleichzeitig befinden sich die Unternehmen aber auch im harten internationalen Wettbewerb. Sie können nicht fix jeden beliebigen Betrag investieren. Es ist für Unternehmen existentiell notwendig, dass die Maßnahmen ihre wirtschaftliche Situation nicht überfordern.
Wegen des Klimawandels wird von manchen eine umfassende Umstrukturierung der Gesellschaft, der Wirtschaft gefordert. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass wir das hinbekommen?
Beim Thema Energieerzeugung geben mir zwei technologische Entwicklungen Anlass zu großer Hoffnung, um die hohen Reduktionsziele zu erfüllen. Erstens erneuerbare Energien, zweitens flüssige und gasförmige Brennstoffe, insbesondere Wasserstoff. Wenn man sich ansieht, was in manchen Regionen künftig die Erzeugung von einer Kilowattstunde Strom über Fotovoltaik oder Wind kosten wird, dann ist das extrem kostengünstig: Strom – fast für umsonst. Die Nutzung von nachhaltigeren Brennstoffen ist heute noch nicht rentabel, jedenfalls nicht der grüne Wasserstoff, aber mit Blick auf die Preisentwicklung von grünem Strom werden rentable Märkte entstehen. Die Wirtschaft nimmt das enorm gestiegene gesellschaftliche Bewusstsein für den Klimaschutz außerordentlich ernst. Das zeigt sich in der schrittweisen Anpassung ihrer Geschäftsmodelle und Investitionen. Neben der Wirtschaft steht auch jeder Einzelne in der Pflicht, Alltagsentscheidungen verantwortungsvoll zu treffen. Das kann zum Beispiel für eine Immobilie heißen, dass sich der Eigentümer für klimaneutrales Wohnen entscheidet. Auf der weltpolitischen Bühne ist es allerdings gerade sehr mühsam: Immer mehr Länder verhalten sich nationalistisch und protektionistisch, statt sich der globalen Herausforderung Klimawandel zu stellen und sie gemeinsam anzugehen.
BDI-Präsident Kempf hat der Bundesregierung kürzlich „planwirtschaftliche Reduktionsschemata“ vorgeworfen, wenn es um den Klimaschutz geht. Was kritisieren Sie im Detail?
Aus Sicht der Politik ist es immer verlockend, Pläne zu machen, die dann auf Knopfdruck laufen sollen. Dazu gehören leider viele Maßnahmen im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung. Aber so einfach funktioniert die Welt leider nicht: Am Ende geht es immer um die Entscheidungen von Individuen, Unternehmen und Regierungen. Jeder hat da sein Päckchen zu tragen. Nehmen Sie das Beispiel Elektromobilität. Über Jahre hinweg wurde das Ziel ausgegeben: Wir in Deutschland wollen 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf der Straße haben. Davon sind wir heute noch weit entfernt. Auch die Ziele, die sich die Regierung nun für die kommenden zwei bis drei Jahren gesetzt hat, sind äußerst ambitioniert. Die Politik muss extrem aufpassen: Mit unrealistischen Zielen entmutigt sie die Menschen eher und sorgt für Enttäuschungen. Diese Sorge meinen wir, wenn wir vor Planwirtschaft warnen.
Was würden Sie den jungen Leuten von Fridays for Future gerne sagen?
Nutzt euer Engagement und eure Dynamik dazu, uns Dampf zu machen. Wir hören zu. Befasst euch aber auch mit den politischen, ökonomischen und sozialen Realitäten. Denn Verbesserungen und Veränderungen lassen sich in demokratischen Gesellschaften niemals abrupt und gleichsam über Nacht herbeidemonstrieren. Probleme zu benennen ist eine wichtige Sache. Entscheidend ist, Wege zur Lösung aufzuzeigen und Lösungsvorschläge offen und vorurteilsfrei zu diskutieren.
Und was wünschen Sie sich vom Lokaljournalismus?
Ich finde es wichtig, sich immer wieder anzuschauen, welche Veränderungen in der Region, in wissenschaftlichen Instituten, in Unternehmen und Kommunen vonstattengehen, die Vorbildcharakter haben und im Kleinen einen Beitrag leisten. Ich fände es umso besser, je stärker die Öffentlichkeit diese positiven Entwicklungen wahrnehmen könnte. Wo sind Lösungsansätze, welche Unternehmen sind mit welchen Technologien vorne mit dabei, welche Kommunen ergreifen intelligente Initiativen? Wenn wir darüber mehr lesen, hören, sehen, führt das zu einer positiven Aufbruchsstimmung. Ich bin überzeugt, mit der lässt sich mehr erreichen.
Interview: Stefan Wirner
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