Pole Dance im Lokalen
von Stefan Wirner
Herr Block, wie ist Reizvoll entstanden?
Reizvoll ist das Produkt eines Projektes von Auszubildenden. Jedes Jahr haben Volontäre und Auszubildende bei der Südwest Presse die Gelegenheit, so ein Produkt herzustellen. Bisher waren diese Projekte themengebunden, das heißt, der Verlag hat vorgegeben, worüber geschrieben werden sollte. Dieses Jahr hatten die Auszubildenden erstmals die Gelegenheit, das Thema selbst zu bestimmen. Wir haben uns dann ein, zwei Stunden zusammengesetzt und überlegt, was wir machen wollen. Der Vorschlag, eine Ausgabe rund um das Thema Liebe und Erotik zu produzieren, hat dann die Mehrheit gefunden.
Wie viele Kolleginnen und Kollegen waren an dem Projekt beteiligt?
Wir waren sieben Volontärinnen und Volontäre, sieben Auszubildende und drei duale Studenten.
Wurde das Projekt von einem Redakteur begleitet?
Normalerweise macht das ein Redakteur, dieses Jahr hatte Chefredakteur Ulrich Becker selbst ein Auge drauf, weil es eben ein Thema ist, bei dem man leicht daneben greifen kann. Er musste jedoch bis zum Ende nicht eingreifen.
Welche Gründe sprachen denn für dieses Thema?
Wir wollten ein Thema, bei dem man sich austoben kann, das große Freiheiten bietet. Wir wollten von der Routine abweichen und Geschichten recherchieren, die sonst eher keinen Platz im Blatt finden. Und bei diesem Thema lauern eben viele solcher Geschichten, das fanden wir – reizvoll!
In Ihrer Pressemitteilung nennen Sie Reizvoll das „erste lokale Erotikmagazin“. Aber stellt man sich darunter nicht etwas anderes vor? Sie befassen sich ja durchaus ernst und kritisch mit Themen, etwa mit der Zwangsprostitution.
Wir befassen uns fast ausschließlich mit ernsten Themen. Den Begriff „lokales Erotikmagazin“ verwenden wir eher spielerisch. Aber wir wollten keine Konkurrenz zum Playboy sein, sondern tatsächlich schauen, was den Menschen Sexualität bedeutet, welche Rolle sie in ihrem Leben spielt und welche Formen es gibt. Wir wollten uns auch mit Menschen auseinandersetzen, die eine abweichende Sexualität haben oder ihre Sexualität nicht so leben können, wie sie gerne würden.
Haben Sie sich vorher eine Art Leitfaden auferlegt – was geht, was geht nicht, was wird gezeigt, was nicht?
Wir waren sehr vorsichtig. Uns war wichtig, dass der Inhalt nicht banalisiert wird. Wir wollten immer eine neue Perspektive einnehmen, wir wollten Themen mit Brisanz und Aktualität behandeln und im Sinne eines ernsthaften Journalismus aufbereiten. Wir wollten nicht in die Schmuddelecke vordringen oder am Ende in sie gestellt werden.
Wie wichtig war Ihnen der lokale Bezug der Themen?
Das war uns sehr wichtig! Es ist ja im Lokaljournalismus immer angenehm, dass man einen geschlossenen Raum, eine Stadt vorfindet – in unserem Falle Ulm und Umgebung, wo die Menschen durchaus ein bisschen konservativer sind als anderswo. Es war reizvoll, den Menschen hier zu zeigen, was in ihrer Nachbarschaft so geschieht – gerade auch bei diesem Thema.
Sind Sie bei der Recherche auch auf Probleme gestoßen? Es liegt ja auf der Hand, dass zum Beispiel Menschen in einer anonymen Großstadt eher über ihre Sexualität sprechen als in einer kleineren Stadt, in der jeder sie kennt.
Selbstverständlich gab es Probleme. Was glauben Sie, wie viele asexuell lebende Menschen ich anschreiben musste, bis sich jemand bereit erklärte, mit mir über dieses Thema zu sprechen? Die Südwest Presse ist ja auch in Ulm sehr präsent, wenn hier etwas in der Zeitung steht, kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der Bekannten das gelesen hat. Mit diesem Flaggschiff im Hintergrund war es natürlich noch einmal schwerer, Leute für Interviews zu gewinnen. Das gleiche Problem gab es auf der Anzeigenseite. Die Kunden sind sehr vorsichtig, wenn es darum geht, eine Anzeige in einem solchen Themenheft zu platzieren, weil sie eben Angst haben, in die Schmuddelecke gestellt zu werden.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Mit sehr viel Ausdauer und Hartnäckigkeit. Wir sind sehr vorsichtig auf die Leute zugegangen, haben Vorgespräche geführt und immer auch eingeräumt, dass ein Rückzieher jederzeit möglich ist, wenn ihnen etwas unangenehm wird. Wir haben von vorneherein betont, dass wir nicht boulevardesk an das Thema herangehen und niemanden bloßstellen wollen. Wir haben ernstes Interesse an den Personen und ihren Themen gezeigt.
Welche Leserschaft wollen Sie ansprechen?
Wir wollen natürlich viele junge Leser erreichen. Wir sind ja selbst ein junges Team, wir schreiben auch so und haben einen eigenen Fokus, ein Vorteil, den wir auch nutzen wollten.
Welche Reaktionen gab es auf das Heft?
Ich habe in meinem eigenen Bekanntenkreis mitbekommen, dass viel über die Ausgabe gesprochen wird und dass sie positiv aufgenommen wird – allerdings immer mit einem Schmunzeln.
Das Heft ist im Einzelverkauf erhältlich?
Ja, es kann in Ulm und Umgebung gekauft oder auf der Homepage bestellt werden.
Rechnet sich das Heft für die Südwest Presse oder ist es eher eine Investition in die Ausbildung?
Es rechnet sich auf jeden Fall, denn die Kosten sind schon über den Anzeigenverkauf gedeckt, und alles, was beim Verkauf hereinkommt, ist Gewinn.
Wie viel kostet das Heft?
2,69 Euro
Hat der Preis eine spezielle Bedeutung?
Ja. Das ist der Schelm mit uns durchgegangen.
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