Interview

Über Nacht zum Newsfeed aus dem Krieg

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Katapult (Screenshot/Instagram): @katapult
Screenshot/Instagram: @katapult

Frau Katz, für Katapult hat sich schlagartig vieles verändert. Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen posten nun statt Grafiken Nachrichten im Stundentakt. Wie fühlt sich der Wandel an?

Über Nacht gab es erst mal viel Strukturlosigkeit, manche Katapulte haben ihren Urlaub abgesagt, um da zu sein. Wir haben das Profil geändert, wir haben die Heftproduktion pausiert – was gewagt ist, weil darüber unsere Gehälter finanziert werden. Wir sind ursprünglich ein Magazin für Sozialwissenschaften.Unser Ding ist, Inhalte aus der Wissenschaft für alle Leute zugänglich zu machen, sie verständlich zu erklären und unterhaltsam und informativ aufzubereiten. Was ich gerade wirklich toll finde an Katapult, ist, dass wir jetzt Prioritäten gesetzt haben. Wir haben geschaut, wie wir unsere redaktionellen Kräfte für die Berichterstattung einsetzen können.

Dieser Wandel war gewaltig. Eben hat die Redaktion 20 ukrainische Journalistinnen und Journalisten eingestellt, ein Reporter schreibt aus Russland für das Magazin. Wie konnten Sie das so schnell möglich machen?

Es gab viele verschiedene Etappen, wie wir versucht haben, zu helfen. Begonnen hat alles mit einer Spendenaktion für Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine. Da haben wir eine unfassbare Solidarität erlebt. Danach haben wir uns gefragt, was wir noch machen können. Wir haben im vergangenen Jahr ein Schulgebäude gekauft, das wir gerade zum Verlagshaus umbauen. Dort wollen wir eigentlich mit unseren Redaktionen einziehen. Dann haben wir kurzerhand beschlossen, einerseits Geflüchteten Zimmer zur Verfügung zu stellen und andererseits auch Redaktionsräume für ukrainische Journalisten. Wir hatten eine Ausschreibung, daraufhin haben sich viele Leute gemeldet – viel mehr, als wir gerade bewältigen können.

Screenshot/Instagram: @katapult
Screenshot/Instagram: @katapult

Was bedeutet das konkret?

Wir haben die ersten drei Kolleginnen und einen Kollegen hier bei uns. Der Rest ist in der Ukraine oder in Russland. Wir überlegen, wie die einzelnen Redaktionen zusammenarbeiten können. Auch hier mit unserer englischsprachigen Redaktion. Momentan ist es so, dass die Kolleginnen und Kollegen vor Ort ihre Recherchen zu uns schicken und wir sie hier bearbeiten. Die Artikel erscheinen in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Ukrainisch, Russisch. Das wird bei uns koordiniert.

Einige Mitarbeiter von Katapult verzichten für diese Aktion auf ihr Gehalt.

Ja, etwa 20 Leute haben sich gemeldet. Ich gebe zum Beispiel 25 Prozent meines Gehalts ab. Damit finanziere ich eine halbe Stelle der neuen Kolleginnen. Auch andere aus dem Team verzichten. Es ist eine sehr individuelle Entscheidung, ob das für einen persönlich der richtige Weg ist zu helfen. Jeder kann das selbst für sich entscheiden. Wir haben dafür eine Vertrauensperson, bei der sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter melden können, ob und wie viel Prozent sie geben möchten. Das sind alles neue Strukturen. Das Tolle an Katapult ist, dass wir ganz anders auf die Situation reagieren konnten als größere Medien, die verkrustete und alte Strukturen haben, wo es erst mal ein riesiger Kraftakt wäre, herauszufinden, wie jeder sich persönlich einbringen und wie sich die Redaktion umstellen kann auf die Situation. Wir waren vor der Invasion 50 Mitarbeiter und sind jetzt knapp 70. Das ist eine Größe, bei der solche Umstellungen möglich sind.

Screenshot/Instagram: @katapult
Screenshot/Instagram: @katapult

Können Sie einen Einblick in die Arbeit der ukrainischen Redaktion geben?

Momentan macht das Ukraine-Team ausschließlich Online-Berichterstattung. Und später wird daraus dann auch ein Printmagazin. Wir haben auch einen neuen Twitter-Account eingerichtet, der gut funktioniert. Wir haben in kurzer Zeit viel auf die Beine gestellt. Das ist inhaltlich eine große Bereicherung. In meiner Online-Redaktion geht es momentan vor allem darum, wieder Struktur reinzubringen. Die erste Methode war ein Schichtplan. Die Morgenschicht geht von 6 bis 14 Uhr, eine Schicht geht von 14 bis 22 Uhr, dazu eine Nachtschicht. Die Idee ist, immer jemanden dazuhaben. Das Herzstück von Katapult bleiben die Hintergrundrecherchen, um nicht nur den Nachrichtenwert abzudecken. Wir schauen beispielsweise: Wie funktioniert die Frauenbewegung in Russland? Wie funktioniert das Mediensystem in Russland? Das sind Beiträge, die wir in verschiedenen Formaten abbilden. Wir haben zum Beispiel den neuen Podcast „Krieg und …“, in dem wir mit Personen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen in den Hintergrund gehen und versuchen, die Situation einzuordnen.

Worauf legen Sie bei der Berichterstattung wert?

Für Online gilt erstens, weiterhin den Nachrichtenwert abzudecken und die Informationen kritisch zu prüfen. Das ist momentan die große Herausforderung für alle Redaktionen. Zweitens die Hintergrundberichterstattung nicht zu vernachlässigen. Es ist wichtig, den Schritt zurück in die Entschleunigung zu wagen, um sich immer wieder zu fragen: Welche Information brauchen wir, um die aktuelle Situation besser einordnen zu können?

Wie prüfen Sie die Videos oder Nachrichten, die Ihnen zugespielt werden?

Nachrichten von Privatleuten spielen wir gar nicht mehr aus, weil es momentan zu gewagt ist. Wir verlassen uns jetzt vor allem auf unsere ukrainischen Reporterinnen und Reporter vor Ort. Ihr Ukraine-Team tweetet auf einem eigenen Kanal, Katapult hat einen neuen Podcast, bald ein Ukraine-Magazin.

Was kommt als Nächstes?

Hoffentlich wieder einigermaßen Stabilität.

Interview: Katharina Dodel

Hier gibt es Links zum Thema:
Zum Newsticker von Katapult
Zum Podcast
Zum Twitteraccount des Ukraine-Teams von Katapult

Juli Katz

leitet seit 2019 die Online-Redaktion von Katapult aus Greifswald.

E-Mail katz@katapult-magazin.de

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