So funktioniert das Konzept „Mikrozeitung"
von Stefan Wirner
Urs Gossweiler ist Verleger der Jungfrau Zeitung in der Schweiz. Dort hat er erfolgreich das Modell "Mikrozeitung" verwirklicht: Das Blatt widmet sich ausschließlich lokalen Themen. Nun wird auch die Obwalden und Nidwalden Zeitung nach diesem Konzept produziert. Die drehscheibe sprach mit Gossweiler über das Wie und das Warum.
Herr Gossweiler, was ist der Kern des Projekts „Mikrozeitung“, das Sie nun mit der Obwalden und Nidwalden Zeitung (ONZ) verwirklichen?
Der Kern besteht in der Fokussierung auf einen begrenzten geografischen Raum, auf die Kantone Ob- und Nidwalden. Hier leben 50.000 bis 100.000 Menschen. Es gibt in diesem Konzept kein Ressort Lokales oder Regionales, sondern nur die klassischen Ressorts Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Diese werden aber zu 100 Prozent mit lokalen Inhalten gefüllt. Bei uns arbeiten keine Lokaljournalisten im herkömmlichen Sinne, die Themen aus allen Ressorts fürs Lokale aufbereiten, sondern in erster Linie Politik-, Wirtschafts-, Kultur- und Sportjournalisten, die sich auf ihr Ressort konzentrieren. Sämtliche Inhalte werden permanent online gestellt und beispielsweise auch über das Smartphone verbreitet.
Wie funktioniert das praktisch?
Zielgerecht wie bei Google, nur kommt das Papier dazu, das Google nicht hat. Wenn Sie auf unserer Seite www.jungfrauzeitung.ch in der Suchfunktion zum Beispiel das Wort „Interlaken“ eingeben, den Namen eines Ortes in der Gegend, dann erscheinen in der Mitte alle Artikel zu dem Begriff, rechts aber finden Sie Wohnungsgesuche, Stellenanzeigen, Gebrauchtwagenannoncen usw. Sie können also den lokalen Kosmos umfassend durchforsten. Das ist die Mikrozeitung: lokales Google und lokales Wikipedia in einem.
Kann das auch ein Modell für andere Zeitungen sein?
Das weiß ich nicht. Tatsache ist, dass ein freier Platz entstanden ist, weil viele große Blätter sich aus Kostengründen aus dem Lokalen zurückziehen. Diese ökonomische Entwicklung ist für uns aber eher ein zufälliger Umstand, das Konzept entstand nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern aus konzeptuellen. Wenn man sich auf das Lokale fokussiert, reicht der Inhalt nicht für eine Vier-Bund-Zeitung. Wenn ich eine Vier-Bund-Zeitung herausgebe, brauche ich überregionalen, internationalen Inhalt. Dafür aber nutzen die Leser die großen Zeitungen, die FAZ, die Süddeutsche, die Welt. Deren Angebot kann ein regionales Blatt nicht bieten.
Rechnet sich Ihr Modell?
Ja, das rechnet sich. Die Jungfrau Zeitung erwirtschaftet im Jahr Einnahmen von rund drei Millionen Euro, dem stehen 2,5 Millionen an Kosten gegenüber. Das ergibt einen Überschuss von einer halben Million. Wir rechnen bei der Obwalden und Nidwalden Zeitung mit einer Vorlaufzeit von rund drei Jahren.
Liegen die Gehälter Ihrer Mitarbeiter dabei im Schweizer Durchschnitt?
Wir haben 15 Vollzeitstellen, davon sind acht publizistische Stellen, vier im Verlag und drei in der Produktion. Das Durchschnittsgehalt liegt bei 100.000 Franken im Jahr (rund 70.000 Euro). Wobei der Chefredaktor natürlich mehr verdient als der Neuling.
Was erhoffen Sie sich von der Präsenz auf dem Smartphone?
Wenn man die User an den Bushaltestellen betrachtet, wie sie das Smartphone nutzen beim Warten oder wenn sie sich langweilen, dann sieht man, dass die Zugriffe da enorm sind. Das kann man nutzen. Die Mikrozeitung bringt zum Beispiel sämtliche Printanzeigen auf das Smartphone, diese sind direkt verlinkt, sodass der User, wenn er das will, direkt zu dem Angebot gelangen kann. Eine Anzeige für 80 Franken geht bei uns über die Website, über das Smartphone und wird gedruckt. Diese multimediale Verlinkung ist besonders wichtig in dem Modell. Und was hinzukommt: Wir reinvestieren – im Gegensatz zu Google – den Gewinn in den Journalismus. Dabei konkurrieren wir nicht mit den überregionalen Blättern. Wir sehen uns als eine ergänzende Zweitzeitung.
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