Interview

„Planung schafft Freiräume"

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Wer eine gute Wahlkampfberichterstattung machen will, muss langfristig und detailliert planen. Jan Kaymer, lange Jahre Chef vom Dienst bei der Ostfriesen-Zeitung, ist überzeugt: „Planung ist eine Voraussetzung für qualitativ hochwertige Berichterstattung.“

Herr Kaymer, wie lange vor einer Wahl sollte die Redaktion mit der Planung beginnen?

Nach meiner Erfahrung würde ich mich anderthalb Jahre vorher mit gutwilligen Kollegen zusammensetzen. Das dauert einen halben Tag, dann steht der Rahmen. Dann muss sich einer hinsetzen und das alles ausformulieren. Damit ist schon das meiste getan.

Wer muss mit an den Tisch?

Ich würde die Gruppe so klein wie möglich halten, weil ich zu Entscheidungen kommen möchte. Dazu gehört der Chef vom Dienst oder Producer, der die Fäden in der Hand hält, das steuert und überwacht. Dann sollte man auch Kollegen ansprechen, die eine politische Nase haben. Eine kleine Runde aus Kreativen und Strukturierten.

Im Wahlkampf kommt es doch darauf an, aktuell zu reagieren – leidet unter der strengen Planung nicht die Spontanität?

Journalisten glauben, dass Chaos Kreativität ist. Aber das ist ein Irrglaube. Auch die Angst, dass man sich mit Planung in ein starres Korsett zwängt, ist ein klassisches Problem von Journalisten. Aber wenn die Kollegen einmal verstanden haben, dass man mit Planung Freiräume und Zeit schafft für das eigentliche journalistische Arbeiten, dann nehmen sie sie gerne an und sind auch froh, dass sie gemacht wird. Eins darf man nicht vergessen: Wenn man einmal einen vernünftigen Plan für eine Bundestagswahl gemacht hat, dann muss man nie wieder einen machen. Die Slalomstangen stehen. Dann weiß man, um was man sich alles kümmern muss, in welchem Zeitraum diese Dinge passieren müssen. Das macht man einmal und kann das als Blaupause dann immer wieder verwenden.

Warum ist Planung überhaupt wichtig?

Ein großer Vorteil der Planung ist, dass ich weiß, welche Standards ich bringen muss, zum Beispiel Porträts. Aber ich muss auch die harten Fakten machen. Wie viele Stimmen brauche ich, um in den Bundestag zu kommen? Wie sieht es in den Gemeinden aus, wo wählen Bürger eher rot, wo eher schwarz? Diese Geschichten stehen schon ein Jahr vorher fest. Dann weiß ich, ich muss in sieben Monaten diese oder jene Geschichte machen. Die Kollegen können sich die Themen selber aussuchen. Der eine ist mehr für die weichen Geschichten, der sucht sich das Porträt raus, der andere steht mehr auf die harten Fakten. Die Redaktionen sind bis über die Ohren voll mit Arbeit, aber wenn ich weiß, dass ich in sieben Monaten ein Porträt schreiben muss, kann ich das im Hinterkopf mitdenken. Das fällt viel leichter als wenn ich schnell mal zu einer Wahlveranstaltung gehen und für morgen schreiben muss. Planung ist auch ganz sicher eine Voraussetzung für qualitativ hochwertige Berichterstattung.

Es werden also nicht nur die Themen festgezurrt, sondern auch, wer dafür zuständig ist?

Das Ganze geschieht nach dem Windhundprinzip: Wer als erster kommt, kriegt den ersten Knochen.

Wie plane ich das Jahr vor der Bundestagswahl konsequent durch? Gibt es dafür Grundsätze?

Das Gerüst gibt das Gesetz vor. Wann wird die Liste aufgestellt? Wann werden die Vorschläge eingereicht? All diese festen Termine setzt man auf einen Zeitstrahl. Darum drapiert man die Eigenleistung der Redaktion. Was mir immer in den Fingern juckt, ist die Aufstellung der Kandidaten. Jede Redaktion macht den Fehler und geht zu der Sitzung, wo die Kandidaten vorgestellt werden. Das ist das Unwichtigste. Jeder gute Lokaljournalist kennt doch die Hintergründe: Warum jemand aufgestellt wird, warum jemand weggeschoben wird, welchen Einfluss die Landespartei nimmt. Solche Dinge kann man im Vorfeld vier Wochen vor der eigentlichen Veranstaltung schreiben.

