„Kommunalpolitik wirkt schneller“
von Stefan Wirner
Niedergang der Volksparteien? Nicht im Kommunalen! Davon ist Serap Güler, Staatssekretärin
für Integration in Nordrhein-Westfalen, überzeugt. Der Grund sei die Nähe zu den Menschen.
Frau Güler, Sie haben kürzlich in der Sendung von Frau Maischberger die
große Bedeutung der Kommunalpolitik betont. Worin liegt diese?
Es ging in der Diskussion darum, ob sich die Volksparteien selbst zerlegen. Mir war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Debatte derzeit vor allem aus bundespolitischer Sicht diskutiert wird. Die Union kommt in den Umfragen auf knapp über 30 Prozent, die SPD auf unter 20. Da kann man schon diskutieren, ob ein Ende der Volksparteien eingeleitet ist. Auf kommunaler Ebene hingegen gibt es noch immer Ratsmitglieder, die ihre Mandate mit 60, 70 Prozent der Stimmen erringen. Ich habe neulich in Siegburg einen Kommunal-politiker kennengelernt, der weit über 70 Jahre alt ist und seinen Wahlkreis mit 75 Prozent der Stimmen verteidigt hat. Auf kommunaler Ebene kann man wirklich nicht davon sprechen, dass sich die Volksparteien selbst zerlegen.
Was ist der Grund dafür, dass manche Kommunalpolitiker noch einen derartigen Zuspruch erhalten?
Der Grund ist die direkte Nähe zu den
Menschen. Kommunalpolitiker sind vor Ort aktiv, sind direkt ansprechbar, sie geben den Menschen das Gefühl, dass sie für sie da sind, sich um ihre Belange kümmern und
lösungsorientiert arbeiten. Da kann es um eine
Bushaltestelle genauso gehen wie um die Müllentsorgung. Um Dinge, die die Menschen im Alltag beschäftigen und die Lokalpolitiker mit Tatkraft angehen – auch wenn sie sicher nicht jedes Problem lösen können.
Besonders gefordert ist die Kommunalpolitik durch die Aufnahme von Flüchtlingen. Welche Aufgaben stehen dabei derzeit ganz oben auf der Agenda?
In den vergangenen zwei, drei Jahren ging es vorrangig um Fragen wie Unterbringung, Versorgung, Kita-Besuch der Kinder. Jetzt geht es ums Eingemachte, um die große
Herausforderung der Integration. Damit fühlen
sich Kommunalpolitiker oft alleingelassen. Zumindest bekomme ich von Kollegen aus dem kommunalen Bereich immer wieder dieses Feedback. Es liegt auch daran, dass Landes- und Bundespolitik mit ihrer Hilfe oft nicht schnell genug sein können. Denken Sie zum Beispiel an die Vergabe von Bundes
mitteln für die Integration. Solche Verzögerungen müssen dann vor Ort in der Regel von Kommunalpolitikern ausgebadet werden. Ich habe in den vergangenen Jahren viele Kommunalpolitiker kennengelernt, die mit Herzblut dabei waren, die mitgeholfen haben, die Schlafplätze organisiert haben und vieles mehr. Es heißt oft, ohne die Hilfe von ehrenamtlichen Helfern hätten wir das nie geschafft, aber ganz sicher müssen dabei auch die Kommunalpolitiker genannt werden. Die allermeisten von ihnen machen das alles ja auch ehrenamtlich.
Das hieße doch, dass bei diesem Thema Kommunalpolitiker unbedingt unterstützt werden müssten, damit nicht auch der Zuspruch, den sie erfahren, abnimmt.
Mit Sicherheit. Wir versuchen das als Land Nordrhein-Westfalen auch im Rahmen unserer Möglichkeiten, aber es braucht auch mehr Unterstützung durch die Bundesebene.
Haben Lokaljournalisten angemessen über die Aufnahme von Flüchtlingen
berichtet? Oder wurden Schwierigkeiten ausgeblendet?
