Interview

„Politikverdrossenheit hat auch viele Medien befallen"

von

Zwei Tage wurde in Berlin über Strategien der Parteien und die Rolle der Medien im Wahlkampf diskutiert. Unter dem Titel „Das Hochamt der Demokratie“ kamen Strategen der Parteien, Wissenschaftler und Journalisten zusammen, um sich mit rund 250 Teilnehmer- und Teilnehmerinnen auszutauschen. Organisiert wurde die Konferenz von den Professoren Dr. Thorsten Faas (Universität Mainz), Dr. Manuela Glaab und Dr. Thomas Leif (beide Universität Koblenz-Landau). Wir sprachen mit Tagungsleiter Thomas Leif.

Herr Leif, wie lauten die zentralen Erkenntnisse der Konferenz?

Erstens: Die sogenannte asymetrische Demobilisierung der Kanzlerin – also die (symbolische) Übernahme von Themen und Positionen von Rot-Grün mit dem Ziel der Einschläferung der oppositionellen Wähler, ist kein Selbstläufer. Diese Methode funktioniert nur, wenn die Opposition dies zulässt und zuschaut, wie die Kanzlerin die Themen der Anderen „besetzt“. Die Copy-and-Paste-Politik birgt ein hohes Risikopotential. Sie kann schnell zu einer symetrischen Demobilisierung der eigenen Wählerinnen und -wähler führen, weil programmatische Beliebigkeit am Identitätskern der Union nagt.

Zweitens: Die Parteien suchen oft krampfhaft nach polarisierenden Themen, die Kontraste ausweisen können. Aber – im zentralen Feld der Banken- und Finanzkrise sind sie sich näher als öffentlich kommuniziert.

Und drittens: Für die Verdrossenen, Irritierten und Abgehängten gibt es kein nennenswertes Politikangebot im Wahlkampf. Die Zahl der Nichtwähler und Wahlverweigerer wird wachsen und damit das Ergebnis verzerren.

Es ging ja auch um eine kritische Betrachtung der Rolle der Medien. Welche Defizite wurden genannt?

In Wahlkampfzeiten verschärfen sich die schon bekannten Kritikpunkte noch einmal. Ein auffälliges Meuteverhalten, zu wenig Eigensinn und analytische Tiefenschärfe in den Redaktionen, eine geringe Reflexionsbereitschaft und reduzierte Pluralität. Die inszenierten Paparazzi-Fotos der Kanzlerin im Familienurlaub sind wichtiger als die Renovierung des Niedriglohnsektors, von dem 22 Prozent der Arbeitnehmer betroffen sind. Vereinfacht gesprochen: Süffige Personalisierung und vermeintliche Skandale wie etwa die Nutzung einer Bahncard eines Spitzenpolitikers verdrängen Sachanalysen und echte Kontroversen zu den wichtigen Konfliktthemen. Die Politikverdrossenheit hat sich nicht nur bei Wählern eingenistet, sondern auch schon zu viele Medien befallen.

In den Redaktionen herrscht eine ständige Diskussion, wie die verschiedenen Kanäle print, online, social web genutzt und mit Inhalten gefüllt werden. Müssen Journalisten umdenken? Müssen Sie Politik neu denken?

Zuerst wäre es wichtig, sich der Substanz von Politik zu widmen und die vorliegenden Fakten sauber zu prüfen und den jeweiligen Interessenhintergrund freizulegen. Selbst um die vorliegenden konträren Steuerkonzepte der Parteien ranken sich noch Legenden. Das Gleiche gilt für die reale Zahl der „Aufstocker“ oder die „Arm-Reich-Debatte“. Zu oft wird der interessengeleitete Meinungskampf um Daten und Fakten nur wiedergeben, aber nicht kühl und nüchtern analysisiert. Zur Frage der zu bespielenden Kanäle gab es zumindest den Konsens, dass die Inhalte bzw. content im Vordergrund stehen und der Vermittlungsweg vielfältig sein kann.

Eine der Leitfragen der Konferenz hieß: Social Media - Fluch oder Segen? Gab es darauf eine Antwort?

Auch hier zeichnete sich ein Lagebild ab, das sich langsam jenseits aller Hysterie verdichtet. Es kommt immer auf die Substanz der Beiträge an, ganz gleich auf welchem Kanal sie verbreitet werden. Man kann eine Faustregel festhalten: Immer wenn Redaktionen oder Forenbetreiber direkt und qualifiziert auf Argumente und Positionen der User reagieren,verbessert sich das Niveau der Diskussion. Also: Echte Dialoge, direkte Reaktionen, neue Sichtweisen fördern produktive Debatten.

Gab es Ideen – sei es von Seiten der Politik oder den Medien – wie man politikferne Menschen erreicht, Interesse für politische Themen weckt, die Wahlbeteiligung erhöht?

Nein. Das würde wohl alle Beteiligten überfordern. Aber es wäre ja schon ein Fortschritt, wenn die etablierten Meinungsforschungs-Institute die genauen Gründe der Nichtwähler und Wahlverweigerer in ihren Umfragen genau ausweisen und hier detailliert nachfragen würden. Das wäre schon mal ein Anfang. Neue Legitimation können sie nur erreichen, wenn sie für das untere Drittel der Gesellschaft spürbar und nachvollziehbar Politik machen. Dann wächst das Interesse automatisch.

In Lokal- und Regionalredaktionen hat man zumeist das Gefühl, mit wenig Ressourcen einem gut ausgestatteten Kampagnen-Apparat gegenüber zu stehen. Wie kann eine kleine Landredaktion „anständig“ einen Wahlkampf begleiten, sprich: inhaltlich relevant, zielgruppenorientiert, diskursiv, spannend?

Die Lokal- und Regionalzeitungen haben in ihrem jeweiligen Verbreitungsgebiet einen enormen Einfluß auf die lokale Berichterstattung, zumal die Zahl der Ein-Zeitungs-Kreise immer noch zunimmt. Die Regionalzeitungen haben die grosse Chance, die Arbeit der Abgeordneten und der Kandidaten genau unter die Lupe zu nehmen. Sie können abklopfen, was die jeweiligen Abgeordneten in Berlin wirklich leisten. Sind sie nur Mitläufer im grossen Strom - oder arbeiten sie kompetent und entschlossen zumindest an einem Sachthema. Außerdem interessiert es immer, wie die Parteien ihre Kandidaten aussuchen: wer sich wie durchsetzt und warum junge, unverbrauchte Talente es nur sehr schwer durch den Flaschenhals der Macht schaffen. Eigentlich ein faszinierendes, schier unerschöpfliches Feld im Lokalen.

Interview: Robert Domes

Die Konferenz wurde unterstützt von der Heinrich-Böll-, der Otto-Brenner und der Hans-Böckler-Stiftung. Filme und Ergebnisse der Konferenz unter www.boell.de

Lesen Sie außerdem:

Zusammenfassung des Panels „Mythos social media im Wahlkampf: zwischen Vision und Realität“.

Der Medienwirtschafter Martin Fuchs über Wahlbeobachtung.

Die Volontäre der Rhein-Zeitung und ihr Wahlmobil.

Jörg Schönenborn (ARD) über die Verlässlichkeit von Wahlprognosen.

Thomas Leif

... Jahrgang 1959, ist Journalist und Autor. Er arbeitet als Chefreporter für den SWR. Seit 2009 hat Leif eine Honorarprofessur für Politik an der Universität Koblenz-Landau.

Mail: thomas.leif@faberdesign.de

Veröffentlicht am

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.