Die Strippen werden ja zumeist nicht öffentlich in kleinen Zirkeln gezogen.

Aber das weiß man als guter Lokaljournalist. Genau da ist Politik spannend und dann ist auch Zeitung spannend. Ich habe das Gefühl, dass viele Journalisten Politik als Igitt-Veranstaltung ansehen und sich die Finger nicht schmutzig machen wollen. Das ist sehr unprofessionell. Es kann ja sein, dass es igitt ist. Aber dann erkläre ich dem Leser, warum es igitt ist.

Funktioniert das nur in einer großen Redaktion oder auch in der knapp besetzten Lokalredaktion?

Gerade dann, wenn ich wenig Ressourcen habe, ist eine gute Planung wichtig. Wenn man nicht vorausdenkt, dann passiert folgendes: Der Wahlkampfmanager ruft an und sagt, dass der Kandidat am nächsten Tag bei einer Firma vor Ort sei – und die Redaktion kommt ins Schwimmen, weil keiner Zeit hat. Wenn ich aber weiß, dass ich sowieso ein Porträt über diesen Kandidaten mache, kann ich sagen:„Schick mir das rein, ich nehme es vielleicht im Porträt mit auf.“

Fällt es auch leichter, große politische Themen ins Lokale runterzubrechen?

Ich weiß nicht, ob das an der Planung liegt oder an der Kreativität. Planung macht keine gute oder schlechte Wahlkampfberichterstattung, sie erleichtert sie aber. Das ist wie der Spielplan der Bundesliga. Man weiß, wann wer gegen wen spielt. Das bedeutet aber nicht, dass ich jetzt eine langweilige oder spannende Saison habe. Meine Empfehlung dazu: Die Kollegen sollen regelmäßig Fortbildungen besuchen. Wer in einem Seminar gewesen ist, wo es um Wahlen geht, der kommt mit einer dicken Kladde an Ideen wieder. Gerade zu der Frage, wie ich große Themen ins Lokale runterbreche, gibt es Unmengen von Ansätzen.

Wie sieht es mit der optischen Umsetzung aus?

Auch die wird in der ersten Planungsrunde festgelegt. Damit schafft man eine Verbindlichkeit. Jeder Kollege, der irgendwo einen Kandidaten erwischt, soll ihn fotografieren und die Dateien in den entsprechenden Ordner stellen. Zur Optik gehören aber nicht nur Bilder. Das können Karten, Bildkombos, Grafiken, Diagramme sein. Wenn jemand eine Rückschau auf die vergangenen Wahlen plant, kann er sich frühzeitig Gedanken machen über die entsprechende Optik und die Sachen bei der Grafik im Haus bestellen. Dann passiert es nicht, dass ein Kollege am Nachmittag vom Termin kommt und feststellt, dass was fehlt. Am besten werden die Seiten komplett durchgespiegelt. Bei den Porträts zum Beispiel wird von vorneherein die Zeilenzahl festgelegt, dazu ein Infokasten mit der Vita, ein Foto, eine Grafik vom Wahlkreis und ein Kasten zu den Wahlgegnern. Das schafft auch einen Wiedererkennungswert.

Was macht man, wenn nicht mehr viel Zeit ist, wie jetzt in Niedersachsen?

Egal ob viel oder wenig Zeit ist, man muss an die Sache strukturiert herangehen. Das kann auch mal ein Sonntagnachmittag sein. Da muss ich mich hinsetzen und fragen: Was ist essentiell, was habe ich noch nicht gemacht? Habe ich alle Kandidaten vorgestellt? Habe ich den Lesern erklärt, wofür sie ihre Stimmen abgeben? Was ist eine Zweitstimme, was bedeutet ein Listenplatz? Das ist Demokratienachhilfe, die Zeitung leisten muss. Das gibt es ja alles schon. Man muss nur bei der bpb oder bei der drehscheibe nachschauen und richtig frech klauen. Das ist weniger Arbeit als viele glauben.

Interview: Robert Domes

Teaserbild (c) Fotolia - Rawpixel.com

Kontakt

Jan Kaymer, Jahrgang 1958, koordinierte 30 Jahre lang die Bundes-, Landtags- und Kommunalwahlberichterstattung bei der Ostfriesen-Zeitung. Dort war er von 1994 bis 2012 Chef vom Dienst. Heute betreut er Kommunikation und Marketing eines Logistikunternehmens in Leer.

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