Ich denke, man hat anfangs versucht, vor allem über positive Dinge zu berichten, was einige Leser vielleicht verärgert hat, weil sie auch die Kehrseite der Medaille mitbekommen haben. Da geht es manchmal um Dinge, wo sicher auch abgewogen wird, ob sie einen Bericht wert sind. Wenn es heißt, Flüchtlinge lassen ihren Müll vor der Haustür liegen, die sind abends zu laut usw. Aber das sind eben Themen, die in einer Nachbarschaft für Unruhe sorgen können. Nachdem die Anfangseuphorie verflogen war, hat man auch über die Herausforderungen berichtet, anfangs stand das vielleicht im Hintergrund.
Mit der AfD drängt eine rechtspopulistische Partei in die Kommunalpolitik.
Welche Probleme kommen da auf uns zu?
Das ist eine Herausforderung, mit der wir uns auf sämtlichen Ebenen auseinandersetzen müssen. In der Kommunalpolitik aber lässt sich die AfD vielleicht am leichtesten entzaubern, weil sich an den für die Bürger unmittelbar greifbaren Themen zeigt, wer wirklich dazu in der Lage ist, sich den Sorgen der Menschen anzunehmen, und wer Lösungen anbietet. Kommunalpolitische Beschlüsse zeigen viel eher Wirkung bei den Menschen. Bis sich aber die Folgen eines neuen bundespolitischen Gesetzes auf den Einzelnen auswirken, bis er etwas davon spürt und davon profitiert, vergeht oft viel mehr Zeit. Kommunalpolitik wirkt wesentlich schneller.
Welche Rolle sollte der Lokaljournalismus
dabei spielen?
Man sollte sich die Versprechen der AfD ansehen und dann überprüfen, wie die Partei im Rat tatsächlich arbeitet.
Was wünschen Sie sich von der lokalen Berichterstattung über Kommunalpolitik?
Ich höre von Kollegen aus der Kommunalpolitik
oft die Klage, dass sie den Eindruck haben, ihr Engagement werde nicht entsprechend gewürdigt. Sie haben das Gefühl, dass sie viel tun, Einsatz zeigen, sich bemühen, aber eigentlich niemand darüber berichtet. Wenn irgendein Bundespolitiker in einem Nebensatz etwas sagt, kann das hingegen tagelang für Schlagzeilen sorgen. Das trägt manchmal zu einer gewissen Frustration bei. Diesem
Eindruck sollten wir alle, nicht nur Journalisten, entgegenwirken.
Sehen Sie auch Probleme auf die
Kommunalpolitik zukommen, was das türkisch-kurdische Verhältnis betrifft? Der Konflikt in Nord-Syrien verschärft sich ja, was zu Streit unter den
Communitys hierzulande führen könnte.
Dieser Streit hat längst begonnen. Viele Lehrer etwa sind jetzt schon überfordert damit. Ich habe kürzlich die achte Jahrgangsstufe einer Schule besucht. Die überwiegende Anzahl der Fragen, die mir von türkisch- oder kurdischstämmigen Schülern gestellt wurden, drehten sich um den Konflikt in der Türkei. Ich beantworte immer gerne alle Fragen – besonders von Menschen in diesem Alter, aber nach der fünften oder sechsten Frage zu dem Thema habe ich sie gebeten, sich doch auch mit den örtlichen Problemen zu beschäftigen. Daran sieht man, was in den Familien besprochen wird. Solche Themen werden auf der Bundesebene viel diskutiert, aber gerade auf der kommunalpolitischen Ebene werden sie dann ausgetragen. Man lässt die Kommunalpolitik damit im Stich.
Wie könnte Kommunalpolitik für türkische
oder türkischstämmige Menschen
interessanter werden?
Das Problem ist: Wir haben auf der einen Seite eine Gruppe, die sich mit Themen beschäftigt, die auf kommunalpolitischer Ebene gar nicht verhandelbar sind. Nehmen Sie das Beispiel doppelte Staatsbürgerschaft, ein großes Anliegen der türkischen Community. Das kann kommunal nicht gelöst werden. Auf der anderen Seite erleben wir aber mitunter auch eine Kommunalpolitik, die sich für die Belange dieser Menschen oft nicht umfassend interessiert. Wenn sich die Kommunalpolitik ein bisschen mehr mit dem, was sie umtreibt, auch mit Migrationsgeschichte, befassen könnte, um ihnen dann ein Angebot zu unterbreiten, wäre viel geholfen. Diese Menschen würden sich dann auch umso stärker für Kommunalpolitik interessieren.
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