Interview

„Ohne Biss geht es nicht“

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Andrea Claudia Hoffmann ist Professorin für investigativen Journalismus (Foto: Evelin Frerk)
Andrea Claudia Hoffmann ist Professorin für investigativen Journalismus (Foto: Evelin Frerk)

Andrea Claudia Hoffmann ist die einzige Professorin für investigativen Journalismus in Deutschland. Wie bewertet sie die Möglichkeiten des Investigativen im Lokalen?

Frau Hoffmann, Panama-Papers, Paradise-Papers, Football-Leaks – man hat den Eindruck, dass investigativer Journalismus boomt. Ist das so?

Investigativen Journalismus gibt es bereits, seitdem der Journalismus für sich beansprucht mehr zu sein als nur ein Sprachrohr der Mächtigen. In den USA nahm die Presse schon Ende des 19. Jahrhunderts diese Kontrollfunktion wahr. In Deutschland ging das erst in der Weimarer Republik richtig los. Richtig ist aber die Beobachtung, dass der investigative Journalismus derzeit ein Revival erlebt. Viele deutsche Redaktionen haben eigene Investigativ-Ressorts eingerichtet. Außerdem arbeiten wir in der Disziplin heute mit neuen Instrumenten. Das Stichwort lautet Big Data: Den Rechercheuren stehen sowohl nie gekannte Mengen von Daten zur Verfügung als auch die computergestützten Tools, um diese nach relevanten Informationen zu durchforsten – so ging man etwa auch bei den Panama Papers vor.

Wie würden Sie investigativen Journalismus definieren?

Wie der Name bereits sagt, ist investigativer Journalismus durch besonders intensive Recherche gekennzeichnet. Es handelt sich also nicht um eine ganz eigene Disziplin, sondern um Journalismus, bei dem die Journalistinnen und Journalisten besonders viel Rechercheaufwand betreiben. Im Vergleich zum herkömmlichen Journalismus sind die Quellen beim investigativen Journalismus nur schwer oder sogar sehr schwer zugänglich.

Die ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger sagt: „Investigativer Journalismus beginnt beim Lokaljournalismus.“ Sehen Sie das auch so?

Lokaljournalismus ist die „Mutter des Investigativen“. Warum? In den Städten und Landkreisen gibt es in der Regel keine klassischen Nachrichtenquellen wie Agenturen und Online-Nachrichten. Die Journalisten vor Ort müssen den allergrößten Teil ihrer Inhalte selbst produzieren, das heißt selbst recherchieren, überprüfen und aufschreiben.

Investigatives Arbeiten scheint gerade im Lokalen weniger verbreitet zu sein.

In das allgemeine Bewusstsein kommen ja nur die „großen Geschichten“, die in Magazinen abgedruckt oder im TV gesendet werden. Von den kleinen Skandalen vor Ort wissen Menschen außerhalb der jeweiligen Region oft nichts. Dabei gibt es viele solcher investigativen Lokalreportagen. Die letzten Gewinner des Wächterpreises der Tagespresse stammen allesamt aus regionalen und lokalen Medien.

Wie sieht allgemein die Arbeitssituation für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten aus?

Viele Redaktionen haben in den vergangenen Jahren Investigativ-Ressorts eingeführt. Das spricht für eine gewisse Würdigung des investigativen Arbeitens. Auf der anderen Seite aber muss man fragen, ob investigative Beiträge unbedingt in speziell dafür eingerichteten Ressorts entstehen müssen oder ob ein gut aufgestelltes Medienhaus sich nicht vielmehr dadurch kennzeichnet, dass investigatives Recherchieren jederzeit auch in verschiedenen Ressorts möglich ist. Schließlich sitzen dort überall Fachleute für ihr Themengebiet. Und wenn man die Sache so betrachtet, sieht das Bild plötzlich gar nicht mehr so positiv aus: Viele Journalistinnen und Journalisten haben aufgrund des weitverbreiteten Personalabbaus neben ihrer regulären Arbeit kaum mehr Kapazitäten für aufwendige Recherchen.

Ist im Produktionsdruck der täglichen Nachrichtenarbeit überhaupt investigatives Arbeiten möglich?

Viel hängt von den Ambitionen der Journalistinnen und Journalisten selbst ab: Nur wer bereit ist, sich in die Arbeit zu knien und neben der Routine die Extra-Meile zu laufen, wird es trotz des sich stetig erhöhenden Produktionsdrucks schaffen, exzellent und aufwendig recherchierte Geschichten zu erzählen.

Investigativer Journalismus ist teuer. Können sich das kleine Medienhäuser noch leisten? Oder geht das langfristig nur noch in Kooperationen?

Die Tatsache, dass sich selbst große, überregionale Blätter wie der Spiegel oder die Süddeutsche Zeitung zu Kooperationen mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusammenschließen, zeigt uns, dass auch sie allein nicht mehr stark genug sind, um investigative Recherchen zu stemmen. Vor allem aber gelingt es ihnen alleine offenbar nicht, an die notwendigen sensiblen Daten zu kommen. Diese Kooperationen dienen auch dem Zweck, sich bedeutsamer zu machen, als man es alleine wäre, andere, kleinere Redaktionen auszubooten, wenn es um die Datenbeschaffung geht. Übrigens subventionieren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die an diesen Kooperationen beteiligt sind, durch die Verwendung von verpflichtenden Rundfunkbeiträgen diese Recherchen durch die Hintertür für die großen Medienhäuser.

Was brauchen – neben Zeit und Ressourcen – investigativ arbeitende Kolleginnen und Kollegen noch?

Wir haben bereits viel über Geld geredet. Aber ein langer Atem ist für eine gründliche Recherche mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger. Mit meinen Studentinnen und Studenten rede ich gerne über das Wort „Biss“ – ohne den es meiner Ansicht nicht geht: Um erfolgreich zu sein, muss ich mich in ein Thema verbeißen und unbedingt die Antwort auf meine Fragen wissen wollen. Ich denke, es ist pure Leidenschaft für den Job, der zu dieser Hartnäckigkeit in der Recherche führt. Wenn man die nicht fühlt, bringt man auch unter den besten finanziellen Voraussetzungen nicht die notwendige Energie auf.

Interview: Robert Domes

Andrea Claudia Hoffmann

ist Professorin für Investigativen Journalismus an der Fakultät ­Design, Medien und Information an der HAW Hamburg.

Internet: www.andreachoffmann.de
E-Mail: AndreaClaudia.Hoffmann@haw-hamburg.de

Das Interview erschien in kürzerer Fassung in der drehscheibe, Ausgabe 8/2022. Zur Ausgabe

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